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Ein Blick in Hempels Waschsalon

■ Wie eine deutsche Firma den Atomwaffensperrvertrag löcherte / Von Thomas Scheuer

Die dubiosen Geschäfte und Methoden des Düsseldorfer Firmenkonsortiums AlfredHempelGmbH&CoKG werfen ein Schlaglicht auf die Mechanismen des atomaren Schwarzmarktes und wecken erhebliche Zweifel, ob die Bundesrepublik ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Sperrvertrag nachgekommen ist.

Der Kunde schien mächtig auf dem Schlauch zu stehen. Der Brief aus Karachi wurde in Genf per Eilboten zugestellt, am Vortag erst war ein Telex eingelaufen: Dringend mahnte die „Pakland Corporation“ beim Empfänger, der Firma „Adero -ChemieS.A.“ in Genf, die ausstehende Offerte an. Es ging um 5-10 Tonnen Schweres Wasser („Reactor Grade“), einen Stoff, dessen Produktion und Export wegen seiner strategischen Bedeutung im Kernbrennstoff-Kreislauf durch internationale Abkommen strengen Restriktionen unterworfen ist. Schwerwasser oder Deuteriumoxid (D2O) dient als Moderator in einem Reaktortyp, in dem sich aus Natururan direkt, also ohne die aufwendige Anreicherung des Urans, waffenfähiges Plutonium gewinnen läßt. Jeder Transfer von mehr als einer Tonne D2O unterliegt internationaler Meldepflicht.

Die Pakland Corporation aquirierte seinerzeit das begehrte Naß auf dem internationalen Schwarzmarkt für die „Pakistan Atomic Energy Commission“ (PAEC) - bezahlt wurde in US -Dollars und meist in bar. Die PAEC-Ingenieure standen unter Druck: 1974 hatte ausgerechnet der verfeindete Nachbar Indien mit seiner „friedlichen Kernexplosion“ aller Welt vorgeführt, daß selbst für ein Hungerland der Dritten Welt der Griff zur Atombombe keine Utopie mehr war - allen Kontrollmechanismen des Atomwaffensperrvertrages zum Trotz. Die indischen Atomtechniker hatten ihre unter internationaler Kontrolle stehenden Atomanlagen einfach dupliziert und neben dem überwachten „zivilen“ einen unüberwachten Parallelkreislauf für den militärischen Bedarf aufgebaut. Der Stoff für diese Kopieanlagen war auf offiziellen Wegen natürlich nicht zu bekommen. Er mußte über die komplizierten Kanäle des Schwarzmarktes geschleust werden. Der atomare Wettlauf zwischen Indien und Pakistan wurde zur Goldgrube für eine ganze Schieberzunft. Zu den Gewinnern gehörten auch die Hintermänner der inzwischen aufgelösten Adero-Chemie in Genf. Deren Schreibtische standen in der Düsseldorfer Zentrale der AlfredHempelGmbH&CoKG - einem Knotenpunkt im internationalen Schwarzmarktgeflecht. Die Adero hatte Firmenchef Hempel als „Korrespondenz-Adresse“ durch Strohmänner aufkaufen lassen. Das Netz seines weitverzweigten Konsortiums umfaßt Niederlassungen, Tochtergesellschaften, Beteiligungen und Tarnfirmen in aller Welt. (Recherchen über die Hempel-Gruppe veröffentlichte die taz, 25.August 88.)

In die Schlagzeilen gerieten die Düsseldorfer jüngst mit dem Verschub von jeweils mehreren Tonnen Schwerwasser aus Norwegen (Dezember 1983) und der UdSSR (Sommer 1985) über die Schweiz und die Vereinigten Arabischen Emirate nach Indien (siehe taz vom 25.8.). Mit diesen beiden Fällen, so vermutete kürzlich der SPD-Bundestagsabgeordnete Prof.Hartmut Soell gegenüber Journalisten, sei womöglich nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden. In der Tat: Über die Genfer Tarnfirma Adero-Chemie, die er von Strohmännern hatte aufkaufen lassen, mischte Hempel bereits Mitte der 70er Jahre kräftig im Undercover-Business für Schwerwasser mit. Dabei wurden die Atomklempner Indiens und Pakistans - ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit - fast gleichzeitig beliefert. In den Adero-Büchern finden sich schon Anfang des Jahres 1975 Eintragungen wie: „Pakland D20 - 597.000 US-Dollars“. (30.000 Mark Provision sprangen für die Genfer Mittelsmänner raus.) Teilweise wurden in den Adero-Auftragsbüchern die Bestellungen der Konkurrenten gleich hintereinander notiert: „Pakland - D2O - 5 t erwarten Ihre Offerte“ steht da und gleich in der nächsten Spalte: „Atomic Energy-Commission India - 10 t D2O erwarten ihre Offerte.“

Für Gary Milhollin, amerikanischer Juraprofessor und Proliferations-Experte, steht fest: Hempel-Firmen haben mit ihren Schwerwasser-Lieferungen maßgeblich zum Aufbau des indischen Atomwaffenarsenals beigetragen. Das geistige Patent auf ein technisches Novum mag er Hempel nicht absprechen: Sein Konsortium sei die erste „Waschmaschine für Wasser“. Von einem Waschsalon zu sprechen scheint angemessener.

Als Inhaber umfangreicher Alleinvertriebsrechte für sowjetische Nuklearartikel belieferte Hempel fast in ganz Westeuropa Forschungsinstitute und Kliniken ganz legal und seriös mit allerlei Strahlenkram. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe stand ebenso auf seiner Kundenliste wie das „CERN“ in Genf oder das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung in Würenlingen. Für den 6,8-Tonnen-Transfer nach Indien im Sommer85 orderte Hempels „Rohstoff-Einfuhr -GmbH“ bei Techsnabexport in Moskau D2O in Portionen zu 990 Kilogramm, also jede knapp unter dem 1-Tonnen-Limit. Als Abnehmer wurden Moskau, so entnimmt die taz dem Skript eines sowjetischen Diplomaten, folgende Firmen in West-Europa angegeben: „Isotron“ in West-Berlin, eine 100prozentige Hempel-Firma; „Intersales“ in Holland, die nicht Hempel gehört, aber mehrfach „als Adresse für Schiebereien mißbraucht wurde“, wie die taz von einem Insider erfuhr; das „Institut National des Radioelementes“ in Belgien, mit dem sich Hempel eine deutsche Zweigfirma teilt sowie weitere Firmen (Forschungszentrum Seibersdorf in Österreich, Niels -Bohr-Institut in Dänemark, Chemie-Fabrik Utikon in der Schweiz, Merck in der BRD), die jedoch nie einen Tropfen D2O sahen.

Ein Grundprinzip des Atomschwarzmarktes ist die Verquickung von sauberen mit schmutzigen Geschäften; die Grenzen sind fließend. In den frühen 70ern scheint Hempel, über honorige Partner in Luxemburg, sogar die Israelis mit Schwerwasser aus der UdSSR versorgt zu haben.

Zu Beginn der 80er Jahre stieg Hempel in den Handel mit unkontrolliertem Spaltmaterial und Schwerwasser aus der Volksrepublik China ein. Via Hongkong versorgte er die Atomiker in Südafrika und Argentinien, beide ebenfalls Nicht -Unterzeichner des Sperrvertrages. Am 3.Juni 1981 trafen beispielsweise mit dem aus Hongkong kommenden Air-France -Flug Nr.195 in Paris 40 Tonnen chinesisches Schwerwasser ein, bestellt von Hempels neuem schweizerischen Firmen -Ableger „Orda“, angeblich für Kunden in der Schweiz und der BRD. Das Material flog jedoch tags drauf, am 4.Juni, von einem eigens aus Düsseldorf angereisten Hempel-Mann mit neuen Frachtbriefen ausgestattet, mit Air-France-Flug Nr.97 weiter nach Buenos Aires. Spätestens jetzt gerieten seine Geschäfte ins Visier westlicher Nachrichtendienste. Das US -Außenministerium erbat im Mai 1981 von der Bundesregierung in einer geheimen Demarche die „Unterstützung der Bundesrepublik, um die Verschiffung von Nuklear-Material nach Südafrika zu verhindern“. Paris und Washington wollten mit in Aussicht gestellten Uranlieferungen für zwei Atomanlagen damals gerade von Pretoria deren Öffnung für IAEA-Kontrollen erzwingen. Lieferungen seitens Dritter, so warnten die US-Beamten die Bonner eindringlich, torpedierten diese Bemühungen. Auch die Hempel-Exporte nach Argentinien, so die US-Diplomaten, unterliefen die internationale Non -Proliferations-Politik und seien daher „für die US -Regierung Anlaß für ernste Besorgnis“.

Eine Schlüsselfrage für den Atom-Ausschuß des Bundestages lautet also: Warum blieben die Schwarzhändler der Hempel -Gang amtlich unbehelligt? Und dies trotz ständiger Anfragen und Warnungen seitens befreundeter Regierungen und Geheimdienste an die Bonner Regierung. Ein für internationale Nuklearbeziehungen zuständiger Beamter im US -Außenministerium bestätigte der taz, daß US-Stellen seit Beginn der 80er Jahre mehrfach bei ihren Bonner Kollegen wegen Hempel auf der Matte standen, diese also über dessen Umtriebe frühzeitig im Bilde waren. Zwischen Außen- und Wirtschaftsministerium aber auch innerhalb des Wirtschaftsministeriums soll es mehrmals zu internen Auseinandersetzungen über Hempel gekommen sein.

Offenbar existieren Interessenkonstellationen, die Hempel den Spielraum für seine dubiosen Transaktionen verschafften. Der Gemischtwarenhändler ist beileibe kein kleiner Fisch in der Atomgemeinde: Eine strategische Position errang er bereits Mitte der 70er Jahre, als er sich in Moskau das Alleinvertriebsrecht für sowjetische Urananreicherung für die BRD ergatterte. Ob „Nukem“ oder bundesdeutsche Stromgiganten in der UdSSR ihre Brennelemente anreichern lassen - bis ins Jahr 2000 kassieren Hempels automatisch mit. Dieses Monopol und seine exklusiven Ost-Kontakte ließen den cleveren Kaufmann seinerzeit gar über eine Verflechtung mit Nukem grübeln. Einen 25-Prozent-Anteil seiner „Rohstoff -Einfuhr GmbH“ wollte er den Hanauern anbieten: „Aus der Sicht von NUKEM“, spekulierte er in einer internen Firmenstudie, „muß dies sehr verlockend sein, da ja Provisionszahlungen im Werte von rund 40 Mio. DM bis zum Jahr 2000 fällig sind und die anderen Geschäfte anstehen, worunter z.B. auch der Einkauf von 600-1.500 kg Plutonium im Wert von 30 Mio. DM, bezw. 80 Mio. DM in Frage kommt.“ Zwar stieg die Nukem nicht ins Hempel-Imperium ein, doch später gründeten Nukem, Transnuklear und Hempel gemeinsam die „Inter-Nuklear“, um einen Fuß im Entsorgungsgeschäft mit China zu haben.

Die erwähnten 600-1.500 Kilogramm Plutonium - eine ungeheuere Menge - standen möglicherweise im Zusammenhang mit den umfangreichen Argentinien-Geschäften. Den Generälen in Buenos Aires, die auf Plutoniumhaltige MOX-Brennelemente scharf waren, hatte er laut einem britischen Geheimdienstreport neben seiner Hausmarke D2O immerhin „Material für alle Stufen des Brennstoffkreislaufes“ angedient.

Auf undurchsichtige Fäden ins Bonner Zentrum läßt eine Notiz Hempels von vor rund zehn Jahren schließen, als wichtige Verhandlungen in Moskau vorübergehend ins Stocken geraten waren. „Streng vertraulich“ notierte er damals: „Sollte sich Techsnabexport stur stellen, (...) könnten wir immer noch das Bundeswirtschaftsministerium oder das Auswärtige Amt einschalten, um unsere Interessen zu schützen, die in diesem Fall mit den Interessen der Bundesregierung gleichlaufend sind und einen sehr heiklen Stoff, nämlich Uran-Anreicherung oder Wiederaufarbeitung berühren und unsere einzige mit Erfolg auf dem Weltmarkt mit Kernkraftwerken operierende Firma, nämlich die Kraftwerk -Union.“ Aber Hallo! Das muß man noch mal langsam lesen: Herr Hempel „schaltet“ mal kurz ein Ministerium ein. Und: Welche „gleichlaufenden“ Interessen bitteschön hatte oder hat der Schwarzhändler mit der Bundesregierung?

Manchmal fänden Regierungen, so erläuterte ein beamteter Gesprächspartner der taz, Firmen ganz nützlich, die verdeckt gewisse Dienstleistungen anbieten, die, geschähe dies öffentlich, die offizielle Politik ins Zwielicht brächten. Haben Bonner Stellen (wie angeblich ja auch die UdSSR) möglicherweise bei „gewissen Dienstleistungen“ der Hempel -Firmen beide Augen zugedrückt, etwa um Auslandsaufträge größerer Dimension zu sichern? Bekanntlich lieferte die KWU hochoffiziell ganze Atomanlagen nach Argentinien und Brasilien. In Argentinien steht der einzige je von Deutschen im Ausland erstellte Schwerwasser-Reaktor. Während der deutsch-argentinischen Verhandlungen war Schwerwasser immer wieder ein zentraler Zankapfel - und Anlaß für energische US -Interventionen. Auch Argentinien und Brasilien basteln bekanntlich an unüberwachten Parallel-Kreisläufen. Vielleicht sind ja Hempels dirty deals nur die logische Konsequenz bundesdeutscher Nuklearexportpolitik! Am 14.Februar 1986 kabelte die deutsche Botschaft in Bern in einem verschlüsselten Fernschreiben Informationen über Schwerwasser-Transfers via Flughafen Amsterdam nach Bonn und gibt dabei den in Geheimdienstkreisen gehandelten Verdacht weiter, die UdSSR sei von Hempel womöglich gar nicht gelinkt worden, sondern bediene sich vielmehr seiner, um ihrem Bündnispartner Indien „unter Umgehung der Londoner Richtlinien (Zusatzabkommen zum Sperrvertrag, d.Red.) und durch Verschleierung der Lieferwege größere Mengen Schwerwasser für die nicht kontrollierten indischen Nuklearanlagen zu liefern“. Bediente man sich auch in Bonn seiner Dienste?

Die Akten in Sachen Hempel, die die Bundesregierung den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses zum vertraulichen Studium in der Geheimschutzstelle des Bundestages überlassen hat, sind unvollständig; manchen Schriftstücken wurden mehrere Seiten entnommen. Das fehlende Papier betreffe den „Kernbereich der Exekutive“, meint die Regierung, und ginge mithin das Parlament nichts an. Welche Fäden verbinden den „Kernbereich“ der Regierung mit den Interessen dubioser Spaltprodukthändler?

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