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Sing, Nani, wo ist das Gold?

Vor fünf Jahren verschwand Santiago Corella, genannt El Nani, spurlos aus einem Gefängnis in Madrid / Zuletzt wurde er dort nach Aussage seiner Schwestern gefoltert / Jetzt müssen sich sieben Polizisten wegen Folter und illegaler Festnahme vor Gericht verantworten / Keiner von ihnen kann beweisen, El Nani auf freien Fuß gesetzt zu haben / Ein exemplarischer Fall für das Überdauern terroristischer Polizeistrukturen aus der Franco-Zeit  ■  Aus Madrid Antje Vogel

November 1983. Ein Mann namens Santiago Corella wird festgenommen und in die Polizeidirektion an der Puerta del Sol, im Zentrum Madrids, gebracht. Zwölf Stunden später verschwindet er. Seither fehlt jede Spur von ihm.

April 1988. Ein Prozeß wird eröffnet. Angeklagt sind sieben Polizeibeamte wegen Folter, fortgesetzter Urkundenfälschung und vor allem wegen illegaler Festnahme von Santiago Corella, ohne seine spätere Freilassung beweisen zu können. Die Anwälte der Kläger fordern 61 Jahre Haft für den Hauptangeklagten, der Staatsanwalt fordert fast 37 Jahre für ihn. Die Verteidiger fordern in allen Fällen Freispruch.

Juli 1988. Der Prozeß geht zu Ende. Ein langer, intensiver Prozeß. 82 Sitzungen, 200 besprochene Tonbänder. Die Privatklage reduziert die Strafforderung für den Hauptangeklagten auf 56Jahre, der Staatsanwalt bleibt bei 37. Die Verteidiger beharren auf ihren Freispruch. Es ist, als ob zwei verschiedene Prozesse stattgefunden hätten. Zwei verschiedene Geschichten, die nicht in einer zu bündeln, deren Schlußfolgerungen zwangsläufig einander entgegengesetzt sind. Das, was jetzt so haarscharf getrennt erscheinen soll, hat sich schon früher vermischt, schon vor dem November 1983.

Das ist zum einen die Geschichte von Santiago Corella, genannt „El Nani“. 1954 in Madrid geboren, als drittes Kind von insgesamt sieben. Der Vater verläßt die Familie, die Mutter versucht mit nächtlichen Näharbeiten die Gören durchzubringen. Mit elf beginnt El Nani zu arbeiten. Mit 19 Jahren heiratet er Soledad Montero, die ein Kind von ihm erwartet. Der Versuch, eine Kneipe zu eröffnen, geht schief: die Behörden schließen das Lokal. Mit 26 wird er bei einem Überfall auf einen Supermarkt festgenommen und kommt für ein halbes Jahr in den Knast. Nach seiner Entlassung versucht er es mit größeren Coups, offenbar Überfälle auf Juwelierläden. Ende 1981 kommt er erneut in den Knast, diesmal für eineinhalb Jahre. Dort lernt er Angel Manzano kennen, der sein Freund wird. El Nanis Familie bringt mit großer Mühe 500.000 Peseten auf, 7.500 DM, damit er auf Kaution entlassen wird. El Nanis Anwältin sucht mit der Kaution das Weite. Angel Manzano, inzwischen aus dem Knast entlassen, springt ein: Er bietet El Nanis Schwestern 60 gestohlene Uhren an. Über einen Mittelsmann lernt er einen Juwelier aus Santander kennen, Federico Venero, dem er die Uhren verkauft. Im August 1983 kommt El Nani durch die Kaution aus dem Knast. Als ihm jemand vorschlägt, einen Juwelier in der Madrider Calle Tribulete zu überfallen, lehnt er ab. Am 31.Oktober wird in der Calle Tribulete ein Juweliergeschäft überfallen und sein Inhaber getötet. Die Räuber entkommen mit etwa 40 Kilogramm Gold. Am 12.November werden El Nani, seine Frau Soledad Montero und drei Schwestern von El Nani sowie Angel Manzano und seine Frau Concepcion Martin unter dem Verdacht festgenommen, den Juwelier in der Calle Tribulete überfallen und ermordet zu haben. Sie werden ins Polizeipräsidium an der Puerta del Sol gebracht.

Die Hüter der Ordnung

Auf der Anklagebank sitzen die staatlich besoldeten Feinde der Unterwelt. In der Person des Kommissars Francisco Fernandez Alvarez zum Beispiel. Ein Elitebulle. Jahrelange berufliche Erfahrungen noch unter Franco. Erhielt die höchste polizeiliche Auszeichnung und 126 öffentliche Belobigungen. Seit 1985 ist der Kommissar Leiter der Abteilung für Raubüberfälle bei der Kriminalpolizei von Madrid. Als am 18.Juni1984 in der Madrider Calle Atocha ein Juwelier überfallen wird, gehört Fernandez Alvarez zu den Sicherheitsbeamten, die die drei Räuber an der Eingangstür des überfallenen Gebäudes erwarten und zwei von ihnen erschießen. Der dritte entkommt mit der Beute. Eineinhalb Monate später wird auch er von Mitgliedern der nämlichen Polizeiabteilung erschossen, als er alleine in einem Auto unterwegs ist.

Die Beute, umgerechnet 18Millionen Mark, taucht nie wieder auf. Zu den schießwütigen Ordnungshütern der Calle Atocha gehören auch Fernandez Alvarez‘ Untergebene, die Inspektoren Jose Maria Perez und Francisco Aguilar Gonzalez, die nun neben ihrem Vorgesetzen im Fall „El Nani“ auf der Anklagebank sitzen.

Ein angesehener Polizeibeamter ist auch Inspektor Victoriano Gutierrez Lobo, Untergruppenführer der Abteilung für Raubüberfälle und direkter Untergebener von Fernandez Alvarez. Er war einer der jüngsten Polizeiinspektoren Spaniens und erhielt 58 öffentliche Belobigungen. Ende 1986 wurden Ermittlungen gegen ihn aufgenommen und ein Haftbefehl gegen ihn erteilt, da er verdächtigt war, an den Vorbereitungen für einen Überfall auf eine Bank Ende 1985 in Madrid beteiligt gewesen zu sein. Ein festgenommener Bankräuber gab an, er habe Gutierrez Lobo und einem Polizeikollegen drei Viertel der Beute (13 Millionen DM in Juwelen) übergeben. Der Juwelier Federico Venero sagte aus, die beiden Polizisten hätten ihm Juwelen aus diesem Bankraub zum Kauf angeboten. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Anklageerhebung gegen die beiden Polizisten wegen Mangels an Beweisen ab. Auch die Aussagen Veneros, die beiden Beamten hätten einen weiteren Überfall auf ein Juweliergeschäft geplant und die Täter mit den nötigen Informationen versorgt, führen nicht zur Anklageerhebung. Die Justiz hält sich lieber an die Ausführenden des Überfalls. Im Zusammenhang mit anderen Ausführungen des Juweliers Venero sind jedoch gegen eine Reihe Polizisten wegen Korruption und Verwicklung in Drogengeschäfte Ermittlungen eingeleitet, sowohl Gutierrez Lobo wie auch Fernandez Alvarez gehören zu den Verdächtigen.

Der Mittelsmann

Das Bindeglied zwischen den Hütern der Öffentlichen Ordnung, die in diesem Prozeß auf der Anklagebank sitzen und den Kleinkriminellen, die normalerweise diese Plätze besetzen, ist der in Santander ansässige Juwelier Venero. Er machte vor Gericht umfangreiche Aussagen über die Polizeimafia, die nach seinen Worten über verschiedene Mittelsmänner Kleinkriminelle anheuerten, diesen Vorschläge für Raubüberfälle machten, und sie mit den nötigen Informationen sowie in manchen Fällen mit Waffen versorgten. Als Belohnung erhielten sie einen Teil der Beute. Es könnte sein, so Venero, daß sie den Tätern manchmal tödliche Fallen gelegt hätten, so daß sie die Beute nicht zu teilen brauchten. Die 60 gestohlenen Uhren, die Venero im Sommer von Angel Monzano kaufte, übergab er zwei Jahre später dem Kommissar Gutierrez Lobo. Auf Vermutungen Veneros hin wurden am 12.November die Familie Corella sowie Angel Manzano und seine Frau festgenommen und in die Räumlichkeiten der Abteilung für Raubüberfälle der Kriminalpolizei an der Puerta des Sol gebracht.

Alptraum im Polizeirevier

Während El Nanis drei Schwestern gemeinsam auf einem Flur untergebracht werden, kommen El Nani und seine Frau sowie Angel Manzano und seine Frau in Einzelzellen, das Recht auf einen Anwalt wird ihnen verwehrt. Auf sie wird widerrechtlich der „Antiterrorismusparagraph“ angewandt, der diese Maßnahmen für Mitglieder einer bewaffneten kriminellen Vereinigung vorsieht. Innenminister Barrionuevo wird einige Stunden später für diese illegale Maßnahme per Telex die Erlaubnis erteilen.

Dann wird El Nani verhört. Seine Schwestern hören ihn vor Schmerzen schreien. Laute Musik wird angedreht, um die Schreie zu übertönen. Eine Schwester sieht im Flur einen Kellner Schnaps und Whiskey herbeitragen. „Wo sind die Schlüssel? - Im tiefen, tiefen Meer“, heißt ein altes Kinderlied. „Sing, Nani. Wo ist das Gold, Matarile“, hört El Nanis Schwester Consuelo einen Polizisten sagen. Einige Stunden später werden die Schwestern hastig in eine Toilette gesperrt und hören draußen ein Krankenbett vorbeirollen. Drei Tage später werden sie entlassen, ohne auch nur befragt worden zu sein. El Nani ist verschwunden.

Auch Angel Manzano wird an diesem Abend verhört. Drei Tage später wird er in aller Eile ins Krankenhaus gebracht und dort sofort am Bauch operiert. Ihm bleibt eine riesige Narbe mit neun Nähten. „Ich wurde gefoltert wie ein Schwein“, wird er später vor Gericht aussagen. „Ich habe dort den Tod gesehen und ihn schließlich herbeigewünscht.“ Auch Nanis Frau, Soledad Montero, wird gefoltert. Danach verbringt sie einen Monat im Knast und wird schließlich freigelassen.

Nach einem Monat verläßt Mazano das Krankenhaus. Er und El Nanis Schwestern wandten sich an die Presse, da El Nani noch immer nicht wieder aufgetaucht ist. Er sei geflüchtet, behaupten die Polizisten. Spät in der Nacht habe er ausgesagt, zwar den Überfall auf den Juwelier nicht begangen zu haben. Bei der Besichtigung dieses Verstecks sei er ihnen dann aber in der Dunkelheit davongelaufen. Doch die Unterschrift Santiago Correllas unter der Aussage wie auch andere Unterschriften, die er angeblich an diesem Tag leistete, erweisen sich als von einem Profi gefälscht. Seine Verletzungen, die ein ärztliches Attest am selben Abend festgestellt hat, rührten von seinem Widerstand bei der Festnahme her, sagen die Polizisten. Alle Zeugen der Festnahme bestreiten jedoch, daß El Nani Widerstand geleistet hat. Wenn Angel Manzano, ein Mann von kräftiger Statur, beinahe unter der Folter gestorben wäre, so hat El Nani, der viel zarter war, sie nicht überstanden, schließen seine Schwestern.

Im tiefen, tiefen Meer

Nani sei der Matarile, aus dem alten Volkslied, hätten die Polizisten später im Scherz zu ihm gesagt, erklärt vor Gericht der Juwelier Venero. Wo sind die Schlüssel, Matarile? Im tiefen, tiefen Meer. Durch den Inspektor Victorino Gutierrez Lobo habe er gehört, El Nani sei in einem Hügel in der Nähe von Madrid begraben, und „nicht einmal die Zähne“ seien von ihm übrig. Ein anderer Zeuge wird aussagen, El Nanis Leiche liege in einem Teich nahe der andalusischen Stadt Cordoba. Eine Durchsuchung des Teichs endet jedoch ergebnislos. Die verdächtigen Polizisten sind unterdessen nicht untätig. Gefangene werden motiviert, auszusagen, sie hätten El Nani gesehen, ein anderes Mal soll er sich in Mexico aufhalten. Zweimal benutzen sie ihn als Vermittler, so der Juwelier Venero, um Angel Manzano eine tödliche Falle zu stellen, weil er mit der Presse gesprochen hat. Venero schlägt ihm zwei Mal einen Überfall vor, bei dem er dann von den Beamten bei frischer Tat erschossen werden soll. Doch Manzano ist mißtrauisch und lehnt ab.

Es dauert lange, bis es gelingt, eine Anklageerhebung gegen die Polizisten zu erwirken, und von mehr als zwanzig Verdächtigen bleiben schließlich nur noch sieben Angeklagte übrig. Die spanische Justiz liebt solche Fälle nicht sonderlich. Seit zwei Jahren sitzen die drei Hauptangeklagten Fernandez Alvarez, Gutierrez Lobo und Aguilar Gonzalez in Untersuchungshaft, die anderen vier sind in provisorischer Freiheit. Im April wurde der Prozeß eröffnet. Wegen unerlaubter Festnahme ohne Beweis späterer Freilassung, wegen fortgesetzter Urkundenfälschung und wegen Folter. Nicht wegen Mords. Wo keine Leiche ist, kann nur schwer wegen Mordes angeklagt werden.

Sensible Menschen

In den Plädoyers ihrer Verteidigung Ende Juli werden die Angeklagten wieder zu vorbildlichen Hütern von Recht und Ordnung. Die Familie Corrella sei mit aller Höflichkeit behandelt worden, versichert mit schnarrender Stimme und wehender Toga der Verteidiger des Angeklagten Fernandes Alvarez, Rodriguez Menendez. Die Festgenommenen seien Mitglieder einer höchst gefährlichen bewaffneten Bande gewesen, und dadurch sei die Anwendung des Antiterrorismusparagraphen voll gerechtfertigt. Aber Folter habe es keine gegeben. Denn sein Klient, Kommissar Fernandez Alvarez, sei ein sensibler, humaner Mensch und Beamter eines Rechtsstaats und als solcher könne er gar nicht gefoltert haben. Sieben breite Rücken sitzen nebeneinander auf dem Holzbänkchen der Angeklagten. Hinter ihnen bange Ehefrauen mit gestärkten Krägelchen. Einer schläft, als der Staatsanwalt von Folter spricht. Ein anderer wackelt nervös mit dem Fuß. Hört er die Schreie wieder? Oder fühlt er sich schon längst wieder als der pflichtbewußte Beamte, zu dem sein Verteidiger ihn macht? Das Beste, was El Nani tun könne, schreit der Advokat Rodriguez Menendez, sei, bei einer Zeitung anzurufen und sagen: „Hier bin ich.“ Wo ist das Gold, Matarile? Im tiefen, tiefen Meer.

Im September wird das Urteil erwartet.

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