„Lieber trocken Brot als im Fleisch den Tod“

■ Ein schwäbischer Tierarzt stellt im Zusammenhang mit den verseuchten Kälbern die Seins-Frage: Welcher Tod ist angenehmer: der durch Krebs, Nierenversagen oder Kreislaufkollaps? / „Am Schluß sind wir die Gemästeten“ / Die Tricks der Tierhändler sind seit langem bekannt

Schon seit Jahren züchten führende Hersteller von Kindernahrung eigene Kälber. Weshalb Tierärzte grundsätzlich vor Kalbfleisch warnen, was im Fleisch der wandelnden Giftschränke wirklich gefährlich ist, darüber erfährt die Öffentlichkeit nichts oder wenig. Zuverlässige Testmethoden gibt es nur wenige, angewandt werden sie fast nie.

Synthetische Hormon-Cocktails wie „Östradiol-Benzoat“, „Testosteron-Zyprionat“ und „Testosteron-Proprionat“, so das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium, seien in 300 von 6.000 untersuchten hiesigen Kälbern gefunden worden. Die Verwendung des Cockails „Trennbolon“, so der stellvertretende BUND-Vorsitzende, Hormonspezialist und Tierarzt Hans Jörg Breitiger, sei seit Jahren bekannt. Allen gemeinsam, so Breitinger, sei ihre krebserregende und gentoxische Wirkung. Über die Nahrungsaufnahme dringen die Sexualhormone in den menschlichen Körper ein, zerstören Zellen und Zellkerne oder manipulieren Keimzellen. Die Folge: Krebs, Wachstumsstörungen bis hin zum Stillstand des Knochenwachstums, Störung des Stoffwechsels, Gefäßveränderungen, Veränderung des Sexualverhaltens und der Geschlechtsanlagen. Am Schluß, meint Hans Jörg Breitiger, sind wir die Gemästeten.

Außer mit Hormonen werden Kälber wie Schweine mit Antibiotika immunisiert und mit Kreislaufmitteln (Betablockern) stabilisiert. Antibiotika werden für Immunschäden, Allergieen und Nierenschäden verantwortlich gemacht. Beta-wirksame Kreislaufmittel führen zum Abfall des Blutdrucks und bei kreislaufgestörten Menschen schlimmstenfalls zum tödlichen Kreislaufkollaps.

Das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium fordert jetzt einen europaweiten Grenzwert für synthetische Hormone von 500 Picogramm (Billionstel) pro Liter Serum. Völliger Unsinn, meint Breitinger, denn jedes einzelne Hormonmolekül hat dieselbe Wirkung, auch dann, wenn der chemische Nachweis kaum möglich ist - die Gesundheitsgefährdung nimmt nicht proportional zu oder ab.

Aber der BUND-Tierarzt und andere Spezialisten warnen nicht nur vor dem aktuellen Verzehr von Kalbfleisch. Höchstens zwei Prozent aller Mastkälber müssen laut Tierhygienegesetz bei der Schlachtung auf Rückstände untersucht werden, aber nur wenige Schlachthöfe verfügen über geeignete Analysemethoden wie z.B. den Radioimmuntest.

Und die Tricks der Händler, die Tiere ungeschoren durch die bescheidene Kontrolle zu bringen, sind Tierärzten seit langem bekannt: Untersucht werden höchstens die ersten drei Kälber, der Rest passiert anstandslos mit oder ohne Hormon.

Und selbst bei einer Untersuchung hormonbehandelter Tiere ist die Entdeckung selten. Statt wie jetzt in Nordrhein -Westfalen, ist es ebenso üblich, das Hormon statt in den Hals, in Ohren und Hufe zu spritzen, und die sind bei einer Untersuchung längst abgetrennt. Darüber hinaus, so H.J. Breitinger, können eh nur solche Hormoncocktails analysiert werden, deren Bestandteile vorher bekannt sind, jede neue Mischung ist von den natürlichen Hormonen der Tiere nicht unterscheidbar.

Eine wirksame Kontrolle müsse deshalb, unangemeldet, bei den Kälbermastfirmen und dort im Kot und Urin der Tiere stattfinden. „Der Fleischer möge sich unterstehen, das Kalbfleisch aufzublasen, um ihm ein besseres Ansehen zu geben.

Eine abscheuliche ekelhafte Gewohnheit, daß man essen soll, was ein anderer mit seinem vielleicht stinkenden und gefährlichen Atem aufgeblasen hat“, heißt es in einer Gothaer Verordnung des 18. Jahrhunderts - so harte Hygienevorschriften kommen wohl nie wieder.

Dietrich Willier