: WER WAR GRAF SPEE?
■ Kunst im öffentlichen Gebüsch / Die „Work in Progress„-Ausstellung Kunststück Farbe der NGBK
Die kurze Straße zu Gedenken an den Grafen Spee winkelt sich von der Tiergartenstraße ab zwischen dem nagelneuen Japanmonument und einem Bauzaun, der mit Plakaten von Schlagerkonzerten in Serien überklebt ist. Dahinter wuchert Pioniervegetation und eine verwilderte Italiener-Botschaft altert vor sich hin, danach teilen sich das Grundstück die Lettische, vor der über 200 Blumentöpfe eine Art Gärtnerei -Dschungel bilden und die Griechische Botschaft, die seit dem Brand am Tag nach Melina Mercouris Besuch arg fertig aussieht. Auf der anderen Straßenseite von Graf Spee verbarrikadiert sich der Bewohner der afghanischen Botschaftsruine hinter einem undurchdringlichen Verschlag. Manchmal hört man seinen Esel schreien. Ein Hamburger Reiter gibt dem auslaufenden Asphaltstreifen einen unentschlossenen Schlußakzent und da hört die Graf-Spee-Straße schon auf.
Neuerdings fädelt sich ein Bauzaun mit Maschendrahtflächen und ein „Eingang“ zum plakatierten „Kunststück Farbe„ -Projekt an der Straßenflanke an. Handgeschrieben lenkt ein Pfeil auf einer Pappe zum „Cafe“, das hinter Sandwegen von einem grünen Baucontainer dargestellt wird. Die im Reisebus verladenen Polen machen jedoch lieber auf dem stillen Gehweg der Graf-Spee-Straße Picknick, als daß sie das kulturelle Angebot auf dem umzäunten Gelände für sich in Anspruch nähmen.
Jeden Mittwoch und jeden Samstag finden da Performances und Freilichtkinovorführungen experimenteller Filme statt, umsonst für die Besucher, die dementsprechend unengagiert den verschiedenen Divertissements zugeneigt sind. Das Environment um den Cafe-Container, die locker arrangierten Holzbänke, Balken und Podeste im märklinischen Sand, hat immer etwas von Bauzaunromantik, einem Herz für Kinder und halbherzigem Avantgardewollen. Recht gräußlich im Grund.
Die eigentlichen Bewohner des Graf-Spee-Parkes haben ihre Spuren diskret, aber unübersehbar in die scheinbare Naturwildnis eingraviert. Die Enduro-Freaks haben ein organisches Wege- und Hindernissystem in den Grund geschliffen, das die Verkehrsnester der Prostituierten als Inseln der regulierten Natur erschließt. Im feuchten Gras fliegen die professionell aufgerissenen Plastikverpackungen und traurige Kleenextücher herum. Gewundene wellige Mäander leiten ziellos kreuz und quer an Spontanvegetationshügeln vorbei und herum, verlieren sich im brusthohen Gestrüpp, knoten sich um ehrwürdige Knorpelbäume und teilen sich ausufernd zu Lichtungen. Verschrumpelte Londoner schimmern mattsilbern im Unterholz.
Ein Herr Maximilian Reichsgraf von Spee lebte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, siegreich bei Coronel, gefallen in der Schlacht bei den Falklandinseln. Eine diplomatische Schlacht gewann der Initiator und Manager des „Kunststückes“ schon allein damit, daß er die boykottverdächtigen Mietforderungen des zuständigen Tiergartener Bezirksamtes, die den gesamten Lottotopf erschöpft hätten, mit nur schwäbisch zu nennender List erfüllt hat. Eckhard Haisch, als Impresario schon mit dem Projekt „Seestück“ vor der Nationalgalerie 1986 als unverhinderbarer Pfiffikus bekannt, hat die Interessenkollision mit einem schlauen Kompromiß verhindert: Man zahlt bloß Miete für die direkt von Kunstwerken beschlagnahmten Quadratmeter des Geländes. Der nicht gemeinte Spee, Friedrich Spee von Langenfeld, 1591-1635, war ein Jesuit, der mit seiner Schrift „Cautio criminalis“ den Hexenwahn bekämpfte.
24 Berliner Künstler „rücken eine bestimmte Seite des Brachgeländes in ein neues Licht und verstärken so dessen natürliche Gegebenheiten.“ Das stimmt insofern, als sich die Suche nach den Kunststücken ostereiermäßig entfaltet und man nicht umhin kommt, den Ort genauestens zu betrachten. Die Objekte verweisen zwangsläufig auf ihre Umgebung, ob sie sich integrieren oder eben gerade nicht.
Über diesen trivialen Konsens hinaus aber scheinen sich die Künstler nicht allzu konkret mit dem historischen, sozialen und ökologischen Ort des temporären Geschehens konfrontiert gesehen zu haben. Eine alpinaweiß gestrichene Betonfläche verhindert eher die Erkenntnis über ein irgendwann sinnlos angelegtes Straßenstück, zumal die immerhin noch radikale Weißfläche bloß Untergrund eines abstrakten Ornaments in grau-gelb ist. „Schattenspiele“. Und wenn am anderen Ende des Sackgassenstreifens eine schwarz-gelbe Steinhütte steht, ist nicht die kubische Präsenz eines konstruktiven Gebildes gemeint, sondern ein „Haus für einen Fries“, d.h. nur der architektonische Vorwand für eine Bilderhängevorrichtung.
So geht das jedenfalls nicht. Wenn schon niemand die Aufstellung eines Präserautomaten als konzeptuelle Kunstaktion realisiert hat und keiner die Naturwahrnehmung eines Motocross-Rowdies zu untersuchen für nötig hielt, wenn bis auf eine Ausnahme (Susanne Mahlmeister reflektiert die japanische Flagge) niemand die erdrückende Nachbarschaft zu den geschichtstriefenden Gästen von Herrn Spee der künstlerischen Kommentierung für würdig erachtete, warum wagte man sich dann auf solch eigenwilliges Terrain, wäre ein Parkplatz in der City nicht viel effektiver gewesen?
Abgesehen von ihrer relativen Beliebigkeit im Zusammenhang mit ihrem Aufstellungsort gibt's natürlich verschiedene Skulpturen, die vom gutwilligen Betrachter als witzig, geistvoll, gewagt, dekorativ oder gar überraschend beurteilt werden könnten. Der Hit war eine hübsche Spiegelbank im Brennesselbusch (Bruna Esposito), die bereits dem Vandalismus geopfert werden mußte. Ein gläsernes Fertigbau -Gewächshaus mit Kunstblumen drin weckt wohl kindliche Schloß- und Laubenträume, erinnert aber auch fatal an die von Reinhard Mucha im Hamburger Bahnhof - nun wieder richtigherum aufgestellt. Im grünen Alphabetraster hängt ein Baumgeist als Scheibe im Geäst - das rote Rumpelstilzchencape auf seiner Rückseite. Im Unkraut flimmert ein Bildschirm mit Geländeaufnahmen, jedoch nicht die Mopedperspektive und -geschwindigkeit sondern das nostalgische Wackeln eines „Koffers in Berlin“ auf Ewigkeit. Im Mittelpunkt fingert ein bengalischroter Neonstecken schräg wie Tatlins Turm in Flavins Zeitlos-Interpretation ins Leere, und in einem Seitenarm glitzern die Glühlämpchen einer goldenen Buren-Palisade wie phosphoreszierende Holzwürmer. Mehrere Künstler spielen mit würfelförmigem Schlackenstein Lego, der auf dem Gelände aus unerforschtem Grund zuhauf herumliegt, bauen gebündelte Quader daraus, die als zweidimensionale Partituren darüber hängen, oder eine „Berliner Botschaft“ in Form eines Kreuzes, haha.
Aber weder stört die Kunst, außer vermutlich die vertriebenen Mopeds und ausgesperrten Nutten nebst Freiern, noch gibt sie etwas preis. Außer der Tatsache, daß blaugestrichene Blechsegmente so gut in Bäumen hängen können wie man sie dort missen kann. „Kunststück Farbe“ aber hat zweifellos eine Qualität: Man entdeckt ein wunderbares Brachgelände (und ist das nicht schon mehr als genug?), für dessen unkultivierte Erhaltung letztlich auch die Kunst plädiert, indem sie nicht allein mit hermetischen Objekten vielmehr als ein Prozeß und Begehungsanlaß wirkt, und die Kriterien, nach denen jemand mitspielen darf, sind liebenswürdig offen: Eine steinige Kuhle erhält ein Schild, das sie zum Kunstobjekt auszeichnet: „Die Teile ohne Titel“. Die Kuhle füllt sich.
Vogel
Eingänge in der Graf-Spee-Straße, am Reichpietschufer und in der Tiergartenstraße täglich 10-22 Uhr, jeweils mittwochs und samstags ab 18 Uhr Konzerte und Performances (morgen 19 Uhr, Volker-Palma-Performance).
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