piwik no script img

Viertel im Fisch-Suff

■ Fischhändler darf Schampus zu preisgekrönten Fischhäppchen ausschenken / Beirat wittert Behördenwillkür und kämpft gegen Schank-Konzession für „Minderimbiß“

Wer Fisch ißt, steht mit einem Bein in der Trinkerheilanstalt. Gambas mit Knoblauchsauce, 100 Gramm zu 9 Mark 80, dazu ein Schöppchen Pouilly FumeLoire (3,80), ein Gläschen Heidsieck (8,50) zum Nachspülen für ein Pärchen „Lukullus-Möpse“ - so hat in Kreisen der High-Society schon manche AlkoholikerInnen-Karriere angefangen. Man weiß, wo das endet: Im Silvester-Vandalismus, wenn die völlig beschickerte Viertel-Schickeria Delikateß-Geschäfte plündert, die Korken geklauten Schampus‘ knallen läßt, während die Ordnungsmächte entweder selbst besoffen sind oder ernüchtert, aber ohnmächtig, daneben stehen.

Im Ostertor-Viertel leistet seit 14 Tagen das Fischgeschäft Kähler dem hemmungslosen Sekt-Suff dramatischen Vorschub. Der Stadtteilbeirat hat den Kampf gegen den „Champagner-Abusus“ incl. der Behördenwillkür, die ihn möglich gemacht hat, aufgenommen. Am Dienstag verabschiedete der Stadtteilbeirat mit den Stimmen von SPD und Grünen einen Antrag, die dem Minderimbiß Kähler (so die behördendeutschliche Bezeichnung für den Fischhandel mit Häppchen- und Schlückchen-Tresen) erteilte

Teil-Konzession für Sekt- und Weinausschank umgehend wieder zu entziehen. Der sozialpolitische und pädagogische Kampf um „trockene“ Kinder im Viertel sei sozusagen schon verloren, wenn die Kleinen in einem Umfeld der schaum- und weißwein -schlürfenden Fisch-Gourmets groß werden müßten. Als ob die Probleme des Viertels nicht so schon groß genug wären, Kneipe an Kneipe, Nachtbar an Nachtbar, Supermärkte, aus denen sich das Billig-Pils palettenweise abschleppen läßt. Für den Beirat bringt Fischhändler Kähler das Faß jetzt endgültig zum Überlaufen.

Zumal: Jahrelang haben sich Beirat und Ortsamt erfolgreich gegen jede weitere Ausschank-Konzession im Viertel gewehrt. Die von Bau- und Innenbehörde - während der Urlaubsabwesenheit des Beirats - klammheimlich erteilte Kähler-Konzession mißachtet damit nicht nur eine eindeutige und einstimmige Be

schlußlage des Beirats, sondern könnte obendrein Schule machen bei weiteren Lebensmittel-Fachgeschäften: Bäcker, die Eierlikör zu Schwarzwälderkirsch servieren, Geflügel- und Wildgeschäfte mit Burgunder- und Weißherbst-Tresen - kein Einkaufsbummel, der nicht im Vollrausch enden könnte.

Dabei hatte Fischhändler Walter Kähler sich seinen privaten Ausweg aus der Nematodenkrise so schön gedacht. Für „schrecklich viel Geld“ ließ der Mann, der in seiner Jugend vorm Einstieg ins elterliche Fischgeschäft immerhin drei Semester Zahnmedizin und bei Ex-Finanzminister Karl Schiller sogar Volkswirtschaft studiert hat, jetzt die Schankwirtschaft ausbauen. Feinster italienischer Marmor an den Wänden, rötlich-hochglänzender Granit auf dem Fußboden liefert seither den 18 DLG-prämierten Fischsalaten von Ehefrau Annemarie ein würdiges Ambiente und macht der Bücklings-Kundschaft von

einst zeitgemäße Lust auf Feinkost-Fisch. Aus echt angelsächsischen Antik-Hölzern ließ Kähler sich eine Appetithäppchen-Bar für Gambas und Garnelen maßtischlern. Was allein fehlte: Die Konzession.

Senatsdirektor Hans-Otto Schulte, der am Montag zum Rapport vor den Beirat zitiert war, hatte zu seiner Rechtfertigung nur so viel beizusteuern: „Seine Jungs“ (gemeint die Beamten seiner Behörde) hätten im Rahmen ihrer Ermessensspielräume pflichtgemäß abgewogen und sich dann im Sinne des „Investors“ entschieden. Heftig dementierte Schulte den Verdacht, Senatorin Eva-Maria Schulte-Lemke hätte dem „pflichtgemäßen Ermessen“ kräftig nachgeholfen. Fischhändlerin Annemarie Kähler weiß es besser: „Die Senatorin war vor ihrem Urlaub selbst da, hat ein bißchen gekostet und war so begeistert, daß sie uns versprochen hat 'Sie kriegen grünes Licht!'„

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen