Schöner wohnen

■ Morgen werden die Löwen verteilt. Heute ein vorläufiger Schlußstrich unter die diesjährigen Filmfestspiele in Venedig, gezogen von Arno Widmann

Filmfestspiele enden zwar immer mit Preisen, aber nicht alle Filme nehmen am Wettbewerb teil. In Venedig sind dieses Jahr zweiundzwanzig Filme im Wettbewerb. In den anderen Programmen werden sechsundfünfzig weitere Filme gezeigt.

Pro Tag sehe ich vier Filme. Insgesamt also 52. Ich kann davon ausgehen, daß ich jeden Tag mindestens einen Film sehe, den ich durch einen besseren hätte ersetzen können. Diesmal ist eine Pasolini-Retrospektive im Programm: Da weiß ich, daß ich mich jeden Morgen für den falschen Film entscheide. Heute zum Beispiel wäre jeder vernünftige Mensch in Pasolinis Decamerone gegangen statt in Dichovicnyis Verfilmung der Tschechow-Erzählung Der schwarze Mönch.

Bis Samstag war kein einziger wirklich guter Film zu sehen. Stattdessen jede Menge 'Fernsehspiel‘. Dumpfe Trübnis, die einen hineinziehen möchte in Einfallslosigkeit, selbstgefällige Verbohrtheit in eingebildete Leiden, auf die sich ganze Generationen von Regisseuren spezialisiert zu haben scheinen. Das trifft große und kleine: Theo Angelopoulos (Griechenland) ebenso wie Wojciech Jerzy Has (Polen) und Ermanno Olmi (Italien) nicht weniger als Joao Botelho (Portugal). Was sie alle umtreibt, ist das hehre Ziel, Kunst zu produzieren. In jeder Einstellung spürt man und soll man spüren: Hier wird Kunst gemacht. Seht Ihr den Baum dort stehen? Er ruft: Ich bin ein Symbooool. Diese Reise ist keine Reise. Sie ist eine Initiation. Nichts ist, was es ist, alles zitiert etwas anderes. Eine Schwester und ein Bruder sind nicht eine Schwester und ein Bruder, sie sind Brüderchen und Schwesterchen, Fabelwesen, vorfabrizierte Pappfiguren aus den Arsenalen der für die freiwillige Selbstkontrolle unserer Gehirne zuständigen Industrien.

Das Vertrackte am Kino sind die Produktionskosten. Ein Romancier kann sein Manuskript, wenn es ihm nicht zusagt, ohne große Folgen wegwerfen. Ein Maler übermalt sein Bild drei-, viermal. Ein Regisseur hat, bevor auch nur eine Viertelstunde Film im Kasten ist, schon so viel (fremdes) Geld ausgegeben, daß er nicht mehr zurück kann. Wenn er gar am Schneidetisch feststellt, daß er nichts Vernünftiges abzugeben hat, dann kann er dem Produzenten nicht einen lieben Brief schicken: Es tut mir leid, aus der Sache ist nichts geworden. Nächstes Jahr bringe ich Dir etwas anderes.

Alexander Kluge betont immer wieder, man - das Publikum, vor allem aber die staatliche Filmförderung - müsse in die Entstehungskosten der ersten großen Erfolge - sein Standardbeispiel ist Sauras Carmen, den er, da bin ich mir sicher, für einen Schmarren hält - die mißglückten frühen Werke mitrechnen. Eine völlig verrückte Kalkulation. Sie läuft darauf hinaus, daß man die Produktion von Filmen als verlängerte Lehrzeit betrachtet.

Die scheint in der BRD freilich besonders lange zu dauern. Während in den USA eine ganze Reihe von Leuten um die 30 Filme machen, die den Vergleich mit Sauras Carmen - zart ausgedrückt - nicht zu scheuen brauchen, gibt es bei uns ein Dutzend Leute über 45, in deren Zukunft wir fröhlich weiterinvestieren sollen. Ich habe nichts dagegen, wenn man sagt: 'Kluge ist ein bedeutender Mann, der Staat soll bei ihm Julius II. spielen und ihm zehn Sixtinische Kapellen zur Verfügung stellen.‘ Wenn aber behauptet wird, man mache das, um ihn in einen Makart zu verwandeln, dann ist das gelogen.

Neben den einfach schlechten, weil gut gemeinten, gibt es auch noch die verunglückten Filme. John Schlesingers Madame Sousatzka gehört dieser Kategorie nicht an. Der Autor von Midnight Cowboy, Sunday, bloody Sunday und Marathon Man hat einen überzeugenden Film über einen 15jährigen Schüler der von Shirley McLaine schon chargierten Klavierlehrerin russischer Herkunft Madame Sousatzka gedreht. Wie der Junge indischer Abstammung sich mittels der stockautoritären, aber guten Lehrerin aus der liebevollen Umarmung seiner wunderschönen Mutter (Shabana Azmi) löst, um dann mit Hilfe einer scheiternden Rocksängerin, dargestellt von Twiggy, der Madame wegzuschwimmen und gegen ihren Willen sein erstes Konzert zu geben, das hat mir gefallen. Aber muß Schlesinger wirklich in wiederholten Rückblenden überdeutlich machen, daß Madame Sousatzka auf dem Konzertpodium scheiterte? Diese Szenen ruinieren den Film. Man braucht sie nur rauswerfen, und er wird um Klassen besser. Hat ihm das keiner gesagt?

Zeffirellis Der junge Toscanini ist ein ganz anderer Fall. Schmus von Anfang bis Schluß. Ein Film, der in zehn Jahren ein Renner in den Berliner Nachtvorstellungen sein wird. Seine unfreiwillige Komik, die Schwulenästhetik. Ein Schmachtfetzen. Der junge Toscanini (C. Thomas Howell) auf dem Deck eines Hochseedampfers, auf Ankerketten und dicken Tauen, das Cello zwischen den Knien und ein Symphonieorchester mit Gewitter und Sturm auf dem Soundtrack. Nicht zu überbieten. Oh doch, es kommt besser: Die Gesangsdiva Nadina Bulycova alias Liz Taylor unterbricht die Vorstellung der 'Aida‘, um in aller Öffentlichkeit und vor dem brasilianischen Kaiser, der ihr Geliebter ist, bekanntzugeben, daß sie ihre Sklaven freiläßt. Dazu hält sie eine flammende Rede gegen die Sklaverei. Das Schöne an der Geschichte ist: Sie soll sich wirklich so zugetragen haben. Und doch stimmt bei Zeffirelli kein Ton. Desto gelungener die Interieurs: Samt und Brokat an den Wänden, prächtig arrangiertes Mobiliar, an den Fenstern sattgrüne Pflanzen, dazwischen bunte Papageien und ein schönes Tier, das ich für einen Leoparden zu halten geneigt bin. Ich wüßte einen Beruf für Zeffirelli: Innenarchitekt bei Kashoggi.