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13 Stellen für Arbeitslosen-Psyche

■ Planungsgruppe der Arbeitnehmerkammern entwarf Rundum-Beratung für Arbeitslose / Zustimmung von Gewerkschaften - Widerspruch aus der Arbeiterkammer: „Dafür ist der Sozialsenator zuständig“ / Beschlüsse Anfang Oktober

Sind die Bremer Gewerkschaften und die Arbeitnehmer-Kammern zuständig für die seelischen Nöte der Arbeitslosen? Über diese Frage ist unter den Funktionären ein heftiger Streit entbrannt. Ausgelöst hat ihn ein fast 60seitiges Papier mit den Titel: „Entwurf einer gewerkschaftsnahen Beratungsstelle für Arbeitslose im Lande Bremen“. Die Autoren: Theo Jahns (Angestelltenkammer), Johannes Steffen (Arbeiterkammer) und Georg Schaff (DGB-Arbeitslosenberatung).

Seit 1980 habe sich die Arbeitslosenzahl verdreifacht, schreiben

sie eingangs. Die Familienan gehörigen mitgerechnet, wären jetzt rund 100.000 Menschen von der Arbeitslosigkeit betroffen. Nicht nur von ihren finanzieller Folgen, sondern auch „psychosozial“: Minderwertigkeitsgefühle, exessiver Konsum von Fernsehen und Alkohol, Familienkrisen, „die Handlungskompetenz nimmt ab oder geht gänzlich verloren“. So umreißen die Autoren die Lage der Arbeitslosen. „Sie starren auf die Arbeitswelt und verharren in dieser Haltung. Sie opfern ihren konkreten Alltag zugunsten einer abstrakten Zukunft.

Hilfe kann nur noch ein neues Beschäftigungsverhältnis bringen.

Gegen „überspitzte

Arbeitssuche“

Der Vorschlag der Autoren, um den Erwerbslosen aus der Zwickmühle zu helfen: eine integrierte Beratung, die den Erwerbslosen zeigt, wie sie sich beim Arbeits-und Sozialamt durchsetzen können, die ihnen Fortbildungsmöglichkeiten eröffnet, die aber auch auf ihre besonderen seelischen Probleme eingeht. Ergebnis soll sein, daß die „Lebenskräfte des Arbeitslosen dynamisiert und daß

sie zur individuellen und kollektiven Selbsthilfe befähigt werden“. Das soll hauptsächlich in Gruppengesprächen versucht werden. Zum Beispiel mit ArbeiterInnen eines Betriebes, denen die Arbeitslosigkeit bevorsteht. Oder mit arbeitslosen TeilnehmerInnen eines beruflichen Ausbildungskurses. Das Starren auf den „Hoffnungsträger Neuer Job“ soll dabei aufgelöst werden: „Überspitzte Arbeitssuche als Überlebensstrategie muß abgebaut und darf keinesfalls verschärft werden.“

Das Papier liegt einem kleinen

Kreis von Kammerfunktionären schon seit Wochen vor. Im August wurde es im Vorstand der Angestelltenkammer wohlwollend zur Kenntnis genommen. Widerspruch kam dagegen aus der Arbeiterkammer. Von Jürgen Kühl, dem Leiter der Rechtsabteilung der Arbeiterkammer, stammt ein scharf formuliertes Gegenpapier. Er verkennt nicht die „schwierige psychisch-soziale Lage“ der Arbeitslosen, schreibt er. „Derartige Problemfälle“ sollten jedoch wie bisher an die öffentliche Gesundheits- und Sozialeinrichtungen verwiesen werden. Ferner verstünden sich die Juristen der Arbeiterkammer immer schon als „Sozialberater“. Dies, so schreibt Abteilungsleiter Kühl, begründe „den Ruf der Beratungseinrichtungen als einer Stelle, die sich für den sozial Schwachen einzusetzen weiß“.

Ähnlich argumentiert auch der Geschäftsführer der Arbeiterkammer, Ingomar von Benoit: Auch in Zukunft solle sich die Arbeiterkammer auf Rechtsberatung für Arbeitslose beschränken. Dafür seien wie bisher drei Arbeitsstellen erforderlich, je eine in Bremen, in Bremen Nord und in Bremerhaven. Allerdings sollten die drei BeraterInnen nicht auf ABM, wie bisher, sondern regulär bezahlt werden. Mehr könnten sich die Kammern nicht leisten, mehr sei auch „durch das bremische Kammergesetz nicht gedeckt“, sagte von Benoit gestern zu taz. Das Gesetz verpflichte die Kammer auf die „Vertretung des Allgemeinwohls“. Die psychische Not der Arbeitslosen, das seien „individuelle Probleme“. Zuständig dafür sei der Sozialsenator.

13 BeraterInnenstellen

Die Autoren des „Entwurfs“ haben für ihr Konzept einen Bedarf von 13 Stellen veranschlagt. Um finanzielle Unterstützung dafür sollten die Kammern sich an den DGB und das Land wenden.

In der Einleitung rechnen sie mit den bisherigen Hilfen für die Arbeitslosen ab. Die Rechtsberatung, die DGB und Arbeiterkammer gemeinsam anbieten, und die Geschäftsführer von Benoit gerne fortgesetzt sähe, wird von ihnen als „Notlösung“ eingestuft. Unter den Autoren ist einer, der es wissen muß: Georg Schaff hat als ABM-Kraft drei Jahre dort gearbeitet.

„Wunderbare Ergänzung“

Nicht nur in den Kammern wird über das Papier diskutiert, sondern auch im DGB. Am Dienstag faßte der Ortsvorstand der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) den Beschluß, das Konzept zu unterstützen. „Das wäre ein wunderbare Ergänzung der Gewerkschaftsarbeit“, sagte dazu der Bremer HBV-Vorsitzende Hans Jürgen Kröger, der als Abteilungsleiter in der Arbeiterkammer beschäftigt ist. Auch aus der Gewerkschaft ÖTV wurde Zustimmung signalisiert. Aber das Thema wird die Bremer Gewerkschaften noch weiter beschäftigen. Es steht auf der Tagesordnung des DGB -Kreisvorstandes am kommenden Montag. Und am vierten Oktober treffen sich die Vorstände beider Arbeitnehmer-Kammern zu einer gemeinsamen Sitzung. Da soll es dann Beschlüsse geben. Michael Weisfel

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