piwik no script img

Zwölf Bullen suchen eine Wanne

■ Die geplante Begegnung zwischen den Bankern und ihren Kritikern vor der Deutschen Oper fand nicht statt / Dafür dann Trommeln und Kesselpauke, anschließend ein Polizeikessel an der Gedächtniskirche als „flexible response“ / Abzug durch eine hohle Bullengasse

Berlin (taz) - Eigentlich wollten sie sich an der Kongreßhalle treffen. Doch die war, da als Bannmeile mit Natodraht dreifach gesichert, am Samstag abend für die Demonstranten nicht erreichbar. Ebensowenig die „Deutsche Oper“, wo eigentlich die Banker beim Kulturkonsum „beobachtet“ werden sollten. Also sammelte man sich erst einmal an der Gedächtniskirche - seit der Studentenbewegung der öffentliche Politik-Erlebnisraum in Berlin. Wie zuvor wurde getrommelt, was das Zeug (meist Bierdosen) hielt. Bald war es offensichtlich: es gibt immer noch jede Menge junge Leute ohne Presseausweise in der Stadt, Bürger sans phrase quasi. Als ihre Zahl auf etwa 600 angewachsen war, setzte sich ein Demonstrationszug mutig in Richtung Oper in Bewegung. Er kam aber nur zwei Ecken weiter, zum Zoo beziehungsweise - in einem weiteren Anlauf - bis zum Kranzler-Eck. Und auch der nächste Ausbruch in die entgegengesetzte Richtung scheiterte einen Block weiter an der Overall-Präsenz der Polizeiketten. Der Zug mußte zur Gedächtniskirche zurückkehren, wo mittlerweile immerhin ein erster Würstchenhändler seinen Stand aufgebaut hatte und ein Lautsprecherwagen der AL die erste Durchsage probte: „So Leute, jetzt machen wir noch ein bißchen dufte Musik und dann gehen wir nach Hause. Morgen wollen wir ja wieder fit sein.“

Anfangs beachtete keiner die Alternativ-Abwiegler. Und die Polizisten verhielten sich wegen der vielen Kamera-Teams daneben gab es auch noch etliche neugierige IWF-Delegierte auffallend reserviert: „Wir räumen erst mal noch nicht, die sollen sich ruhig austoben“, so ein junger Polizist von der mobilen „Presseinformation“.

Auf der anderen Seite war - wohl wegen der vielen „Wessis“, die sich mit ihren Trommelwerkzeugen immer wieder bei ihren „Bezugsgruppen“ zurückmelden mußten - die kritische Masse auf dem Platz bald nicht mehr über das Lärmen hinaus zu einem kollektiven Willen zu bewegen. Ein Feuerspucker erntete johlenden Beifall. In dieser Situation bildete die Polizei als „flexible response“ einen Kessel, der langsam enger und mehrringig gezogen wurde. Als eine Demonstrantengruppe auszubrechen versuchte, gab es die ersten Knüppelverletzten. Zuvor hatte es in der Nürnberger Straße schon einen Polizisten - in voller Verfolgung erwischt: der ortsfremde Hannoveraner war gegen einen Berliner Poller, das unbekannte Wesen mitten auf dem Gehweg, gelaufen. Wenig später wurde der Lautsprecherwagen der AL in den Kessel geschoben. Nach zehn Minuten kam die erste Durchsage - an „die Leute, die außerhalb stehen: Die Menschen hier drinne sind seit über einer Stunde eingekesselt. Sie haben Durst und Hunger. Versucht, von draußen was reinzuwerfen!“

Aus den umliegenden Diskotheken und Kneipen waren inzwischen jede Menge Neugierige auf den Platz gekommen, so daß etwa 300 Demonstranten eingekesselt und 400 ausgekesselt waren. Schließlich kam ein Polizei-Lautsprecherwagen, der für alle den „freien Abgang in Richtung U-Bahnhof Wittenbergplatz“ offerierte (alternativ dazu „Freiheitsentzug gemäß ASOG“ - das berüchtigte Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz), woraufhin sich sogleich eine hohle Bullengasse öffnete. Die meisten Demonstranten, für die der Abend mit Trommeln und Kesselpauke gelaufen war, gingen denn auch zur U-Bahn - und fuhren nach Hause. Einige warfen allerdings unterwegs, an der Nürnberger Straße, noch schnell einen VW-Bus der Polizei um. Außer Knallern waren die ganze Zeit so gut wie keine Wurfgeschosse geflogen. Das KaDeWe hatte sich umsonst verbarrikadiert. Ein SFB -Mitarbeiter und ehemaliger taz-Redakteur rief bei seinem Sender an und vermeldete dem Emergency-Kamerateam, sie könnten sich jetzt ins Bett legen: „Wenn, dann wird später höchstens noch was in Kreuzberg los sein.“ Zählbares Resultat des Abends laut Ermittlungsausschuß: Neun Festnahmen, davon fünf wieder frei. Das Polizeipräsidium zählte einen Festgenommenen mehr, will aber alle wieder fortgeschickt haben.

Es war kurz vor Mitternacht, als die letzten Polizisten aus dem U-Bahnhof Wittenbergplatz kamen - und ihre „Wanne“ suchten. An den umliegenden Imbißständen gaben Demonstranten die ersten Interviews. Noch einmal kamen die Verschuldungsproblematik der Dritten Welt und der fragwürdige Lombardsatz voll zur Sprache. In Kreuzberg blieb es, zumindestens bis 3 Uhr morgens, ruhig - sieht man von den circa 100 Polizeiwannen ab, die ununterbrochen durch den einst von schweren antiimperialistischen Kämpfen heimgesuchten „Problembezirk“ kurvten.

Helmut Höge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen