: Giftmüll-Kolonialismus
Die Gnome in den Großbanken an der Zürcher Bahnhofstraße pflegen zu wissen, wo's langgeht. Die jüngste Empfehlung des Schweizer Bankvereins: Aktien des US-Unternehmens Chemical Waste Management an der Zürcher Börse kaufen. Die Firma, die den Kunden verspricht, sich um die Beseitigung ihrer Chemieabfälle zu kümmern, steigert ihren Nettogewinn, so wissen die Anlageberater zu berichten, jährlich um 25 Prozent.
Ein Ende des Booms ist kaum abzusehen. Die Preise der Branche richten sich nach Angebot und Nachfrage, und der Nachfrageüberhang wird weiter zunehmen. Für bundesdeutschen Chemiefirmen zum Beispiel wird es immer schwieriger, ihre hochgiftigen Abfälle loszuwerden: Die betriebseigenen Sondermülldeponien werden in Kürze überquellen, für hochgiftigen Sondermüll fehlt es schon heute an Spezialöfen und Endlagern.
Bislang wandert jährlich ein Gutteil der insgesamt rund fünf Milllionen Tonnen Sondermüll in die DDR - doch wie lange noch? Je mehr Wirbel bundesdeutsche Kommunen wie Lübeck um die DDR-Deponie Schönberg verursachen, die ihr Grundwasser zu verseuchen droht, desto schneller wächst auch der Protest kritischer DDR-Bürger, die ihr Land nicht als Müllkippe der devisenstarken Brüder und Schwestern sehen wollen. Und neue Deponien wie Verbrennungsöfen in der Bundesrepublik selbst stoßen überall auf Protest - selbst bei CDU-regierten Kommunen.
Um den „Entsorgungsinfarkt“ (Umweltminister Klaus Töpfer) noch hinauszuzögern, bleibt der Aufbruch in die „Dritte Welt“. Dort stören weder Auflagen noch Umweltgesetzgebung, vor allem gibt es kaum staatliche Kontrollen. Erst wenn der angelieferte Müll, wie in der nigerianischen Hafenstadt Koko geschehen, zum Himmel stinkt, müssen die Behörden ihre fest zugedrückten Augen öffnen.
Und keineswegs sind die unmittelbar Beteiligten immer nur „individuelle Mittelsmänner oder kleine Firmen“, wie noch vor kurzem der Direktor der UNO-Umweltbehörde, der Ägypter Mostafa Tolba, behauptete. Längst haben mehrere afrikanische Staaten - Benin, Guinea-Bissau und der Kongo - kleinlaut zugegeben, daß sie Verträge unterschrieben hatten, die eine Abnahme von Giftmüll garantierten. Auf der Konferenz der Organisation für Afrikanische Einheit gelobten sie dann Ende Mai feierlich, keine Müllkippen mehr zu vermieten.
Doch was, wenn künftig steigende Preise locken? Bislang haben Chemiefirmen, Vermittler und Transportunternehmen den Reibach gemacht. In der Bundesrepublik werden für die Verbrennung PCB-haltiger Abfälle bis zu 4000 Mark pro Tonne kassiert. 70 bis 90 Mark sollte Guinea-Bissau pro Tonne erhalten, ganze 15 Mark Tunesien.
Wer seinen Giftmüll loswerden wollte, sollte dafür 800 Mark pro Tonne an die (inzwischen angeblich eingestellte) baden -württembergische Frima S.O.P. („Sondermüll-Organisation und Problemlösung“) berappen. Bei minimalen Transportkosten auf dem Weg durch die Weltmeere ein satter Profit.
mr
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