: Radio Bremen vorm 11-Millionen-Loch
■ Programmdirektorin Sommerey macht mit Sparzwängen harte Programmpolitik / Offene Briefe gegen Fluß-Bewerbung für Fernseh-Direktors-Job und gegen ersatzlose Streichung von Rizz / Mitarbeiter unterschrieben 146mal
Manfred Fluß soll lieber nicht Fernsehdirektor bei Radio Bremen werden. Eine „herzliche Bitte“, auf eine Bewerbung für den zum Jahreswechsel freiwerdenden Posten zu verzichten, hat gestern der RB-Redakteursausschuß dem SPD -Bürgerschaftsabgeordneten schriftlich gegeben. In ihrem Brief an Fluß bringen die Redakteure zwar Verständnis auf, „daß sich bei der SPD durch die medienpolitischen Mißerfolge der letzten Zeit eine Art Nachholbedürfnis aufgestaut“ habe. Für den Redakteursausschuß wichtiger: professionelle Qualität und politische Unabhängigkeit. Obwohl aus anderen Sendeanstalten inzwischen bekannt sei, daß „als Qualifikation für einen Leitungsposten im öffentlich -rechtlichen Fernsehen häufig genug eine entsprechende Karriere in der jeweils regierenden Partei genügt“, bittet der Ausschuß den Abgeordneten, auf eine „politisch fatale Kandidatur“ zu verzichten.
Die Nachfolge des zum Hessischen Rundfunks wechselnden Hans -Werner Conrad wird heute auch den Rundfunkrat des Senders beschäftigen. Weitere mögliche Themen der Sitzung: Die Sparkonzepte bei Radio Bremen, insbesondere das für den 31. De
zember angekündigte Ende von „Rizz“. Nachdem in den letzten Tagen stapelweise Briefe bei Rizz-Redaktion und Programmdirektion eingegangen sind, die den Fortbestand von „Rizz“ fordern, bekam das RB-Direktorium gestern auch einen von 146 Mitarbeitern unterzeichneten Brief mit entschiedenem Protest gegen die „beispiellose Vernichtung von Arbeitsplätzen bei Radio Bremen“. Unabhängig davon protestierte gestern auch der Redakteursauschuß in seiner Betriebszeitung grünlicht gegen die Einstellung von Rizz: Programmdirektorin Karola Sommerey benutze einen „von außen gesetzten Sparzwang, um interne Diskussionen über die Gestalt eines zeitgemäßen Jugendfunks per ordre de mufti zu beenden.“ Forderungen des Redakteursausschusses: Weiterhin eine eigene Redaktion mit eigenem Etat für den Jugendfunk, eigene, wiedererkennbare Sendeplätze im 1. und 4. Programm, Beteiligung der bisherigen Rizz-Mitarbeiter an der Neuplanung.
Hintergrund der hektischen Spardebatten des Senders, der derzeit ganze Programmteile und Redaktionen zum Opfer zu fallen drohen: Spätestens 1989 droht Radio Bremen nach bisherigen
Schätzungen des Direktoriums ein Defizit von rund 11 Millionen Mark. Schon der Etat diesen Jahres ist bei einzelnen Redaktionen drastisch überzogen, nachdem Hoffnungen auf eine Gebührenerhöhung bislang am Veto des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Lothar Späth, gescheitert sind. Bei einem Kassensturz Mitte des Jahres stellte das Direktorium fest: Erstens eine Einigung sämtlicher Bundesländer auf einen neuen Medien-Staatsvertrag ist zumindest 1988 nicht mehr zu erwarten. Zweitens der Etat, der in der Hoffnung auf die damit fällige Gebührenerhöhung festgelegt wurde, ist entsprechend nach unten zu korrigieren. Während sämtliche Abteilungen von der Haustechnik über die Verwaltung bis zum Fernsehen dem Sparzwang beugten, weigerte Hörfunk-Chefin Sommerey, bei ihren Redaktionen mit dem Klingelbeutel sammeln zu gehen. Erfolglos. Der Verwaltungsrat forderte Sparvorschläge des Hörfunks in einer Größenordnung von 300.000 Mark. Insgesamt seien noch 1988 2,2 Millionen quer durch alle Abteilungen des Senders einzusparen.
In den kommenden Sitzungen von Verwaltungs-und Rundfunkrat kann Karola Sommerey allen
falls mit mittelmäßigen Erfolgsbilanzen ihrer Sparbeschlüsse aufwarten. Rund 130.000 der geforderten 300.000 Mark sind in den Redaktions-Etats inzwischen mit Sperrvermerken versehen. Um guten Willen für die Zukunft des nächsten Jahres zu demonstrieren, gab Sommerey gleich zeitig „Rizz“ zum Abschuß frei. Weitere Sparvorschläge für 89: Das RB-Begleitheft für die Schulfunksendungend es Bildungsprogramms sollen eingestellt werden, im Bereich „E -Musik“ soll auf einzelne aufwendige Produktionen verzichtet werde. Daß das drohende Millionen-Loch damit
nicht zu stopfen ein wird, weiß die Programmdirektorin selbst am besten. Die Aussichten für die Zukunft des Senders lauten: Entweder Gebührenerhöhung oder Konkurs.
K.S.
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