: Bayerische Religions(un)freiheit
Gymnasiast kämpft um Befreiung vom Religionsunterricht / Freie Entscheidung in Bayern erst ab 18 Jahren möglich / Landesrecht widerspricht Bundesrecht / Kultusministerium spricht von Abiturientenulk ■ Aus München Luitgard Koch
Der Freistaat Bayern verweigert seinen Schülern die Befreiung vom Religionsunterricht. Jetzt hat sich ein bayerischer Gymnasiast mit einer Petition an den Landtag und einem Schreiben an den Kultusminister gewandt, um gegen diese Einschränkung zu protestieren. „Ich halte es für eine Frechheit, wie der bayerische Staat mit den Rechten seiner Bürger umgeht“, empört sich der Schwabe.
In Bayern darf sich ein Schüler erst ab 18 Jahren ohne Einwilligung der Eltern vom Religionsunterricht befreien lassen. Dies ist in Artikel 173 der bayerischen Verfassung festgelegt. Auch damit tanzt Bayern aus der Reihe. Denn nach dem Bundesgesetz kann ein junger Mensch bereits ab 14 Jahren entscheiden, welcher Religionsgemeinschaft er sich anschließen will. Damit verbunden ist auch die Entscheidung, den Religionsunterricht nicht mehr zu besuchen. Das bayerische Kultusministerium weiß, daß sich hier Bundesrecht und Landesrecht seit 1968 widersprechen.
Mit dem Hinweis auf ein bereits überholtes Gesetz, nach dem bei konträrer Gesetzgebung Landesrecht zu Bundesrecht werden kann, versuchte man den Gymnasiasten abzuspeisen. Außerdem berief sich das Ministerium auf den bayerischen Landtag, der 1982 die bayerische Regelung bestätigte.
Das Ministerium will jedoch in der Frage der Religionsfreiheit noch weiter gehen. Man will dafür sorgen, daß demnächst nicht nur die Befreiung vom Religionsunterricht ohne elterliche Zustimmung erst mit 18 Jahren möglich ist, sondern auch der Austritt aus der Religionsgemeinschaft. Denn sonst könnte ja ein cleverer Schüler auf die Idee kommen, einfach aus seiner Religionsgemeinschaft auszutreten, und damit auch ohne Unterschrift der Eltern dem Religionsunterricht fernzubleiben. „Ein Schüler unter 18 Jahren könnte ja die bayerische Verfassung unterlaufen“, fürchten die Herren der Kultusbehörde. Ansonsten jedoch läßt man sich nicht aus der Ruhe bringen und sieht in dem Anliegen der Gymnasiasten einen „Abiturientenulk“. Ob der bayerische Landtag der Petition des Gymnasiasten folgen wird, ist fraglich, hat er doch sogar das Schulgebet zu Beginn des Unterrichts verordnet.
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