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Anpassung unumgänglich

■ IWF-Kritiker Prof.Rainer Tetzlaff gegen pauschale Verteufelung / IWF oft Sündenbock für Regierungen / Wem nutzt IWF-Verhinderung?

Teil 26: Prof.Rainer Tetzlaff

Weltbank und Währungsfonds sind hierzulande internationale Institutionen mit beachtlicher, wenn auch umstrittener Popularität geworden. Während die einen in ihnen mächtige Organisationen sehen, die Kapitalkraft und entwicklungspolitische Erfahrung ausstrahlen, ist ihr Image in der entwicklungspolitischen „linken Szene“ eher schlecht. Man traut ihnen viel Brutalität im Umgang mit kredithungrigen, verschuldeten Staaten der Dritten Welt zu. Unbestreitbar ist sicherlich, daß die beiden 1944 auf der Bretton- Woods-Konferenz ins Leben gerufenen Organisationen für Wohl und Wehe der Menschen in Entwicklungsländern eine damals unvorstellbare Bedeutung erlangt haben. Wenn die Weltbank die Regierung eines Landes - aus welchen Gründen auch immer - für nicht (mehr) kreditwürdig betrachtet, dann haben die ärmeren und mittleren Schichten der Bevölkerung wenig zu lachen. Auch andere potentielle Kreditgeber im Ausland halten sich dann zurück und warten ab, bis die Regierung des betreffenden Landes wieder zur wirtschaftspolitischen „Räson“ zurückgekehrt ist.

Entgegen einer weitverbreiteten Meinung erzeugen die Bretton- Woods-Zwillinge nicht die Krisen; vielmehr haben sie bei Versuchen zu ihrer Bewältigung international wirksame Definitionsmacht akkumuliert. Wissen ist Macht, sagt das Sprichwort, ressourcengestütztes Wissen ist Metamacht: z.B. signalisiert die Weltbank der internationalen Geschäftswelt, ob ein politisches Regime wegen seiner Spar- und Reformsichten (wieder) internationales Vertrauen verdient oder mittels allseitiger Kreditverweigerung hart an die Kandare genommen werden soll.

Unartige Schulbuben

Der erste Einwand, der sich gegen solche neokolonialistisch anmutenden Praktiken seitens internationaler Organisationen aufdrängt, bezieht sich auf die nationale Souveränität von Staaten, die zu achten sich alle UN-Mitglieder verpflichtet haben. Wer aber repräsentiert die internationale Souveränität in Staaten, in denen es keine demokratischen Wahlen, keine Parteien, und überhaupt wenig Partizipationschancen gibt? Verständlicherweise empfinden das Finanzminister und Zentralbankpräsidenten von Entwicklungsländern als besondere Demütigung, sich den „Empfehlungen“ von IWF und Bank zur Gesundung ihrer Haushalte unterwerfen zu müssen. Sie, die staatliche Souveränität nach innen in der Regel ungezügelt ausleben und von parlamentarischen Kontrollen kaum belästigt sind, werden zu unartigen Schulbuben erniedrigt, die einem strafenden Lehrer Besserung geloben müssen. Was aus der Sicht der einen einer erzwungenen Unterwerfung unter die Mächtigen dieser Erde gleichkommt, ist aus der Sicht der anderen ein „Sachzwang“ ohne vernünftige Alternative, kurzum eine systemnotwendige „Anpassung“. Werden die nationalen Sozialkosten der international erzwungenen „Anpassung“ nach IWF/Weltbank-Rezept in Rechnung gestellt, wird die Empörung unter der Linken und bei den Betroffenen in der Dritten Welt schon eher verständlich. Von den Sparmaßnahmen und Preiskorrekturen sind nämlich hauptsächlich soziale Gruppen am Rande des Existenzminimums betroffen.

Daraus muß die Frage an die Adresse der (nationalen wie internationalen) Spar- und Anpassungspolitiker abgeleitet werden: Ist es politisch legitimierbar oder wirtschaftlich vernünftig, aus Überschuldung erwachsende Lasten auf jene schwächeren sozialen Gruppen abzuwälzen, die die geringsten Chancen haben, ohne öffentliche Hilfen zu überleben oder sich durch alternative Erwerbstätigkeit über Wasser zu halten? Nur ein logisches Argument spräche dafür: gegen drakonische Sparmaßnahmen können sich Arme schlechter wehren.

Hierüber entrüstet zu sein, ist daher ebenso verständlich wie ethisch geboten; verständlich deshalb, weil die durch Subventionswegfall eingesparten Summen viel zu niedrig sind, um marode Staatsfinanzen sanieren oder um Zahlungsbilanzkrisen überwinden zu können. Moralisch empörend ist diese Praxis deshalb, weil hier Gruppen von Armen ins Fadenkreuz von staatlichen Sparkommissaren kommen, die aus den zuvor von anderen aufgenommenen Krediten keinen Vorteil ziehen konnten.

Dennoch ist es fehl am Platz, die Weltbankexperten als „Weltbank-Mörder“ zu titulieren und sie mit Bezug auf „ihre ökologisch und sozial höchst fragwürdigen Projekte in Entwicklungsländern und mit ihren Knebelauflagen bei Krediten für Elend, Hunger und Ausplünderung der Dritten Welt verantwortlich“ zu machen (vgl. z.B. die zitierten Stimmen aus Gruppen in West-Berlin in der taz vom 12.3.88). Für eine solche Wirkung hätte sie weder die Mittel noch die notwendige Handlungsautonomie. Es sei an die schlichte Tatsache erinnert, daß etwa 90 Prozent aller Investitionen in den ärmeren Dritte-Welt-Ländern von den Entwicklungsgesellschaften selbst aufgebracht werden, nur rund 10 Prozent kommen aus dem Ausland. Die 800 bis 1.000 Millionen in absoluter Armut lebenden Menschen sind das komplexe Resultat von historisch wirksamen Kräften und Interessen, die seit Jahrhunderten am Werke sind.

Kriminelle Eliten

Verallgemeinerungen über Menschen mit kulturell und politisch unterschiedlichem Hintergrund sind stets problematisch, dennoch trifft Enzensberger einen blinden Fleck im Auge linker Sympathisanten mit „der Dritten Welt“, wenn er in seinem kritischen Essay über Bank und Fonds die Eliten der Dritten Welt aufs Korn nimmt: „Auch wenn es nicht zum guten Ton der Entwicklungspolitik gehört, offen darüber zu sprechen - diese einheimischen Eliten bestehen ganz überwiegend aus Kriminellen, die ihre wüste Unfähigkeit und ihre mörderische Gier mit antiimperialistischen Phrasen zu verdecken suchen, eine Tarnung, die von Jahr zu Jahr fadenscheiniger wird. Diese parasitären Herrschaftsapparate mit ihren Sinekuren, ihren Fluchtgeldern, ihrer endemischen Korruption sind nicht nur Komplizen, sondern Protagonisten der Ausbeutung“, Kritiker, die diesen Sachverhalt aus Respekt vor der „Souveränität“ der Dritten Welt übergehen (oder weil er nicht ins Weltbild paßt), werden der sozialen Realität in den Schuldnerstaaten nicht gerecht. Die Welt der Gegenwart spiegelt ungleiche Startchancen und letztlich asymmetrische Machtverhältnisse in der seit dem Handelskolonialismus entstandenen hierarchisch geschichteten Weltgesellschaft wieder. Allgemeine Kapitalismuskritik findet hier erneut Nahrung und mag abstrakt durchaus gerechtfertigt sein, zeigt sich doch erneut der inhumane und letztlich (als Endform sozialer Organisationen) inakzeptable Charakter privatkapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse. Aber den Opfern ungerechter Herrschaftsverhältnisse hilft es in ihrem heutigen Überlebenskampf wenig, wenn ihre oft selbsternannten Bündnispartner und Sympathisanten bei uns utopische Forderungen aufstellen, von denen sich niemand ernsthaft herausgefordert fühlt. („Verhindern wir die Gouverneurstagung in Berlin!“ - und wenn es gelänge, wem würde es nützen?)

Feindbild IWF

Dennoch bedarf es einer Erklärung, warum die beiden Bretton Woods-Institutionen unter entwicklungspolitisch engagierten Gruppen in der Bundesrepublik so geharnischten Protest, ja politischen Haß auszulösen vermochten. In einer politischen Großwetterlage - so läßt sich vermuten -, in der liebgewordene, vertraute Bilder über Feind und Freund ins Rutschen geraten sind, braucht der sozial engagierte, zu politischer Empathie fähige Mensch Identitätspunkte nötiger als sonst.

Bieten da nicht die Monster aus Washington, gleich neben dem „Weißen Haus“, die bald in WestBerlin eine völlig unbedeutende Tagung abhalten werden (Entscheidungen mit Wirkung auf Armutsgruppen werden dort nicht getroffen), einen willkommenen Anlaß, endlich mal wieder politisch Flagge zu zeigen und zu demonstrieren, für wen das Herz schlägt, und wer Verachtung verdient? Politische Bewegungen brauchen Symbole als Verdinglichungen von Hoffnungen und Ängsten; und liefern die Nachrichten aus den Ländern mit den berüchtigten „Brotaufständen“ (IMF-riots) nicht genug Anschauungsmaterial für Barbarisches? Da erschießt z.B. die Polizei in den Straßen von Kairo, Tunis, Khartum und Lima empörte Menschen, die spontan ihre Wut gegen die Preiserhöhungen von Grundnahrungsmitteln (Reis, Brot, Zucker) zum Ausdruck bringen - Preiserhöhungen , die als Konsequenz von Anpassungsmaßnahmen von Regierungen zustandegekommen sind, die nur das zu tun versuchen, was die reichen Gläubiger-Staaten von ihnen erwarten: rigoros sparen!

Einerseits ist es auf Dauer nicht bezahlbar und politisch nicht durchsetzbar, wenn Preise für Grundnahrungsmittel abgekoppelt von der nationalen Inflationsrate - auf demselben realen Niveau künstlich eingefroren würden, wenn dadurch immer höhere Anteile des Staatsbudgets für Sozialausgaben dieser Art verwandt werden müssen. Andererseits ist es ebensowenig vertretbar, internationale Schuldforderungen ohne Rücksicht auf die Überlebensmöglichkeiten auf staatliche Subventionen angewiesener Armutsgruppen zwangsweise einzufordern. So wie es im nationalen Zivilrecht Schuldnerschutz gibt selbst einem schuldhaften Schuldner können nicht lebensnotwendige Dinge gepfändet werden -, so könnte dieses ebenso vernünftige wie moralisch gebotete Prinzip auch im Nord-Süd-Verkehr Gültigkeit gewinnen. Hier scheinen politische Kompromisse möglich zu sein.

Die zentrale These dieses Beitrags lautet: „Anpassung“ der Regierungen von überschuldeten (Dritte-Welt-) Staaten an die Spielregeln des internationalen Weltwirtschaftssystems ist im Prinzip unumgänglich. Andererseits verliert ein System seine Legitimität als Ordnungsinstanz, wenn es Anpassungen seiner (schwächeren) Mitglieder an neue Herausforderungen zu akzeptablen Kosten nicht ermöglicht.

Es gibt Anlässe genug, an der Klugheit der IWF-Experten und der Weisheit der politisch Verantwortlichen - den Exekutivdirektoren im Aufsichtsrat und den Finanzministern der Geberstaaten - zu zweifeln. Aber auch deren engagierteste Kritiker sollten darüber nachdenken, ob Anpassung“ - wie von IWF und Weltbank gefordert - in jedem Fall den Interessen der notleidenden Menschen in den Schuldnerländern widersprechen muß. Es hat sich gezeigt, daß die Bretton-Woods-Institutionen oftmals vis-a-vis der regierenden Machtclique objektive Funktionen der Kritik erfüllen, die in pluralistisch verfaßten Demokratien von der nationalen politischen Opposition wahrgenommen werden: 1. generelle Kritik am unsoliden Umgang der Regierung mit knappen Finanzressourcen; 2. maßlose und illegale Selbstprivilegisierung der Regierenden; 3. künstliche Aufblähung des öffentlichen Wirtschaftssektors, in dem zu viele und zu inkompetente Anhänger der Regierungsbosse untergebracht werden; 4. Ausschaltung der Leistungs- und Wettbewerbsnormen bei der Verteilung knapper öffentlicher Entwicklungsressourcen; 5. verantwortungsloses Schuldenmachen im Ausland auf Kosten der nachkommenden Generation.

Bluthund IWF

Nach dem berühmten Motto „Einer muß der Bluthund sein“, erfüllt vor allem der IWF als das härtere Monster die politische Rolle des Sündenbocks, hinter dem sich die Regierungen verstecken, die meinen, es sich nicht leisten zu können, der eigenen Bevölkerung reinen Wein über den Stand der (teils selbst verschuldeten) Finanzmisere einzuschenken. Den IWF-Fachleuten ist der Vorwurf nicht zu ersparen, daß sie oftmals die politischen Dilemmata ihrer Kunden nicht genügend ernst nehmen oder nur mit dem arroganten Achselzucken des für politische Fragen nicht zuständigen Finanzexperten quittieren. Möglicherweise macht sich hier ein Ausbildungsdefizit von Ökonomen in der Praxis störend bemerkbar.

Die Verhältnisse in den Schuldnerländern der Dritten Welt sind heute so kompliziert und häufig so unterschiedlich, daß wir wohl alle durch kritische Dialoge dazu lernen könnten.

Stark gekürzter Artikel aus 'Der Überblick‘ (2/88)

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