Von der Panthertante zur Quotilde

■ Der Tomatenwurf auf die SDS-Genossen vor 20 Jahren signalisierte den Aufstand der Frauen. Über die Zeit des „Aktionsrates zur Befreiung der Frauen“ und der Studentenbewegung, über die Wurzeln der Wut und den langen Abschied von der Linken unterhielt sich die taz mit Frauen, die von Anfang an dabei waren. Ein Gespräch auch über den Stand der Frauenbewegung heute. Ob Quotendiskussion oder Leben gegen die Apokalypse - eines wird deutlich: Die Geschichte der Frauenbewegung ist längst nicht zu Ende geschrieben

taz: Hat die Tomate die Geschichte verändert?

Sigrid Damm-Rüger: Sie war eine medienwirksame Provokation und sie kam zur richtigen Zeit. Aber sie war nicht der Beginn der neuen Frauenbewegung. Den „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ in Berlin gab es ja schon. Aber nach der Tomate wurden auch in anderen Städten Frauen-Aktionsräte gegründet.

Margit Eschenbach: Man muß wirklich aufpassen, daß die eigene Geschichte nicht von den Medien geschrieben wird.

Sigrid Damm-Rüger: Darum spreche ich von der Mystifizierung des Tomatenwurfs.

Aber damals in Frankfurt hattest du die Tomaten nicht zufällig dabei. Warum hast du sie eingepackt?

Sigrid Damm-Rüger: Jede ahnte, daß in Frankfurt Frauen genausowenig zu Wort kommen würden wie in den SDS-Sitzungen hier. Helke Sander vom Aktionsrat hatte sich ja nur mit Müh und Not einen Delegiertenplatz für Frankfurt erkämpft. Daher sollte noch jemand Honoriges, Anerkanntes mitgehen, quasi als Aufpasserin. Da muß ich ziemlich abrupt gesagt haben: „Ich geh mit.“ Helke sagte mir später, sie hätte den Eindruck gehabt, das sei pures Mitleid von mir gewesen. Aber das stimmt nicht. Ich habe mir das, was Helke zur Frage der Frauenunterdrückung, besonders der der Mütter, zu sagen hatte, sehr wohl durch den Kopf gehen lassen. Denn mit zunehmender Schwangerschaft rückten die Probleme - die Unterbrechung bzw. die Zurückstellung vom Studium - immer stärker auf mich zu. Irgendwann muß ich begriffen haben: das trifft auch mich.

Wir standen also vor dem Audi-Max der Frankfurter Uni und mußten uns etwas einfallen lassen. Ich kaufte mir Tomaten und dachte, wenn ich sie nicht brauche, dann esse ich sie. Ist ja auch sehr erfrischend in so einem stickigen Sitzungssaal.

Die Idee selbst stammte sicherlich von den Eierwürfen auf das Amerika-Haus in Berlin. Denn wir hatten erlebt, daß wir deftiger werden mußten, damit sich die anderen Gedanken machen.

Nach Helkes Rede kam es wie erwartet: die Genossen wollten nicht darüber diskutieren. Mit der Begründung, sie wären darauf nicht vorbereitet. Es war eine Kapitulation in gewisser Weise, aber es war auch Herrschaft, denn sie dekredierten damit, daß der Punkt nicht auf die Tagesordnung kam. Es kamen drei oder vier solcher dämlichen Beiträge und schließlich stand noch der Vorsitzende des SDS auf, Hans Jürgen Krahl, und da dachte ich mir: jetzt mußt du zulangen.

Hat das Attentat auf den Oberideologen die Stimmung verändert?

Damm-Rüger: Der Saal war ein brodelnder Kessel. Von Empörung bis Zurufe - ja richtig, das war schon lange fällig. Auch Verwirrtheit, was man jetzt machen sollte. Die Debatte wurde dann abgebrochen. Über Nacht haben wir eine weitere Rede geschrieben. Die wurde am nächsten Tag gehalten und auch diskutiert.

Eschenbach: Einige Wochen später gab es ja auch noch dieses Flugblatt: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen.“ Darüber waren viele Frauen empört: das sei nun unter der Gürtelline. War es ja auch. Sollte es ja auch sein.

Es heißt ja immer, die Frauen im SDS seien furchtbar unterdrückt gewesen. Wie seht ihr das?

Schmidt-Harzbach: Diese Darstellung als Opfer mißfällt mir bei der Geschichtsschreibung, auch von seiten der Frauenbewegung: daß wir nur die Flugblätter getippt, unkritisch die Pille geschluckt hätten, Hilfskräfte der Revolution gewesen seien, zum Nebenwiderspruch degradiert.

Wir waren gegenüber unseren Genossen ganz schön fordernd und nicht wie die Häschen. Bei den Mittwochs-Plenen im Republikanischen Club - das war eine Power, wenn wir da reingingen.

Wichtig ist mir aber, daß in der Rückschau nicht verloren geht, daß meine Politisierung überhaupt erst mit der Studentenbewegung begann. Für mich war sie wirklich ein Aufbruch. Ich hatte keine Antworten erhalten, als ich wie viele das Tagebuch der Anne Frank las. Ich wußte nichts von Antifaschismus. In Berlin kam ich dann in eine lebendige Gegenöffentlichkeit. Wir lebten in der Euphorie, Teil einer weltweiten anti-imperialistischen Bewegung zu sein.

Aber wie fandet ihr Frauen euch zusammen? Wo lagen die Wurzeln eurer Wut? Wir sind in einer Zeit groß geworden, als die Frauenbewegung schon längst eine politische Koordinate war. Wie war das bei euch?

Eschenbach: Wir haben die ganze Enge der Bundesrepublik erfahren. Die fünfziger und sechziger Jahre waren Zeiten der Verdrängung. Wir sind mit soviel Widersprüchen aufgewachsen: die Nazi-Vergangenheit der Eltern, ihre „Umschulung“ und die bedenkenlose Neuorientierung auf die USA. Auch sexuell war die Zeit unglaublich verklemmt.

Aber Ende der sechziger Jahre kamen die neuen Themen. Themen, zu denen du selbst etwas sagen konntest. Du wußtest, was die bürgerliche Kleinfamilie ist und was Verdrängung von Sexualität bedeutet. Du durftest plötzlich über deine „Frustrationen“ reden, ein Wort, das es ja vorher gar nicht gab. Die sogenannten persönlichen Probleme, Schwächen, Unsicherheiten wurden öffentlich besprochen. Auch die Sprache veränderte sich. Wir haben über „Faschismus“ gesprochen, nicht mehr über das „Dritte Reich“ oder „die Nazis“. Aber wir entdeckten gleichzeitig, daß in den ganzen Theorien etwas fehlte. Da hieß es z.B. immer Ödipuskomplex. Ja, wo waren die Frauen?

Schmidt-Harzbach: Wir haben damals bereits in einer Emanzipations-Arbeitsgruppe den Denkmalsturz von Freud betrieben. Was ist mit dem „Votzenneid“, haben wir uns gefragt. So haben wir damals gesprochen.

Damm-Rüger: Zurück zu den Wurzeln unserer Wut. Auf uns lasteten ja auch die negativen Erfahrungen, die wir als Mädchen in der Familie und als junge Frauen gemacht hatten. Z.B. mußte ich eine Lehre machen und mein Bruder durfte das Abitur machen.

Mit dem Bildungsaufschwung in den sechziger Jahren dachten wir, jetzt, an der Universität, wird alles anders. Wir könnten ein selbstbestimmtes und anerkanntes Leben führen so wie die Männer. Dann, an der Uni, die Enttäuschung. Es gab keine Vorbilder, keine Professorinnen, so gut wie keine Assistentinnen. Die Männer redeten, und du fühltest dich als absolute Ausnahme, wenn du den Mund aufgemacht hast.

Wenn Kinder kamen, waren es die Frauen, die das Studium unterbrachen und für die Familie sorgten. Dann die Abtreibungen. Wir haben sie organisieren und finanzieren müssen. Im Aktionsrat haben wir uns erzählt, was uns alles passiert ist. Wir haben geschrieben, geweint, und eine hat der anderen das Stichwort gegeben. Wir haben unsere Scham eingestanden, daß wir uns so haben zurichten lassen, alles dermaßen dämlich geschluckt hatten. Das war eine der besten Zeiten in meinem Leben.

Aber ihr habt in den Weiberräten nicht nur „Selbsterfahrung“, sondern auch sehr viel Theorie betrieben?

Eschenbach: Das ist immer das Problem bei dieser Darstellung von Geschichte. Es war alles sehr viel widersprüchlicher. Wir hatten Interessen, die nicht alle unter einen Hut zu bringen waren. Wir hatten in Frankfurt strikte Theoriearbeitskreise, außerdem waren viele Frauen noch in anderen Organisationen. Wir haben richtig Politik gemacht und uns außerdem noch im Weiberrat getroffen. Aber dann stellten wir fest, daß wir die Hälfte des Abends über ganz andere Sachen redeten. Nämlich über Kinder, über die berufliche Situation oder über die Verträglichkeit der Pille. Schließlich erkannten wir, daß die Selbsterfahrung vielleicht doch sinnvoller ist. Das war dann aber schon der Übergang zur neuen Frauenbewegung. In Frankfurt hatten wir ja schon 1972 den ersten großen Kongreß der Frauenbewegung zum Paragraph 218.

Schmidt-Harzbach: Wenn wir nach feministischen Momenten fragen im Aktionsrat, dann fällt mir dazu ein, daß die Frau, die hier in Berlin den ersten politischen Buchladen machte, Texte aus den USA mitbrachte. Das war 1969. Wir machten eine Broschüre „Women Power“. Da war schon dieser Aufsatz von Anne Koeth drin: „Der Mythos vom vaginalen Orgasmus“. Unsere Gedanken waren ein ganz merkwürdiger Cocktail: ein bißchen Marx, Lenin, Bakunin, Mao. Aber auch Rosa Luxemburg. Dann natürlich noch die verschiedenen Emanzipationstheorien, Wilhelm Reich und die Sexpol-Bewegung und eben Feminismus.

Die Entwicklung zur autonomen Frauenbewegung vollzog sich also nach und nach, ohne größere Brüche?

Schmidt-Harzbach: In Berlin gab es wohl einen Bruch. Weil wir ja immer noch an die Studentenbewegung angebunden waren, wirkten sich die beginnende ML-Politik und die zunehmende Dogmatisierung auch auf unsere Arbeit aus. Da kamen Frauen in den Aktionsrat, die klassische Marx-Schulungen wollten. Das verschreckte insbesondere Mütter, die einfach nicht bis spät in die Nacht diskutieren konnten. Wir haben darauf beharrt, daß die Schulung an dem konkreten Frauenalltag anknüpfen sollte. Damit haben wir uns nicht durchsetzen können. Eine ganze Reihe von Frauen verließ den Aktionsrat, der sich dann in den „Sozialistischen Frauenbund“ umwandelte. In Berlin gab es einen Neuanfang mit der Gründung des Frauenzentrums im Januar '72.

Damm-Rüger: Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, weil das fast immer übersehen wird, daß am Anfang der Frauenbewegung die Mütter standen. Fast alle Aufrufe richteten sich an Frauen mit Kindern.

War das in Frankfurt auch so?

Eschenbach: Es waren sehr bald viele Mütter da. Denn das Problem Haushalt, Kindererziehung und politische Arbeit unter einen Hut zu bringen, war groß. Wenn man dies im Kopf hat, findet man das heutige Müttermanifest umso absurder. Denn es ist ja kein Novum, daß die neue Frauenbewegung sich mit Müttern beschäftigt und aus Müttern besteht.

Damm-Rüger: Aber dies ist über Jahrzehnte vergessen worden. Die Grünen Frauen sagen, daß sie heute dafür büßen müssen.

Wie seid ihr denn mit der Militanz auf der Straße zurechtgekommen?

Schmidt-Harzbach: Dazu fällt mir ein schöner Spruch ein: „Die militanten Panthertanten den Terror längst vor Rauschgift kannten.“ Wir aus dem Aktionsrat haben uns selbst als sehr militant empfunden, auch auf Demonstrationen. Das war Teilhabe an dem kleinen Machtrausch. Wenn wir in unseren farbenprächtigen Kleidern die Kreuzung vor dem „Kanzler“ blockierten - dann hatten wir das Gefühl, die Straßen gehören uns.

Damm-Rüger: Ich habe solche spektakulären Aktionen nicht so miterlebt. Bei mir artete das immer gleich in politische Arbeit aus. Ob nun Schulung oder Betriebsarbeit oder Vorbereitung des 1.Mais. Das war immer ganz handfest und realistisch.

Eschenbach: Ich habe oft mit mir gerungen, ob ich meine langen Haare abschneiden soll, weil die Polizei immer an ihnen zerrte und zog. Oft gingen Frauen auf Demos nicht mehr mit, weil nie abzusehen war, ob es Randale gab oder nicht. Daraus haben sich dann die Frauenblocks auf Demos entwickelt. Es ging darum, sich selbst die Maßstäbe zu setzen, herauszufinden, was wir uns als Frauen zutrauen. Später beim §218-Kampf machten wir ja auch Aktionen, bei denen es zu Auseinandersetzungen und Schlägereien kam. Z.B. beim Go-in beim Hartmannbund, diesem konservativen Ärzteverein. Die haben brutal zugeschlagen. Und es gab Sprüche wie: „Euch hätte man mit dem brennden Schürhaken abtreiben sollen.“

Ist die Frauenbewegung für Euch immer noch der Ort politischer und persönlicher Zugehörigkeit?

Schmidt-Harzbach: Meine Lernprozesse vollzogen sich in und mit der Frauenbewegung. Nach und nach konnte ich mein Verhältnis zur Linken aufarbeiten, z.B. in dem Seminar „Marxismus und Feminismus“ an der FU Berlin, aus dem 1976 die Sommeruniversität für Frauen hervorgangen ist. Allmählich löste ich mich aus dieser politischen Sozialisation bis dahin, daß ich heute den männlichen Fortschrittsbegriff kritisiere. Exemplarisch ist die Diskussion für Lohn für Hausarbeit. Zurerst habe ich das strikt abgelehnt - dachte, das sei die erneute Institutionalisierung der Frauenrolle. Es hat lange gedauert bis ich begriff, daß damit etwas ganz anderes gemeint ist, nämlich ein bestimmtes soziales Verhältnis. Es war ein langer Prozeß, bis ich Gechlecht als soziale und historische Kategorie begreifen konnte. Als wir damals die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung forderten, haben wir uns meines Erachtens zu sehr an männlichen Maßstäben orientiert, statt zu überdenken, daß Männer die Defizite haben und eher ihre „weibliche“ Seite leben sollten. Deshalb ist auch heute zu fragen, Quotierung, um welchen Preis?

Damit sind wir mitten der aktuellen Diskussion. Sind der Frauenbewegung nicht die Zähne gezogen worden? Wie kommt es sonst zu dieser Euphorie über die Quotierung in der SPD?

Eschenbach: Ich finde diese Quotendiskussion im Grunde unendlich langweilig und weit hinter die Forderungen zurückfallend, die wir damals hatten. Wir wollten nicht Gleichberechtigung, sondern Befreiung. Und trotzdem bin ich beglückt, daß die SPD sich jetzt zu diesem Schritt durchgerungen hat. Auf der einen Seite freut es mich, daß solche Forderungen ein Stück Alltagspolitik sind, auf der anderen Seite ist es schrecklich ermüdend.

Als Mitglied des Verbands der Filmarbeiterinnen führst du ja auch den Kampf um die Quote bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Ihr wollt, daß die Filmförderungsgremien paritätisch mit Frauen besetzt werden sollen.

Eschenbach: Ja, weil es auch darum geht, Öffentlichkeit zu schaffen, auf Mißverständnisse hinzuweisen.

Schmidt-Harzbach: Der Kampf um Quotierung ist ja nicht nur äußerlich. Wenn Frauen keine Einzelkämpferinnen mehr sein müssen, dann werden sich die Machtstrukturen verändern, wenn auch langsam. Das ist eine Frage des langen Atems. 20 Jahre Frauenbewegung können tausende von Jahren Patriarchat nicht von heute auf morgen kippen. Wenn wir unsere Wünsche durchsetzen wollen, dann müssen wir diesen Balanceakt mit der Quote wagen.

Aber wo bleibt die nicht neue Erkenntnis, daß der Gang durch die Institutionen - und nichts anderes ist ja die Quotierung - daß dieser Gang uns mehr anpaßt und abschleift als befreit?

Damm-Rüger: Wenn wir zu 40 oder 50 Prozent die Arbeitsplätze und auch die Führungspositionen dieser Gesellschaft einnehmen würden, würde die Gesellschaft sicher nicht gleich besser. Es würde sich herausstellen, daß auch wir ziemlich mies sozialisiert worden sind. Daß an uns viel Kritik zu üben sein wird. Aber warum ich zunächst für die Quotierung bin, ist folgendes: Mir hat das Buch „Der Cinderella-Komplex“ sehr viel gegeben. Der Untertitel heißt ja „Die heimliche Angst der Frau vor der Unabhängigkeit“. Ich kann das noch ergänzen: „Angst vor der Verantwortung, Angst vor Konflikten. Mir ist ganz deutlich geworden, daß viele andere Frauen und auch ich mich noch hinter Männern verstecke. Durch die Quotierung werden wir gezwungen, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, egal, ob wir uns dafür schon tausendprozentig gut genug empfinden. Wir werden unsere Erfahrungen machen, und es liegt an uns, wie wir diese als Feministinnen diskutieren.

Aber es gibt doch sehr viele Frauen, die bestimme Posten ablehnen, nicht, weil sie es sich nicht zutrauen, sondern weil sie es nicht mit ihrer Identität vereinbaren können. Die sich nicht vorstellen können, diese Scheiße zu machen.

Damm-Rüger: Gut, diejenigen sollten auch nicht reingehen. Die sollten in den autonomen Gruppen als kritisches Potential bleiben.

Schmidt-Harzbach: Das ist ja schön einfach ...

Damm-Rüger: Ja, manchmal ist es auch einfach.

Nein, es ist komplizierter ...

Damm-Rüger: Es kann sich noch als sehr widersprüchlich herausstellen. Aber ich glaube, daß viele Frauen zurückschrecken, weil sie Angst vor den Konflikten haben und vor der Auseinandersetzung mit den Männern. Die bleibt uns nicht erspart, weder in der Familie noch im Beruf. Du kannst nicht immer kuschen.

Nein, aber du kannst andere Formen wählen, indem du zum Beispiel keine Familie gründest. Es gibt dazu ja keinen natürlichen Zwang.

Damm-Rüger: Gut, aber dann findet die Auseinandersetzung eben mit deinem Lebensgefährten oder deinem Freund statt. Wir sind nicht alle lesbisch. Das Private ist politisch. Das haben wir schon damals gesagt. Ich praktiziere es auch im Betrieb und finde es sehr anstrengend. Insofern versuche ich, mir selbst treu zu bleiben. Mir geht es dabei so, daß ich die Zeit, in der ich aufgewachsen bin, als beengend empfunden habe. Die Studentenbewegung und der Aufbruch der Frauen, das war für mich sehr befriedigend. Aber jetzt empfinde ich diese Enge und Repression wieder sehr stark. Ich sehe mich als jemand, die nur noch ackert und Leistung erbringt, auch politisch, und es wäre immer noch die 500fache Menge an Leistung erforderlich. Das verleiht dieses Gefühl von Enge. Dazwischen war es aber eine kurze Zeit anders.

Schmidt-Harzbach: Bei der Quote geht es aber nicht nur um die Angst vor Konflikten. Ich scheue die nicht. Trotzdem habe ich keine Lust, mein Leben mit 10 bis 14 Stunden pro Tag in irgendeiner gehobenen Position zu verbringen. Es gibt noch anderes, was das Leben ausmacht. Ich beneide Frauen nicht, die nach einem 12-Stunden-Tag noch die Akten mit nach Hause nehmen.

Es gibt noch eine andere Problematik. Wenn sich Frauenpolitik auf den Quotenkampf konzentriert und dadurch die Kräfte gebunden werden, fehlen uns Energien für andere politische Kämpfe wie gegen die aktuelle Verschärfung des §218. Da passiert an Widerstand sehr wenig.

Damm-Rüger: In der Frauenbewegung ist es ähnlich wie in der Anti-AKW-Bewegung. Es gibt eine solche Fülle von Problemen, daß wir gar nicht mehr wissen, wogegen wir zuerst unsere Kräfte richten sollen. Die Frauenbewegung hat sich verbreitert und in der Bevölkerung verankert, und es gibt unendlich viele Gruppen. Ob in den Gewerkschaften, in den Betrieben, in der Friedensbewegung oder in der Dritte-Welt -Solidarität. Aber gemeinsam bringen wir kaum mehr ein größere Aktion zustande.

Schmidt-Harzbach: Hinter diesen Fragen steckt für mich der alte Politikbegriff. Immer wieder wird danach gerufen, die Frauenbewegung soll einheitlich, organisierbar, sichtbar werden. Aber Überall bewegt sich etwas. Ich bin froh, daß wir nicht mehr 300 oder 400 sind wie am Anfang. Es ist heute einfach eine andere Qualität.

Dann haben also die Männer von 'Die Zeit‘ bis 'konkret‘ recht, wenn sie behaupten, die Frauenbewegung habe von allen 68er-Aufbrüchen den größten Erfolg gehabt?

Damm-Rüger: Wenn die Männer sagen, wir seien stark, dann haben sie insofern recht, weil es ans Eingemachte geht. Sie empfinden uns deshalb als so lebendig - ich denke, das ist etwas sehr Wichtiges - weil wir anfangen, mit ihnen zu konkurrieren. Das ist ihr Verständnis von Lebendigkeit. Für sie besteht das Leben aus Konkurrenz und Ringen um die Macht. Und deshalb empfinden wir uns als so wenig lebendig oder schon tot. Denn es ist nicht das, was wir wollten.

Schmidt-Harzbach: Von der Warte aus, daß der ganze Erdball zerstört wird, ist die Quote für mich einfach eine unwesentliche Frage. Es wäre eine Aufgabe für die Friedens und Ökologiebewegung, zu untersuchen, warum sich Männer in der Konkurrenz und im Krieg so lebendig fühlen. Woher rührt dieses selbstzerstörerische Moment? Wir müssen darüber noch ganz anders nachdenken.

Eschenbach: Ich kann dieses Gerede um den Erdball, der bald auseinanderfliegt, nicht mehr hören. Wie du das sagst Ingrid, versteh‘ ich es, aber mir begegnet das zu oft. Heute durfte ich in 'Bild der Frau‘ ausgerechnet von Herrn Boehnisch lesen, wie dramatisch doch die Zerstörung der Natur sei. In der 'Frankfurter Rundschau‘ und im Berliner 'Tagesspiegel‘ stand Ähnliches. Das ist übrigens ein entscheidender Unterschied zu der Zeit, als wir politisch wurden. Da wurden wichtige Themen von den Medien gar nicht angesprochen. Deshalb war ja auch der Begriff von der Gegenöffentlichkeit so wichtig. Jetzt frage ich mich, was wäre, wenn ich 20 wäre und die ganze Zeit diese Informationen bekäme. Die moralische Empörung, die uns auf den Weg gebracht hat, ist gar nicht mehr möglich, weil die Empörung schon täglich schwarz auf weiß in den Zeitungen stattfindet. Aber in einer Form, die uns resignieren läßt und mutlos macht.

Schmidt-Harzbach: Nein, für mich ist das ein Ansporn, neu über diese Fragen nachzudenken.

Eschenbach: Aber wir haben die Form dafür noch nicht gefunden. So ist es ein resigniertes Lamentieren. Wie gesagt: Ich bin froh, daß ich nicht 20 bin. Das Gespräch führten Ulrik

Helwerth und Helga Lukoschat