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Olympischer Wirtschaftsboom: Nach Japan jetzt Korea?

■ Staatspräsident Roh kündigt ehrgeizige Ziele an: Demnächst unter den ersten zehn Handelsnationen / Neue Export-Ausrichtung auf den Ostblock: Wir entwickeln Sibirien

Berlin/Seoul (dpa/taz) - „Die Geschichte Olypias steht auf unserer Seite.“ Der junge Manager Song Sang Soo, in dunkelblauem Zwirn wie die meisten seiner südkoreanischen Kollegen, gibt sich optimistisch. „Was unsere Konkurrenz 1964 in Tokio schaffte, werden wir 1988 nachmachen.“ Erst recht nach der Olympiade bekennt man sich zum großen Vorbild: 24 Jahre, nachdem Japan mit der Austragung olympischer Wettkämpfe seinen Marsch an die Märkte der Erde ankündigte, will nun auch Wachstumsweltmeister Südkorea den endgültigen Durchbruch schaffen. Song arbeitete als „Direktor der 88er olympischen Geschäftsabteilung“ für den Sportartikelhersteller Kolon, der - wie viele Unternehmen Koreas - Millionen in Sponsorverträge, Werbung und Ausstattung von Athleten gesteckt hat, um mit den Seouler Spielen weltweit bekannt zu werden.

Aber nicht nur die direkte Nähe zum sportlichen Großspektakel läßt hier Rekordhoffnungen auf wirtschaftlichem Gebiet aufkommen. Auch der Seouler Unternehmensberater Jang Song Hyon ist überzeugt: „Diese Spiele sind ein Wendepunkt für Südkorea.“ Die technisch perfekte Organisation des Medienspektakels und die Beteiligung von 160 Nationen habe das Image seines Landes positiv beeinflußt und neue Horizonte aufgezeigt. Die neuen Horizonte sind allerdings auch nötig für die gigantischen Exporthoffnungen. Der großartige Ausfuhrboom der letzten Jahre basierte lediglich auf Lieferungen in die USA, die aufgrund der gegenüber dem US-Dollar künstlich niedrig gehaltenen Landeswährung Won immer konkurrenzfähiger wurden. Und die USA werden nach den Präsidentschaftswahlen mit Macht daran gehen, ihre verschuldungsträchtige Importlastigkeit abzubauen. Da die Wirtschaftslenker offenbar keinerlei Anstrengungen machen, die angestrebten Wachstumsraten binnenwirtschaftlich durch höhere inländische Nachfrage etwa über Lohnsteigerungen - abzusichern, bleibt nur das Schielen auf neue Märkte. In jeder Hinsicht naheliegend ist da der sozialistische Block.

So vollzog sich während der olympischen Tage in Seoul, was noch vor zwölf Monaten im traditionell antikommunistischen Südkorea unvorstellbar erschien: Der Daewoo-Konzern schickte Arbeiter und Angestellte mit roten Fahnen in Stadien und Hallen, um sowjetische Sportler anzufeuern, das Lotte -Kaufhaus stellt russischen Sekt und Kaviar zur Schau, nach Ungarn eröffnete am Dienstag auch Jugoslawien eine Handelsmission im Lande. Ärger über die Olympia -Berichterstattung des US-Fernsehens und seit langem latent schwelender Anti-Amerikanismus trägt ein übriges dazu bei, daß „Korea seine Auslandsverbindungen diversifiziert“, wie es Jang vorsichtig formuliert.

Olympische Goodwill-Aktionen, die Daewoo nach Berichten in Seoul schon ein fünf Millionen Dollar schweres Investitonsprojekt zur Herstellung von Mikrowellenherden in Ungarn einbrachte, wurden von manchen Unternehmen auch pekuniär flankiert. So finanzierte Lucky Goldstar dem Vernehmen nach einen Teil des Olympia-Abenteuers der Mannschaft aus Vietnam.

Am Dienstag nach der Olympiade nun wurden die ehrgeizigen Ziele regierungsamtlich in Zahlen gefaßt. 1992, wenn Europa zum großen Sprung in den Binnenmarkt ansetzt und alle Welt Angst vor einem abgeschotteten EG-Markt hat, will Südkorea für 90 Milliarden Dollar exportieren und damit zu den zehn größten Handelsnationen der Welt gehören, kündigte Präsident Roh Tae Woo in einer Regierungserklärung an. Um nicht weniger als acht Prozent soll das Bruttosozialprodukt durchschnittlich in den nächsten fünf Jahren anwachsen. Und bis 1991 wolle das derzeit mit über 30 Milliarden Dollar im Ausland verschuldete Südkorea zu einer Kreditgebernation werden.

Regierungserklärung Rohs

In der Tat konnte in den letzten zwei Jahren ein großer Teil des Schuldenberges abgebaut werden. Er wurde jedoch durch die einseitige Exportausrichtung über den Pazifik auf den amerikanischen Berg draufgetürmt, und es ist fraglich, wieviel Last der noch aushält.

Die anhaltende Kritik aus den USA und auch Europa wegen des zu niedrigen Won-Kurses und der Exportlastigkeit fing Roh mit der Ankündigung auf, die koreanische Währung solle „internationalisiert“ werden. Angesichts anhaltender Leistungsbilanz-Überschüsse sei seine Regierung außerdem bestrebt, für ein „besseres Gleichgewicht zwischen Exporten und inländischen Verkäufen“ zu sorgen. Gegenüber den Staaten des Ostblock wolle Korea „jede Art der Kooperation verbessern“. Dazu gehören Handel aber auch die Beteiligung an Entwicklungsprojekten „einschließlich der Entwicklung Sibiriens“, erklärte Roh.

Seouler Wirtschaftsverbände kündigten jetzt an, in den kommenden Monaten Delegationen in die DDR, nach Polen, in die Sowjetunion und die Volksrepublik China zu schicken, um über die Einrichtung weiterer Handelsmissionen und einen verstärkten Warenaustausch zu verhandeln.

Etwas Handfestes dürfte sich allerdings in diesem Jahr noch ändern. Wenn die bisherige Entwicklung noch die restlichen Monate anhält, wird der Bereich Textilien und Bekleidung nicht mehr die Exportbranche Nummer eins sein. Elektronik aus den Fabriken Daewoo, Goldstar und Samsung werden wahrscheinlich dann den Spitzenplatz einnehmen. Und bei Hyundai laufen die Vorbereitungen für den Kleinwagenexport auch auf den europäischen Markt.

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