: Ein Zungenkuß als Kritik am „Dasein“
■ Die diesjährige Breminale gestern als „Kulturspektakel besonderer Art“ eröffnet / Ein männlicher Zungenkuß und ein verwesender Riesen-Thunfisch / Volles Programm auf den Weser-Wiesen bis zum 4. September
Bankangestellte nach Dienstschluß blieben gestern nachmittag auf dem Bremer Marktplatz stehen, die Frauen mit den schweren Einkaufstaschen, Schaulustige, die wußten wohinein sie geraten waren: Ca. 2 - 300 Menschen bildeten die Kulisse für die feierliche Eröffnung der diesjährigen Breminale. Den Fotografen hatten die Veranstalter einiges zugemutet: Ein Männer-Zungen-Kuß, Minuten in die Länge gezogen und von zwei sich mundlings berührende Fischchen hintergründig veräfft, provozierten die Kamera-Leute zu Verrenkungen - und sollten das auch. Die Erklärung für diese Inszenierung mußten die Schaulustigen sich aus der Festansprache von Hans König selber zusammenreimen: Mangelhaftigkeit der Wahrnehmung war das Thema. In diesem Moment, in dem ich diese Luft atme, kann ich nicht in Boston Germanistik studieren, erklärte er, oder, frei nach Nietzsche: Das Dasein ist nur ein Gewesenes, ein Ding, das davon lebt, sich selber zu verneinen und zu verzehren und sich selbst zu widersprechen.
Die Umherstehenden konnten den Zungenkuß mit seinen sich verzehrenden oder widersprechenden Seinsweisen nur mangelhaft wahrnehmen, um so mehr
machten die bunten Gestalten der Theater-Truppe des Blaumeier-Ateliers auf sich aufmerksam. Ein Stück 19. Jahrhundert hatten die Ex-Blankenburger inszeniert, mit Trachten-Pärchen, einer echten Pferdekutsche und „Sissi in Nöten“ mit dickem Kissen unter dem Kleid. Die in Bremen noch
von der heißen Silvester-Nacht am Sielwall-Kreuz beleumundete Samba-Gruppe hatte sich guten Zwirn und Smoking im Pfandhaus erstanden, um diesmal einen guten Eindruck zu machen. Vorneweg marschierte die Blech-Bläser-Gruppe „Teufelswerk“ - so zog die eröffnende Menge mit
dem riesenhaften Thunfisch in Richtung Festwiesen. Der wurde dort in einem vornehm ausgestatteten Wohnwagen auf das Sofa gelegt, und durch einen Geruchsstutzen dürfen die Breminale -Besucher die Vergänglichkeit des Fisches erschnüffeln.
Auf den Weser-Wiesen stehen
schon die Zelte für das „Breminale„-Programm. Mitten in dem fieberhaften Treiben kamen gestern nachmittag dort vor allem die Kinder zu ihrem Recht: Mit Malstiften und auf Seilen genossen sie das Angebot zu Spiel und Spektakel. Für die Erwachsenen sollte es erst gestern abend losgehen. Bis zum 4. September haben sie die Qual der Wahl: Musik und Theater, Literatur und Bildende Kunst sowie jede Menge Aktionen machen fünf Tage und Nächte lang das Weserufer zum kulturellen Zentrum der Stadt. (Programm siehe täglich im „Bremen-Heute„-Kasten)
Allein die Musik präsentiert sich in 30 Veranstaltungen von Klassik bis Rock. Theater aus Bremerhaven und Bremen, ein Ensemble aus den Niederlanden, das Tanztheater Regenbogen aus Koblenz und etliche andere Gruppen zeigen ihre Kunst. Bei zahlreichen Lesungen sind neben niederdeutschen Autoren auch Gäste aus der DDR dabei. Und besonders herausragen dürfte die Videoinstallation „Stille Wasser“ des Braunschweigers Peter Dargel: Eine auf eine riesige Leinwand projizierte Video-Wasseraufnahme spiegelt sich in einem ebenso großen Wasserbecken.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen