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DIE KLANGFARBE BRAUN

■ Die rekonstruierte Ausstellung „Entartete Musik“ in der Akademie der Künste

„Jazz ist Gemeinheit, Atonalität ist Irrsinn“ - im völkischen Sinne gesund sei nur der Musikant, der im Rahmen „unserer arischen Tonordnung (...) dreiklangsmäßig -abendländisch“ musiziere. Mit derart grotesken Einsichten wartete im Jahre 1938 die Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ auf, die zur Zeit in rekonstruierter Form in der Akademie der Künste zu sehen (und zu hören) ist. Die Initiatoren, der Berliner Musikwissenschaftler Albrecht Dümling und Peter Girth, Intendant in Düsseldorf, haben zudem eine ganze Menge Material zusammengetragen, das die '38er Ausstellung in ihren gesellschaftlichen und musikwissenschaftlichen Zusammenhängen kommentiert.

„Nichts ist mehr geeignet, den kleinen Nörgler zum Schweigen zu bringen als die ewige Sprache der großen Kunst“ (Hitler). Ein Jahr nach der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ war nun, 1938, die Reihe an der Musik, sich ihrer „zersetzenden Elemente“ zu entledigen, um ihrer neuen Rolle als staatstragender Macht entsprechen zu können. Dabei verfuhren die NS-Ideologen zweigleisig: Während man auf den gleichzeitig in Düsseldorf stattfindenden Reichsmusiktagen versuchte, das „Deutschtum“ in der Musik auf den Begriff zu bringen, sollte die Ausstellung „Entartete Musik“ die Besucher abschrecken und „in die gesunde Normalität zurückängstigen“ (W.F. Haug). Ohne aggressive Abgrenzung und Abwehr alles Fremden und „Andersartigen“ wäre das Phantasma einer deutschnationalen Identität, einer gesunden Volksseele etc. wohl auch nicht von so durchschlagender Wirkung gewesen.

Was die Musik angeht, so zeigt sich hier besonders die Absurdität der nationalsozialistischen Versuche, identitätsstiftend wirksam zu werden: Johann Sebastian Bach wird unter anderem auch wegen seiner „urgesunden kräftigen Leiblichkeit“ vereinnahmt, wegen seiner „Liebe zur Scholle“ und seiner „Arbeitsamkeit“ etc., während an der „Gesamtpersönlichkeit“ Johannes Brahms‘ die „Wesensmerkmale des fälischen, bäuerlich-wuchtigen Verharrungsmenschen“ hervorgehoben werden. Beethovens neunte Sinfonie, die man bei zahlreichen offiziellen Anlässen intonierte, verstand man als den klingenden Ausdruck einer Volksgemeinschaft, in der alle Menschen Brüder wurden und die Klassenschranken fielen. Mozart, Schubert, Bruckner, der heißverehrte Wagner sowieso, gehörten zu den Stars des nationalsozialistischen Kulturverständnisses, und das, obwohl - quelle bordelle Mozart mit dem jüdischen Librettisten Lorenzo da Ponte zusammengearbeitet hatte.

Dafür, daß „wir“ seit dem vorigen Jahrhundert bis in die NS -Zeit hinein „die fortschreitende grauenvolle Entfremdung vom besseren Ich“ erleben, dafür, daß das Volk „so krank, innerlich so wirr und unsauber“ geworden ist, macht der damalige Ausstellungsleiter, der Staatsrat Dr. Hans Severus Ziegler, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters zu Weimar, die Juden verantwortlich. Seine Programmschrift, die den Titel der Ausstellung „Entartete Musik - eine Abrechnung“ trägt, weist eindeutig paranoide Züge hinsichtlich des Feindbildes „Jude“ auf. Das Leiden an der Moderne, die „ständig zunehmende Vermaterialisierung“ in der Gesellschaft, so daß „schließlich Reklame alles“ war dies alles wird den Juden angelastet, weshalb, so fährt Ziegler fort, „sich in der Schaufensterregie ein Wertheim nur unwesentlich von einem Max Reinhardt unterschied“. Diesen unreinen, jüdischen Einfluß gälte es nun auch in der Musik zu eliminieren, damit im „musikalischen Erlebnis“ (Blume) die verlorengegangene Einheit wieder hergestellt werde.

Tatsächlich aber mangelte es an Kriterien, mit denen man das „Deutschtum in der Musik“ zuverlässig hätte bestimmen können. Die Verfemungskampagne richtete sich daher in erster Linie gegen jüdische Musiker und Komponisten, deren Werke in fragmentarischer Form während der Ausstellung in einzelnen Kojen zu hören waren: Schönberg, Weill, Berg, Schreker, Strawinsky, Kerstenberg und andere wurden auf diese Weise angeprangert, aber auch „arische“ Komponisten wie der „atonale Geräuschemacher“ Paul Hindemith, dessen Musik als kulturbolschewistisch verschrien war.

Atonale Musik galt als entartete Musik schlechthin, offenbar weil, wie Albrecht Dümling bemerkt, „Dissonanzen beim Hörer ein kritisches Unbehagen auslösen, das dem Streben der Nazis nach Harmonie und Volksgemeinschaft entgegengesetzt war“. Der Jazz galt als entartet, weil man ihn als den „Einbruch einer neuen Barbarei in das europäische Musikleben“ betrachtete, womöglich artikulierte sich in ihm ein „Unterleibsempfinden“ (Ziegler), das sich die deutsche Herrenrasse nicht auf diese Weise zugestehen wollte. Volks-, Fest- und Feierlieder wurden dagegen enorm propagiert, sofern sie dem „germanischen Tonraum“ entstammten - allen voran das Horst-Wessel-Lied, eine Melodie, „die dem frechen Schwung (!) der Internationale urtümlich Deutsches entgegenstellen konnte“ (Müller -Blattau).

Die nationalsozialistische Inanspruchnahme von Musik als ein politisch-propagandistisches Instrument hat nun aber folgendes deutlich gemacht: daß dort, wo eine derart fatale Bindung an das eine, an die eigene Art, das heißt an die Norm gefordert wird, künstlerische Prozesse notwendig zum Scheitern verurteilt sind. Denn „in der Kunst gilt nur die Überwindung der Norm, also die Nicht-Norm, die Entartung: mit ihr fängt Kunst überhaupt erst an zu tönen, zu leuchten, zu sein“ (H.W. Henze).

Über die Biographien der verfolgten Musikwissenschaftler, Komponisten und Musiker gibt der ausgezeichnete Katalog zur Ausstellung (dem alle hier genannten Zitate entnommen sind) Auskunft und informiert über den Werdegang einzelner NS -Musikwissenschaftler, die nach dem Krieg weitestgehend bruchlos ihre Karrieren fortsetzten konnten, in Westdeutschland ebenso wie in der DDR. Außerdem enthüllt der Katalog eine umfangreiche Text- und Dokumentensammlung, deren Präsentation in der Ausstellung etwas einfallslos ausgefallen ist. Allerdings gibt es dort verschiedene Original-Tondokumente zu hören - sehr spannend sind zum Beispiel die Radiomitschnitte der „Stimme Amerikas“ und des BBC aus den vierziger Jahren: Die im amerikanischen Exil lebende Friedelind Wagner spricht zum 59.Todestag ihres Großvaters Richard, Thomas Mann über Antisemitismus, die Erkennungsmelodie für das Programm der deutschen Kriegsgefangenen („In der Heimat, in der Heimat“) ist zu hören, aber auch Hitlers und Goebbels „Kultur„-Reden, HJ -Lieder, Sprechchöre, dann Schönberg, Schubert, Liszt und Strauss, um nur einige zu nennen..

Insa Eschebach

Ausstellung in der Akademie der Künste noch bis zum 2.Oktober: Entartete Musik. Zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. Eine kommentierte Rekonstruktion von Albrecht Dümling und Peter Girth. Düsseldorf 1988. 32,- DM.

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