: SCHATROW, JELZIN UND DIE FRAUEN
■ üben die Ungleichzeitigkeit des guten Willens
Welche Zutaten bedarf es, um den perfekten Kleintumult zu inszenieren? Man nehme einen russischen Mann (Unterkategorie: Kavalier alter Schule, im Prinzip gutwillig), eine Teilmenge bewußter Berliner Frauen (Unterkategorie: ganz der Gegenwart verhaftet, ebenfalls gutwillig) und eine Dolmetscherin (in diesem Fall des Deutschen so wenig mächtig, daß sie ganze Sätze bis zur Unkenntlichkeit entstellte). Durch einen unglücklichen Zufall fanden sich alle diese Zutaten beim Gespräch mit dem Genossen Schatrow. Die Mischung gebar zunächst laute Buh -Rufe, als er das Verhalten des radikalen Perestroika -Vertreters Jelzin in gewissen Fällen mit dem einer „hysterischen Frau“ verglich.
Mißverständnis Nummer eins: Ob der Unruhe im Saal beeilte sich Schatrow zu versichern, daß er von Boris Jelzin eigentlich sehr viel halte. Mißverständnis Nummer zwei: Eine der anwesenden Berlinerinnen ging offensichtlich davon aus, daß die sowjetischen Männer seit 20 Jahren zutiefst in die westliche Feminismusdebatte verstrickt sind: Sie sei nunmehr persönlich enttäuscht! Mißverständnis Nummer drei: Irgendjemand erklärte, alles läge nur an der Dolmetscherin, die im Zusammenhang mit „oben Frau“ das Wort „hysterisch“ nicht übersetzt habe (was als Tatsache übrigens zutraf, doch weil gewisse Schmerzpunkte berührt werden, bedarf es offenbar keiner Übersetzung).
Angesichts dieser Wirrnis erklärte Michail Schatrow, daß er eine Frau gar nicht beleidigen könne, weil er die Frauen viel zu sehr liebe! Sein Zusatz, daß ihm gerade deshalb in seinem Leben weibliche Hysterie bisweilen überrumpelte, ging in dem anfangs erwähnten Tumult unter. Die anwesenden Frauen fühlten sich nämlich verhohnepiepelt. Erschüttert und depremiert murmelte der Referent: „Ich entschuldige mich, ich entschuldige mich!“ Die Anmerkung aus dem Publikum, daß gerade die automatische Assoziation von „hysterisch“ und „Frau“ verletzend wirke, reichte ihm wohl kaum.
Manche moralische Ansprüche an Vertreter anderer Kulturen wirken wie allzu schwere Hämmer: entweder sie treffen daneben oder sie beugen, ehe sie überzeugen wollen.
B.K.
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