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Rumänien-betr.: "Aus Maisbrei und Joghurt den neuen Menschen formen", taz vom 23.9.88

P. Bornhöft: „Aus Maisbrei und Joghurt den neuen Menschen formen“, taz vom 23.9.

So sehr es stimmt, daß N.Ceausescu für die Partei und das Volk Rumäniens kein Glücksfall ist, so falsch scheint es mir, wenn die Kritik der rumänischen Zustände teilweise zu einer schier maßlosen Haßkampagne gerät. Wenn beispielsweise unter ein Photo mit Ceausescus Porträt der Satz „Vor diesem Mann zittern die Rumänen“ plaziert wird, dann ist das Propaganda pur.(...)

Und wenn obendrein dieses Photo mittels eines extremen Hell -Dunkel-Kontrastes dergestalt verfremdet wird, daß der abgebildete Ceausescu nicht mehr als Mensch aus Fleisch und Blut, sondern nur noch als schemenhaftes Phantom, als bedrohliches Gespenst, als Dracula persönlich erscheint, dann ist dies nahezu ein Musterbeispiel an Manupulation.

Derartige unlautere Methoden verbieten sich einfach, und zwar übrigens auch bei solchen Staatsmännern, die man aufgrund ihres verheerenden Wirkens viel schärfer kritisieren müßte als den rumänischen Operettentyrannen: Gottkaiser Hirohito z.B., jenen netten Meeresbiologen, dem demnächst die ganze Welt die letzte Ehre erweisen wird. Sein Regime hat sich nämlich nicht damit begnügt, Untertanen in häßlichen „Wohnsilos“ bei Maisbrei und Joghurt ein paar Winter frieren zu lassen; unter ein paar Millionen massakrierten Chinesen, Koreanern und Vietnamesen war der Kaiser nicht zufrieden. Und dies ist keineswegs Geschichte, sondern brutalste Gegenwart, denn bis zum heutigen Tage ist der so erfolgsbewunderte japanische Kapitalismus nicht bereit, auf den Massenmörder als Galionsfigur zu verzichten...

Statt eine solche Ungeheuerlichkeit politisch auf- und anzugreifen, beteiligt sich die taz an dem allseits beliebten „Hau den Ceausescu„-Spiel, und zwar ziemlich hemmungslos: „Der Führer“ heißt es da auch schon mal, wenn von Ceausescu die Rede ist - so als ob zwischen dem rumänischen „Conducator“ und dem deutschen „Führer“ nicht Welten lägen! Und wenn sich ein Kirchenmann zu der Aussage versteigt: „Er (i.e. Ceausescu) ist nur noch mit Hitler 1943/44 zu vergleichen: unberechenbar und rücksichtslos bis ins Letzte“, dann nickt taz-Bornhöft auch noch zu diesem Vergleich, diesem Fehlen politischen Verstandes und moralischer Maßstäbe! Direkt im Anschluß daran zitiert Bornhöft eine deutschsprachige rumänische Pfarrersfrau, die bedauert, daß Hitler („auch wenn er viel Schlimmes getan hat“) die Rumänen nicht zum Arbeiten zwingen kann. Selbst von diesem Verlangen nach nazistischer Zwangsarbeit hat Bornhöft sich offensichtlich nicht zu distanzieren vermocht! Statt dessen beklagt sie, daß die deutschsprachigen Kirchenleute ihre Ansichten nicht öffentlich äußern, sondern lieber für sich behalten, was sie als ein „gnadenloses Schweigen der Kirche“ qualifiziert.

Im Zusammenhang mit Ceausescus törichter Dorfumsiedlung bzw. -zerstörung ist im Artikel weiterhin viel von „Vernichtung“, „Vernichtungsprogramm“, „Selektion“ die Rede

-ein an Auschwitz gemahnendes Vokabular, das offensichtlich dazu dienen soll, die falsche Gleichsetzung Conducator Führer zu forcieren, den Haß auf das Feindbild Ceausescu zu steigern. Auch eine umweltvergiftende Fabrik, wie es sie auch in anderen (Fehl-)Entwicklungsländern geben dürfte, gerät bei derartiger Sichtweise natürlich einzig und allein zum Beweis für Ceausescus „mörderischen Zynismus“.

Kein Zweifel, die Not in Rumänien ist groß, und wie bei den Ländern des Trikonts muß ein bestimmtes Ausmaß an materiellen Entbehrungen durchaus als Verstoß gegen die Menschenrechte gesehen werden. Allerdings ist das Elend im Falle Rumäniens infolge der Verschuldung sehr stark außenbestimmt. Insofern sollte das Land nicht schlechter gestellt werden als ein durchschnittliches Regime im Trikont. Statt eine Anti-Ceausescu-Kampagne zu inszenieren, wäre es deshalb sinnvoller, auch für Rumänien nachdrücklich einen sofortigen und bedingungslosen Schuldenerlaß zu fordern - ungeachtet Ceausescus blödsinnigen Rückzahlungsstolz. Denn, anders als Bornhöfts Überschrift glauben machen will, hat die schreckliche „Joghurt- und Maisbrei„-Diät weniger etwas mit der „Formung des neuen Menschen“, sondern mehr mit den Zinsgepflogenheiten des alten zu tun.

Elisabeth Stein, Edingen-Neckarhause

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