Rhetorik der Demaskierung

■ Seit Freitag im Fotoforum: eine Ausstellung des New Yorker Boulevard-Pressephotographen Arthur „Weegee“ Felling: Huren, Gangster und Großstadtbilder über knarrendem Galerie-Parkett

Alles ein großer Haufen Mythen: New York, 30er und 40er Jahre, große Depression und Schwarze Serie. Gangster mit perlgrauen Filzhüten ordentlich zerschossen irgendwo im Rinnstein, Huren, Hollywood, Jazz und Straßenkinder. Dazu ein „Zigarre rauchender, unregelmäßig rasierter Typ“ (so William McCleery, Editor der PM Picture News über Weegee) mit Walter-Matthau-Nase, Minderwertigkeitskomplexen und einer Kamera. Verliebt in seine Stadt und ihre unglücklichen Kinder, die, die fortwährend in Schwierigkeiten stecken, Katzen lieben und sommernachts auf Feuertreppen schlafen. „Weegee hat NY wahrhaft geliebt“, schreibt McCleery weiter. „Die Stadt murmelte ihm zu. Und er hat all ihre Mosaiksteinchen auf eine Art gesammelt, die es uns möglich machte, seine Stadt zu sehen, sie zu lieben und es immer noch besser machen zu wollen.“

Weegee heißt eigentlich Usher (Arthur) Felling. Am 12.6.1899 in Zloczew, österreichische Donaumonarchie, geboren, 1910 mit Eltern und einem 20-Dollar -Familienvermögen nach New Yorks Lower East Side emigriert. Süßigkeitenverkäufer, Straßenphotograph, Aushilfskellner, Bauarbeiter, Perltaucher (Teller

wäscher), Bonbon-Mischer, Lochstecher einer Keksfabrik.

Wie im Berufsleben legte ich auch im Sexualleben Wert auf Abwechslung. Deshalb ging ich jeden Abend auf dem Weg von der Arbeit nach Hause in einen anderen Puff.

Schließlich Paßbildphotograph und 1935 Photolaborant bei ACME (heute UPI Photos) mit gelegentlichen Bildaufträgen. Wer damals mit dem entwickelten Negativ als erster bei der Telefongesellschaft war, konnte das Bild an sämtliche Zeitungen des Landes durchgeben. Weegee und ACME waren immer die ersten. Die ACME-girls gaben ihm schließlich für seine Vorahnungen den Beinamen „Ouija“ (nach einer spiritistischen Alphabet-Tafel).

Die Schreibung stammt übrigens von mir. Ein besserer Name oder ein besserer Photograph ist mir nie begegnet.

1935 verläßt Weegee ACME, wird freier Pressephotograph und fängt auf dem Polizeihauptquartier Manhattan an.

Das Verbrechen wurde mein Jagdgrund, mir machte es Spaß...mein Aufbaustudium im Leben und Photographieren.

1938 erhält Weegee als erster Pressephotograph die Erlaubnis, den Polizeifunk abzuhören.

Ein anständiger Mord pro

Nacht mit einem Brand und einem Überfall gratis sicherten mir das angenehme Gefühl von grünem Knitterpapier in der Hosentasche.

Er kannte die Kriminalbeamten des Polizeireviers an der 51. Straße (die aussahen wie Kapitalisten und das Wall Street Journal lasen) ebenso wie die gutgekleideten Ganoven der Murder&CoInc., lärmte sich mit gehöriger Chuzpe zum Schoßkind der Kultur-Schickeria, arbeitete schließlich für Life und Vogue. Eine Betriebsnudel, ein Außenseiter von ätzendem Zynismus, randvoll mit einem Haufen Sarkasmen gegen alles Reiche, aber apolitisch, unfair, hinterhältig. Einer der Gefühle und Erniedrigung anderer für uns ausgebeutet hat. Ein atemloser Photo-Chandler, ein Voyeur, der Liebespaare heimlich filmte und Barbesucher mit Infrarotlicht. Da sieht man künstliche Zähne, Pickel und Bartstoppel im „Rembrandt-Licht“ ( eingeschwärzter Hintergrund und grelles Blitzgelichter). Rhetorik der Demaskierung.

Selbst die Photos implizieren noch Bewegung, ein hektisches Rumgehusche im Schicksal, explosive Augenblicke in Schwarzweiß, journalistische Bildergeschichten ohne die Distanz des Profi-Reporters. Bilder einer

Stadt, einer verrückten Zeit. Reicht für ca. 537 Filme.

Herausgekommen sind 5000 Photoreportagen und vier Photobände. Weegee starb am 26.12.1968 in NY. Seine Bilder sind zu sehen im Fotoforum in der Böttcherstraße. Da hängen sie an der Wand über knarrendem Holzparkett, ein paar autobiografische Texte drunter in schlecht lesbarer Computerschrift, pädagogisch geschultes Galeriepersonal davor und Hanseatenbacksteinromantik um die Ecke. Alles irgendwie komisch, aber schön und unbedingt zu empfehlen. Einen Katalog gibt

es leider nicht. „Das ist eine einmalige Ausstellung mit Bildern eines Berliner Privatsammlers“, sagt Wolfgang Stemmer von Fotoforum. „Druck und Verlagsrechte würden gut hunderttausend Mark kosten. Das war nicht drin.“ Trotzdem hingehen. „Es gibt viele Übereinstimmungen mit der heutigen Zeit“, sagt Stemmer, „Arbeitslosigkeit, Verbrechen, Depression.“ Und all das Hektische, Großstadtverhuschte. Dazu Woodentops-Musik hören und hinterher trenchcoatverkleidet in die nächste Bar. Petra Höfe