: Die zehn „fliegenden Idioten“ Italiens
„Das“, schwärmte die Tageszeitung 'Il Giorno‘ im Juni nach der letzten Vorführung am Himmel über Rom, „das macht uns keiner nach - alleine deshalb geht man immer wieder zu dieser Truppenparade.“ Die Rede war, natürlich, von den „Frecce tricolori“ (dreifarbige Pfeile), der nachtblau getönten und mit einem Pfeil im nationalen Grünweißrot versehenen Zehner-Kunstflugstaffel Italiens. Wenn sie ihre selbstverständlich auch grünweißroten - Rauchfahnen ausstießen, ihre Spezialfiguren mit gruseligen Namen wie „magische Doppeltonne“, „Himmelsbombe“, „Todesspirale“ oder „Höllenbegegnung“ an den Himmel malten und in Baumwipfelhöhe über die Zuschauer hinwegdonnern, dann „erfüllt das die Nation mit Stolz und Freude“, wie sogar der sonst weniger zu großen Worten neigende Staatspräsident Francesco Cossiga formuliert. Kurz: eine „Formation von Teufelskerlen“ ('La Repubblica‘). Daß die Teufelskerle auch ein echtes Inferno anzetteln können, wußte man freilich auch schon vor Ramstein - die weniger chauvinistischen Spitznamen lauteten denn im Volk auch „fliegende Idioten“ oder „Himmels-Kretins“.
Neben den halsbrecherischen Figuren gehört zu den Spezialiäten des „313. Geschwaders zur Ausbildung von Luftakrobaten“ auch die Rekord-Unfallträchtigkeit. 1963, drei Jahre nach Einrichtung der derzeitigen Schule nahe Udine in Oberitalien, stürzten zwei F86E während einer Vorführung bei Forli ab - der eine (dann getötete) Pilot konnte seine Maschine gerade noch über die Köpfe der 15.000 Zuschauer wegziehen. 1970 stürzte eine C119 des Geschwaders auf die Piste, sieben Piloten kamen ums Leben; 1972 fiel eine Fiat G91 der Rotte nach einer Vorführung in Udine vom Himmel. 1973 stießen zwei G91 während der Feier zum Nationalfeiertag bei Rom ab - ein Pilot kam per Fallschirm gerade noch aus seiner Maschine, der andere starb. 1981 berührten sich auf dem Ausbildungs-Flugplatz zwei Jäger, wobei dann auch jener Pilot starb, der 1973 gerade noch davongekommen war.
Insider berichten darüber hinaus von zahlreichen weiteren, meist totgeschwiegenen Zwischen- und Unfällen, „so an die zwei Dutzend pro Jahr“, wie ein Experte des Verteidigungsministeriums sagt, „jedenfalls der Zahl der Neuanschaffungen nach zu urteilen. Wir wundern uns nur, warum sie immer wieder eingeladen werden.“ An bloßem Unwissen kann es nicht liegen, nicht einmal im Ausland: So verlor 1979 einer der Italiener während der Feiern zum 30jährigen Nato-Bestehen im englischen Erlswell (Suffolk) plötzlich an Höhe und stürzte unmittelbar neben einem randvoll besetzten Campingplatz ab. Doch was sind Dutzende von Unfällen und zahlreiche Tote schon gegen eine mächtige Tradition. „Wir wünschen uns nur“, sagte ungerührt am Montag morgen der Kommentator des ersten staatlichen Rundfunkprogramms, „daß es nun zu keinen überzogenen Polemiken kommt“, und völlig unpassend zum Anlaß brachten die staatlichen Fernsehkanäle am Sonntag abend immer wieder lange Sequenzen wunderschöner Himmelsfiguren, verweisen ein ums andere Mal auf die „fast 60jährige Geschichte“ der Formation (Mussolini hatte sie gegründet) und auch darauf, „daß keine einzige Kunstflugstaffel der Welt mit neun Flugzeugen und einem Solisten arbeitet“. Es war genau jener „Solist“, der mit seiner Macchi MB339A in Ramstein von der Seite her anflog, seine Kameraden mitriß und dann inmitten der Zuschauer explodierte.
Werner Raith/Italien
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