: Ambulante Methadon-Versorgung in Bremen
■ Süssmuth will es bundesweit, Schnipkoweit will es in Niedersachsen, die Hamburger Ärztekammer will es, und die Bremer FDP denkt auch schon darüber nach: Durch Aids kommt die Ersatzdroge Methadon wieder ins Gespräch - auch in Bremen
In Bremen wird erstmalig eine ambulante Methadon-Versorgung für heroinabhängige, aidskranke PatientInnen geplant. Methadon ist ein suchterzeugendes Ersatz-Opiat, das keine Kicks liefert, aber die quälenden Entzugserscheinungen erspart und, so hoffen BefürworterInnen, ein Leben ohne Beschaffungsdruck und Kriminalität möglich, einen Ausstieg denkbar macht.
Die Gesundheitssenatorin hat das heiße Eisen angefaßt und noch für diesen Monat Gespräche vereinbart mit der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. der Bremer Ärztekammer. Nach dem Konzept Vera Rüdigers sollen niedergelassene ÄrztInnen die drogenabhängigen Aidskranken betreuen, die zwar - auch im Moment schon - auf der Station III der St. -Jürgen-Klinik mit dem Ersatzstoff behandelt werden, nach
jeder Entlassung aber wieder durch Beschaffungskriminalität oder Prostitition ihr „H“ verdienen müssen. „Bei der ungeheuren Belastung, erstens drogenabhängig und zweitens akut aidskrank zu sein, ist an Entzug für solche Menschen meist nicht zu denken“, faßte Rüdigers Pressesprecherin Helga Loest zusammen, „die Senatorin setzt sich deshalb für eine vernünftige ambulante Lösung ein und wird, mit hieb-und stichfesten Argumenten, die Zustimmung im Senat suchen.“
In den letzten Wochen hat sich viel bewegt zum Thema Methadon: Bundesgesundheits-Ministerin Süssmuth kehrte beeindruckt von einer USA-Reise zurück und kündigte an, über Methadon „noch einmal ganz neu nachdenken“ zu wollen. Der niedersächsische Sozialminister Schnipkoweit (CDU) sprach sich
erstmalig für die Ersatzdroge aus. Die Hamburger Ärztekammer befürwortete im Juni überraschend die Methadonvergabe und stellte bereits einen Maßnahmenkatalog und eine Kommisssion zusammen. In NRW läuft der 5-Jahres-Versuch seit dem letzten Herbst.
Nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie einer Methadonvergabe machen sich nun nach dem Hamburger Vorstoß auch die Ärztekammern der Länder Gedanken und wollen am Donerstag nächster Woche in Köln zu bundessweiten Einschätzungen kommen. „Ich vermute, verantwortungsvolle Ärzte können sich in einer so prekären Situation auf der Grundlage ihres Auftrags
zu helfen, nicht entziehen“, faßte der Geschäftsführer der Bremer Ärztekammer, Ahrends, die Stimmung zusammen.
Die Gesundheitssenatorin macht Vorstöße in Richtung einer ambulanten Methadon-Versorgung. Der Justizsenator will wenn sich Gesundheit oder Soziales für Methadon entscheiden
-vereinbarte Indikationen auch im Knast gelten lassen. Sogar die Bremer FDP fand gestern, daß die Aidsgefahr „für den Einsatz von Methadon spricht“. Eine Bastion gegen Methadon ist nach wie vor die Scherf'sche Sozialbehörde, die über alle nicht aidskranken und stationär untergebrachten Drogenabhängigen regiert. Das stete Motto von Scherf und Pörk
sens (Landes-Drogenbeauf tragter): „Wir können nicht chemisch therapieren, was gesellschaftlich verursacht ist.“
Methadon an die und nur an die auch ambulant auszugeben, die von der tödlichen Krankheit Aids betroffen sind, ist überhaupt nicht im Sinne derer, die die Ersatzdroge mit sozialtherapeutischer Begleitung als drogenpolitisches Mittel für ein Leben ohne Kriminalität und vielleicht zum Drogen-Ausstieg befürworten. Daß Aids die Aufweichung der harten Methadongegner-Front möglich macht, sieht Karoline Linnert, grüne Gesundheitsreferentin, mit gemischten Gefühlen: „Da gibt es Kostengründe, und das ist auch eine Befriedungsstrategie. Und:
Für die Süchtigen ist ja kein Programm vorgesehen.“ Wenn man nur die ohnehin aidskranken Drogenabhängigen mit dem Ersatzstoff versorgt, entfällt die vorbeugende Wirkung; in Bremen sind im ersten Halbjahr 1988 schon mehr Drogentote gefunden worden als im gesamten Jahr 1987 - mehr, als in der Methadonstadt Amsterdam.
Ob das Bremer Sozialressort bei seiner starren Haltung bleiben kann, wenn in den umliegenden Bundesländern Methadon vergeben wird und im eigenen Bundesland das „Nein“ schon einem „Manchmal“ gewichen ist, das kann, so meinen Insider selbst der Sozialbehörde, bezweifelt werden. Susanne Paa
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