: „Rudern ist eine Ganzkörpersportart“
■ Morgen finden auf dem Han-Fluß in Seoul die Finalläufe im Rudern statt Gespräch mit Matthias Mellinghaus (23), einem Neuntel des medaillenverdächtigen Achters
taz: Der Achter gilt, nach jahrelanger Flaute, als eine große bundesdeutsche Medaillenhoffnung. Du selbst bist ja noch nicht lange dabei.
Mellinghaus: So wie der jetzt ist wurde er im April besetzt, ich war letztes Jahr noch im Vierer mit Steuermann.
Wer sucht euch denn aus?
Der Trainer. Wir waren vierzehn Leute, die versuchten, sich über Ergometertests oder Zweier-Ohne-Ausscheidungen zu qualifizieren. Da will schon jeder rein, ganz klar. Der Achter ist was besonderes, er ist das schnellste Boot, und du mußt acht Individuen unter einen Hut bringen.
Dein Platz ist der zweite vom Bug aus, nach welchen Kriterien sitzt ihr im Boot?
Das wird probiert. Es gibt aber prädestinierte Schlagleute, normalerweise sind die klein, drahtig, damit sie auf gute Schlagzahlen kommen. Bei uns ist es umgekehrt. Der Bahne Rabe ist ein unglaublicher Bär, 2,03 Meter und 95 Kilo, der gehört zu den fünf Stärksten in der Welt. Der bringt's.
Nur Kraft?
Nein, du mußt psychisch unglaublich stabil sein, Rudern ist eine sehr komplexe Leistung. Das war unser Problem früher. Es ist ja nicht nur die Schlagzahl, sondern der Rhythmus.
Den Achter umweht immer so ein Hauch schwarz-rot-gold, Flaggschiff der Nation, so heißt ihr im Sportjargon.
Das ist das Schlimme, gegen das Image mußt du dauernd ankämpfen. In den 60er Jahren gab's den legendären Adam -Achter, die haben ganz bewußt mit dem Begriff Deutschland -Achter operiert, das steht mir hier oben.
Springers Schmierfeder Peter Boenisch hat euch in einem Kommentar zu großen Vorbildern gemacht: Unendlich fleißig, gottlob keine Schlappis, die guten Deutschen.
Jetzt braucht es halt wieder einige Identifikationssymbole, bei drei Millionen Arbeitslosen muß man die Leute bei Laune halten. So 'ne Scheiße mach ich nicht mit.
Und wenn du bei einer Siegerehrung oben stehst, die Fahne wird hochgezogen, die Hymne ertönt, da quetscht es keine Träne der Rührung aus dem Auge?
Da läuft mir eher ein kalter Schauer den Rücken runter, die Nationalhymne hat doch eine unrühmliche Geschichte.
Ich hab‘ unlängst ein aktuelles Bild gesehen von dem legendären Achter, da stand immer der Beruf daneben. Oberstudiendirektor war da fast schon mäßig.
Wir haben fast alle einen bürgerlichen Hintergrund. Rudern haftet immer noch das elitäre Image an, und tatsächlich muß man finanziell ziemlich reinbuttern. Ich rudere seit dem zehnten Lebensjahr, vor der Regatta packt Papi die Familie ein, du mußt da übernachten, das konnte sich nicht jeder Arbeiterhaushalt leisten. Heute ist das etwas anders durch die Sporthilfe, das Image schreckt aber immer noch ab.
Wie intensiv treibst du Sport?
Seit sechzehn sechsmal die Woche, und so richtig zweimal am Tag, also fast professionell, seit drei Jahren.
Bleibt da noch etwas?
Schon, ich studiere nebenbei, im Winter halt. Mein Grundstudium ist jetzt fertig. Ab April allerdings war nur noch Rudern und Trainingslager.
Mit dem ersten Platz im Vorlauf hat sich der Achter direkt für das Finale am Sonntag qualifiziert. Ein Vorteil, oder wäre ein weiteres Rennen als Test besser gewesen?
Die Pause tut gut, es war knüppelhart und alle sind ziemlich kaputt. Rudern ist so intensiv, ich verliere bei der Hitze hier pro Stunde zwei Kilo. Mehr als fünf Liter Flüssigkeit kompensiert man nicht, da nimmst du ab.
Wenn ich euch so anschaue, aus mir wäre kein Ruderer geworden. Du bist 1,98 bei 93 Kilo.
Je länger der Weg ist, über den du Kraft bringen kannst, um so besser die Leistung. Ganz einfach. Aber wir haben auch einige Kleine mit 1,90, die bringen's auch, aber das ist schwerer.
Seid ihr alle gleich gut, ihr müßt doch mitmachen was euer Bär vorgibt?
Du kannst die Kraft dosieren, auch mal nicht ganz durchziehn, aber normal mußt du mithalten. Wir machen ja Ergometertests, da muß man 400 Watt ziehen in sechs Minuten, Minimum. Ich bin eher 'ne schlappe Hacke mit so 410, der Bahne zieht gut 450 Watt.
Ihr habt schon euer drittes Boot in diesem Jahr, billig ist das nicht gerade.
Nee, da kostet eines 35.000 Mark. Aber du mußt bedenken, das Boot ist 18 Meter lang und ganz leicht gebaut. Hinter jedem Schlag von uns sitzt eine halbe Tonne, und wir fahren pro Woche im Training 150 Kilometer. Da wird das Material schnell weich.
Bei den medizinischen Leistungswerten liegen die Ruderer unter den Sportlern weit vorn. Seid ihr besondere Mutationen?
Rudern ist eine Ganzkörpersportart. Beine, Oberschenkel, Arme, Rücken, alles ist eingespannt. Du brauchst ein unheimliches Atemvolumen, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen.
Wieviel Luft faßt deine Lunge?
Ich glaube elf Liter.
Weißt du, was normal ist?
Keine Ahnung.
Ungefähr fünf Liter.
(Lacht) Sag mal, du wohnst doch in der Stadt, gab's da schon was, Demos oder Ärger?
Es gab Demos an der Uni, mit relativ wenig Leuten. Ist denn sowas hier im Olympischen Dorf überhaupt Thema? Im vergangenen Jahr hieß es mal von Offiziellen, man würde den Sportlern Informationen über die politische Situation in Südkorea anbieten.
Null. Hier liegen nur bunte Bildbände aus. Den Funzis (Funktionären, d.H.T.) ist es doch scheißegal, was hier läuft. Die haben eher ein Interesse, daß alles easy ab geht. Bei mir ist jetzt die Spannung vor dem Wettkampf da, wenn das vorbei ist, wollte ich mal Leute ansprechen, den Groß vielleicht, ob wir da irgendwas machen können.
Du weißt, daß der einen Exklusivvertrag mit 'Bild‘ hat?
Echt? Ich hatte schon den Eindruck, daß der sich zurückhält, kann sein wegen der Finanzen. Man kann das nicht jedem verübeln, das ist ja verlockend. Aber bei Groß dachte ich schon, daß der mehr im Schädel hat. Das ist echt ein Sack.
Nach den Rennen hast du über eine Woche Zeit. Was machst du?
Vielleicht gehe ich mal zur Leichtathletik, sonst will ich privat noch Leute treffen, soweit das geht. Außer meiner Ruderei interessiert mich Sport ja kaum. Vor allem will ich dann ein paar ordentliche Bier trinken.
Interview: Herr Thömmes
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