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Si oder No? Chile im Wahlkampffieber

■ Eine Woche vor dem Plebiszit über den einzigen Präsidentschaftskandidaten Pinochet herrscht in Chile Wahlkampfstimmung / Täglich stehen der Opposition im Fernsehen 15 Minuten zur Verfügung, um über 15 Jahre Diktatur aufzuklären / Pinochet warnt vor dem Chaos, die Opposition befürchtet, daß der Diktator Unruhen provoziert

Aus Santiago Thomas Schmidt

„Was, Senor, für das 'Ja‘ sind Sie?“, herrscht der schwarz berockte Straßenkünstler mit dem weiß bemalten Gesicht in der Fußgängerzone von Santiago de Chile einen Zuschauer an, der beim „Nein“ nicht mitgeklatscht hat. Der Angesprochene will sich schon verdrücken, da zieht der Schauspieler ein Buch aus der Tasche und liest mit feierlicher Stimme vor: „Die großen Völker sind jene, die fähig sind, nein zu sagen, wenn der Opportunismus das Gegenteil empfiehlt.“ Dann klappt er das Buch zu, hält es seinem Opfer unter die Nase und zeigt es schließlich triumphierend der ganzen Runde, so daß alle den Titel lesen können: „Politik, Politisiererei und Demagogie“. Autor: Augusto Pinochet. Der Satz steht tatsächlich so im Buch, das der Diktator 1983 unter seinem Namen in Umlauf bringen ließ. Fünf Jahre später versucht der Staatschef nun, sein Volk vom Gegenteil zu überzeugen. Denn am 5.Oktober werden die Chilenen zu den Urnen gerufen, um ja oder nein zu einer weiteren achtjährigen Präsidentschaft Pinochets zu sagen, ja oder nein zu 15 Jahren Diktatur.

Das Ja oder Nein, Si oder No, zum „einzigen Kandidaten“, wie die Opposition Pinochet mit süffisantem Spott zu nennen pflegt, beherrscht längst den chilenischen Alltag. Fliegende Händler verkaufen T-Shirts mit dem Aufdruck eines „no“, über das sich schützend ein Regenbogen wölbt, überall werden No -Buttons angeboten: „Nein zur Diktatur“, „Nein zum Tyrannen“, „Nein bedeutet Freiheit“. Mitunter trifft man zwar auch Si-Anstecker, aber die Straßenhändler versichern durch die Bank, daß sie sich so gut wie nicht verkaufen, und bei näherem Hinsehen entpuppt sich manches Ja als Nein. Da steht dann etwa unter dem „Si“ eine blöd dreinschauende Kuh mit dem Buchstaben „r“ am Schwanz, jeder kennt inzwischen das Kryptogramm. „Kuh“ heißt auf spanisch „vaca“. Und so entziffern selbst die ABC-Schützen: „si, va a caer“ - „ja, er wird stürzen“.

Nachdem der „vals del no“, der Nein-Walzer der Opposition, bereits zum lästigen Ohrwurm zu werden droht, versuchen Pinochets Anhänger nun die „Cumbia del si“ unters Volk zu bringen, und neben den „Unternehmern für das no“ haben sich auch schon die „Veteranen 1973 (Jahr des Putsches) für das Si“ zu Wort gemeldet. Es gibt die „Freimaurer für das No“ und die „Union unabhängiger Demokraten für das Si“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Bei so viel Polarisierung kann es nicht verwundern, daß sich die zahlreich angereisten Journalisten gleich zweimal akkreditieren: bei der Regierung, die ihr Presse- und Informationszentrum praktischerweise gleich ins Hotel „Carera“, wo die Weltjournaille residiert, verlegt hat, und beim „Kommando für das Nein“, dem Bündnis von 16 Parteien, das sein Informationsbüro just gegenüber dem Palast der Regierungsjunta eingerichtet hat.

Fernsehwahlkampf

Kein Tag vergeht in der Hauptstadt ohne kleine oder große Demonstrationen für oder gegen Pinochet. Doch die wichtigste öffentliche Auseinandersetzung zwischen dem Ja und dem Nein findet im Fernsehen statt. Spätabends und kurz, aber die Einschaltquoten sind äußerst hoch. Zwischen 22.45 und 23.15 Uhr werden alle Fernsehstationen gleichgeschaltet: eine Viertelstunde für das Ja, eine Viertelstunde für das Nein täglich wird die Reihenfolge gewechselt. Das kann allerdings nicht über die grundsätzliche Chancenungleichheit hinwegtäuschen. Zwar verfügt die Opposition über zwei Tageszeitungen und zwei Rundfunksender, doch das Fernsehen, das weitaus wichtigste Massenmedium in Chile, ist fest in Regierungshand, und so gut wie jede politische Sendung ist mehr oder weniger offen Propaganda für das „Si“.

Die Opposition tut ihr Bestes, um in den 15 Minuten über 15Jahre Diktatur aufzuklären. Da wird vielfältigste Prominenz aufgefahren: „Los Prisioneros“ (Die Gefangenen), zur Zeit die populärste Musikgruppe mit rotzfrechen Liedern; Gustavo Leigh, bis 1978 Luftwaffenchef und Mitglied der Militärjunta; der weltbekannte chilenische Pianist Claudio Arrau, der im New Yorker Exil lebt. Sie alle werben schon für das „No“, und Sofia Prats klagte in einem No-Spot jüngst den chilenischen Geheimdienst an, ihren Vater, Carlos Prats, Ex-Kommandant des Heeres, dessen Nachfolge Pinochet wenige Monate vor dem Putsch angetreten hatte, und ihre Mutter 1974 in Buenos Aires ermordet zu haben - was im übrigen auch kaum jemand ernsthaft bezweifelt.

Nur einmal wurde es den Mächtigen dann doch zu bunt. Just am selben Tag, an dem Pinochet in der Hafenstadt Valparaiso die Meinungsfreiheit zum „Stützpfeiler“ aller öffentlichen Freiheiten“ erklärt hatte, wurde der No-Spot abgesetzt. Ein Interview mit dem Richter Rene Garcia Villegas, der (erfolglos) in 35 Fällen gegen den Geheimdienst CNI ermittelte und Folterpraktiken schilderte, fiel so der Zensur zu Opfer, viele Fernsehzuschauer gingen spontan nachts um elf Uhr - auf die Straße und veranstalteten einen „Cazerolazo“, ein Kochtopfkonzert.

Großmütig verzichteten tags darauf die Promotoren der Si -Kampagne auf ihre 15 Minuten. Doch konnte das die Opposition nicht davon abhalten, die Zensur selbst zum Thema ihres nächsten Spots zu machen. Und auf das Thema der Folter mochte sie dennoch nicht verzichten. Eine Woche nach dem zensierten Beitrag erzählte eine schon ältere Frau zum ersten Mal in ihrem Leben, was ihr 1975 widerfahren war: „Ich wurde aus meinem Haus heraus entführt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht. Dort wurde ich gefoltert und brutal mißhandelt“, begann sie ihren Bericht. Es war Olga Garrido, Mutter des sehr populären Fußballstars Carlos Caszely. Drei Tage brauchte die Si -Mannschaft, um drei Frauen vor die Kamera zu bringen, die sich als Nachbarinnen von Olga Garrido ausgaben und diese eine Lügnerin schimpften. Doch der Schuß ging nach hinten los. Am Tag danach wurde bereits publik, daß alle drei Frauen etwa anderthalb Kilometer entfernte „Nachbarn“ waren, eine von ihnen entpuppte sich als Mitglied der rechtsradikalen „Renovacion Nacional“. 1985 habe sie einmal 30.000 Pesos gestohlen, gab der Armeeoberst im Ruhestand Olagier Benavente bekannt, der ihre Identität enthüllte. „Es war meine Schuld, daß man damals nicht gegen sie ermittelt hat“, erzählte der Militär der Presse am Sonnag, „ich hatte Mitleid mit ihr... aber daß sie jetzt eine ehrbare Senora beschimpft, scheint mir unglaublich.“ Und weiter: „Ich kann Ihnen sagen - und immerhin kenne ich mich da aus, ich war Militäranwalt - zu behaupten, in Chile gebe es keine Folter, ist ein ganz großer Unsinn. Olga Garrido kann sich vor Briefen, Blumen und Besuchen seit ihrem Auftritt im Fernsehen kaum mehr retten.

Zunahme rechtsextremer

Angriffe

In der künstlerischen Gestaltung sind sich No- und Si-Spots recht ähnlich. Bewegungsabläufe, Schnitte und Musik erinnern an Werbespots. Doch während die No-Kampagne immer wieder die Menschenrechtsverletzungen und das materielle Elend zum Thema macht, schüren die Propagandisten des Si vor allem die Angst vor dem Chaos. Und hatte nicht Patricio Alwin, heute Sprecher des „Kommando für das Nein“ und - damals wie heute wieder“ Präsident der Christdemokratischen Partei, 1973 in aller Öffentlichkeit eine militärische Intervention gefordert? Ja, das hatte er, die historischen Aufnahmen von 1973, die der Si-Spot einblendet, beweisen es. Daran läßt sich in der Tat nicht rütteln.

Die No-Kampagne ist in ihrer politischen Aussage durchaus moderat. Man wolle ja auch nicht die ohnehin schon überzeugten Nein-Sager ansprechen, gibt Eduardo Tironi, Produktionschef der No-Spots, freimütig zu, „unser Programm richtet sich an die Unentschiedenen und diejenigen, die in ihrem Si noch nicht gefestigt sind“. Nur in diesem Zusammenhang wird die bisweilen geradezu pathologische Distanzierung von der „Unidad Popular“ Allendes verständlich, der nüchterne Beobachter wird selbstverständlich einen Sieg des „No“ nicht mit der Rückkehr zu den Verhältnissen von 1973 gleichsetzen. Doch ist andererseits die Befürchtung der Opposition, das Regime könnte Unruhen provozieren, um verängstigte Unentschiedene zum Votum für die (Friedhofs-)Ruhe und (Kasernen-)Ordnung des Ja zu verführen, so absurd nicht. Aktionen rechtsextremer Stoßtrupps haben in den letzten Monaten eindeutig zugenommen. Anfang August stürmten in Santiago „Unbekannte“ den Sitz des „Kommando für das Nein“. Die Meldungen über Todesdrohungen der „Antikommunistischen Chilenischen Aktion“ (ACHA) und der „Nationalistischen Front der Husaren des Todes“ (FNHM) häufen sich. Und in Temuco, 670 Kilometer südlich der Hauptstadt, schoß der Leiter des örtlichen Ja-Komitees persönlich auf seinen Gegner vom Nein.

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