: Blick nach vorn im Zorn
■ Broschüre von autonomen Anti-WAA-Kämpfern erschienen / 'Abgebrannt‘ liefert eine Chronik des Widerstands, bilanziert ihn und übt Kritik und Selbstkritik / Abschied von der Fixierung auf die ferne Region
Die Übung ist gerade in der westdeutschen radikalen Linken wohlbekannt und allzuoft vor- und nachgeturnt worden: Konfliktpunkt erkannt, Widerstand geleistet, Aufschwung gehabt, Niederlage erlebt, Abgang. Die Höhe der Ansprüche korrespondiert dabei meist mit dem Tempo, mit dem der Kampf abgehakt wird, selten nur mit der Intensität, die auf die Nachbereitung des eigenen Engagements und seiner Fehler verwandt wird. Die vor kurzem erschienene recht umfängliche Broschüre „Abgebrannt - Eine Wiederaufbereitung des Widerstands gegen die WAA Wackersdorf 1981 bis 1988 aus autonomer Sicht“ ist da die positive Ausnahme, die hoffentlich nicht die Regel bestätigt, sondern sie dauerhaft unterbricht.
Bemerkenswert ist die in einer kritischen Phase der Auseinandersetzungen bilanzierende Textsammlung aus vielerlei Gründen: Sie ist, das wird ausdrücklich erwähnt, nur von Männern erarbeitet; sie ist Ergebnis eines gemischt -regionalen Diskussionsprozesses von Münchnern, Westberlinern, Oberpfälzern und Erlangenern und beinhaltet in wesentlichen Fragen (z.B. Bündnisse) unterschiedliche Positionen und, last aber ganz gewiß nicht least, sie markiert einen Wandel im Verhältnis Autonomer zur Öffentlichkeit: statt konspirative Überlegungen in den Vordergrund zu stellen und alle Differenzen und Einschätzungen dem Feind, damit aber auch potentiellen, aber nicht in die engen Zirkel vorgedrungenen SympathisantInnen vorzuenthalten, wird festgestellt, daß Kontroversen, auch nachvollziehbare, nützen können. „Verzicht auf das Dokumentieren unserer Geschichte aus drohender Repressionsgefahr (wird) als „Sensibilität an der falschen Stelle“ bezeichnet. Die daraus resultierende Offenheit auch Fehlern und Enttäuschungen gegenüber bewirkt den hohen Gebrauchswert der Broschüre. Auf knapp sechzig Seiten wird eine mit einzelnen Dokumenten unterfütterte Chronik des Widerstands geliefert: von der ersten größeren Demonstration am 16.2.1985 über die verbotene BuKo der Anti-AKW-Gruppen im Herbst/Winter 86/87 bis zu den Reaktionen auf die Schüsse an der Startbahn im Herbst 1987. Schon in der Chronologie werden die Ziele, aber auch die Schwierigkeiten, sie zu erreichen, benannt: Kontakt zur Bevölkerung, Radikalisierung nicht nur der Widerstandsformen, sondern auch des Bewußtseins. Die Konflikte zwischen der überwiegend auf dezentrale Aktionen gegen die Infrastruktur zielenden Taktik der Autonomen und der durch gesellschaftliche Bündnisse und gezielt gegen Verbote verstoßende Großaktionen politischen Druck erzeugenwollenden Taktik von Teilen der BIs und vor allem des KB wird in einem eigenen Kapitel zur Bündnispolitik abgehandelt. Die Broschüre-Autoren kritisieren bei den auf Bündnisse orientierenden Kräften, daß es bei deren Engagement „um die Breite, nicht um die Tiefe“ geht und deswegen „im Sinn linksradikaler Veränderung, Vertiefung und Verankerung revolutionärer Ansätze notwendig scheitern (muß)“. Da der Begriff des „Scheiterns“ so wenig definiert ist, wie derzeit die Erfolgskriterien für revolutionäre Politik, scheint das eine recht voluntaristische Einschätzung zu sein - zumal Breite und Tiefe der Verankerung konkret oft garnicht gegeneinander stehen (wie z.B. bei der durchgesetzten BuKo in Nürnberg oder bei der Hanau-Demo 1986), sondern einander bedingen.
Eine skeptische, aber ergiebige Bewertung der eigenen Intervention findet sich unter der Überschrift „Energisch gegen den Normalzustand“: Ausgehend von Überlegungen zur ökonomischen Situation in der Region (hohe Arbeitslosenrate, niedriges Lohnniveau, traditionelle, aber absterbende Industriezweige) wird das Bemühen skizziert, den Widerstand mit dem sozialen Alltag der OberpfälzerInnen zu verknüpfen: ein Bemühen, das fehlschlug, weil, so die Autoren, versäumt wurde, auf die soziale Situation in der Region bezogene Ansatzpunkte zu suchen, „beispielsweise eine Aktion zur Sozialpolitik im landkreis des „unbestechlichen“ Landrats Schuirer zu machen, zu dem ihm unterstellten Sozialamt in Schwandorf, dem mit rigidesten in den ganzen BRD“. „Die Anti -WAA-Bewegung verlief wie die meisten sozialen Bewegungen quer zur Klassenfrage, klammerte das Geschlechterverhältnis aus, überlagerte soziale Inhalte und enthielt reaktionäre Tendenzen in bestimmten Formen von Heimat- und Naturerhaltung und apokalyptischem Weltuntergangsdenken“, lautet das Resümee des Papiers.
Bei aller Kritik und Selbstkritik ist der Reader, der u.a. auch noch Texte zum „Süddeutschen Autonomeplenum“, ein Interview mit Frauen aus der Region und einen Beitrag über „das Patriarchat als der blinde Fleck der Anti-WAA-Bewegung enthält“, weder resignativ, noch ist er als endgültiger Schlußstrich unter den autonomen Anti-WAA-Widerstand zu verstehen: „Wir werden, wo es von den Leuten in der Region gefordert wird, deren Kampf gegen das Zehn-Milliarden -Projekt und gegen den strahlenden Alltag solidarisch unterstützen ... Das heißt aber auch, daß sich der Schwerpunkt unserer Arbeit aus der Region weg verlagert hat, zum einen, weil andere Bereich antikapitalistischer Arbeit in den Vordergrund gerückt sind, zum anderen, weil Alltag und Arbeit eben genau da Widerstand erfordern, wo wir tagtäglich leben. Und das ist eben überwiegend nicht die Oberpfalz,“ heißt es in der Einleitung.
Oliver Tolmein
Abgebrannt - eine Wiederaufbereitung des Widerstands gegen die WAA-Wackersdorf aus autonomer Sicht, 124 Seiten, 5 DM. Zu beziehen über: Buchladen Schwarze Risse, Gneisenaustrasse 2a, 1 Berlin 61. Nur gegen Vorkasse auf Kto-Nr.: 3094101, Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 10020500) Kennwort „Broschüre“, Kto-Inhaber: AKS e.V.
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