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Carrom-Boom in Bremen

■ Ein asiatisches Brettspiel auf dem Vormarsch / Indienreisende brachten es nach Europa / Entstand Carrom aus dem Billard der britischen Kolonialherren? / Ein Turnier- und ein Kneipenspiel für schnelle Finger und kluge Taktik

Wer in der letzten Zeit im „Weserstrand“ oder im „Kairo“ war, wird sie schon gesehen haben: Spieler, die sich an einem quadratischen Brett gegnüber sitzen, an dessen vier Ecken sich Löcher befinden. Mit den Fingern, unter Zuhilfenahme eines flachen Pucks, schnippen sie Scheiben, die Damesteinen ähnlich sehen, in die Löcher. Dieses hier eher leger beschriebene Spiel erinnert an Poolbillard, heißt Carrombol und ist eine Variante des Carrom.

„Carrombol ist leichter zu spielen, weil die Spielfläche kleiner, ca. 60 mal 60 cm, das Verhältnis der Spielsteingröße zur Größe der Löcher etwas günstiger und die Regeln einfacher sind“, erklärt mir Dieter Skorzinski, ein Bremer Carromspieler, der inzwischen auch bundesweit zu den Spitzenspielern zählt. Das Carrom-Brett ist 74 mal 74 cm groß. Genau wie beim Carrombol gehören zum Carrom je neun schwarze und weiße Steine sowie ein roter Stein, Queen genannt. Außerdem gibt es den weißen Puck, der korrekt Striker oder Fligg heißt. Die Spielregeln des Carrom sind etwas schwieriger, erlauben aber ein variantenreicheres, interessanteres Spiel.

Dieter Skorzinski kam Anfang 1985 zum Carromspiel. Auf einer Trecking-Tour mit Freunden durch Nepal traf er immer wieder auf einheimische Carromspieler, sah ihnen beim Spielen zu. Auf dem Marktplatz von Katmandu setzte er sich zum ersten Mal selbst ans Brett. Dort lagen 20-30 Bretter aus, an denen gegen ge

ringe Leihgebühr gespielt wurde. Nachdem er eine Weile den Spielern zugesehen hatte, lieh er sich ein Brett und von da an spielte er jeden Tag ein bis zwei Stunden. „Zu Anfang war der Erfolg kläglich, aber dann merkte Fortschritte.“ Wieder zu Hause angekommen, ging ihm das Spiel nicht aus dem Kopf. Zufällig sah er in einer Kinowerbung für einen Spielwarenladen ein Carrom Brett. Er machte den Laden ausfindig und kaufte sein erstes Brett. Nun wurde häufig im privaten Freundeskreis gespielt. Doch schon bald stellte sich Frust ein:

„Man kennt seine gegenseitigen Stärken und Schwächen genau, es gibt keine Überraschung mehr. Man hat das Gefühl, daß man nicht weiterkommt.“ Da traf es sich gut, daß Dieter Skorzinski nach etwa einjähriger Spielpraxis auf ein altes Turnierplakat stieß. „Man lernt am besten, wenn man auf Turnieren spielt. Hier sieht man immer etwas Neues“, faßt er seine Erfahrungen zusammen. Inzwischen hat er auf vielen Turnieren gespielt und sein Spielniveau verbessern können.

Diese Geschichte ist typisch für die Verbreitung des Spiels in

Europa. Ursprünglich wurde Carrom nur in Indien, Sri Lanka, Afghanistan, Nepal und Bangladesh gespielt. Über die Herkunft des Spiels gibt es zwei Theorien. Die eine besagt, daß Carrom ein Jahrhunderte altes Spiel ist. Die andere führt die Entstehung auf die Kolonialzeit in Indien zurück. Die Britischen Kolonialherren brachten Billard-Tische mit nach Indien. Die Einheimischen entwickelten daraus ein Brettspiel, quasi ein Billiard für Arme.

Durch Asienreisende gelangte Ende der 70er Jahre das Carromspiel in die Schweiz. Von hier aus

erreichte es Österreich, Frankreich, Holland und die Bundesrepublik. Das Carromspieler auch Asienfreaks sind, bestätigt Dieter Skorzinski nicht. „Das Alter der Spieler reicht von 14-60 Jahren, alle möglichen Leute sind vertreten.“ Seit rund zwei Jahren gibt es den Deutschen Carrom-Verband, dem 25 Vereine und 8-10 losere Spielgemeinschaften angehören. Die Zahl der Carromspieler nimmt weiter zu. Vor einigen Wochen haben sich 20 Bremer Carromspieler zusammengetan, die sich einmal wöchentlich im Bürgerhaus Weserterrassen treffen.

Abgesehen von ihnen und den Carrambolspielern in den Kneipen, muß es eine große Zahl privat spielender Fans geben. Denn bei den Spielwarengeschäften Bremens steigt der Absatz an Carrom- und Carrombolbrettern. Allein im vergangenen Jahr sollen nach Angaben des Deutschen Carrom Verbandes bundesweit 5000 Bretter gekauft worden sein.

„Ein Anfänger kann auf jedem Brett spielen. Irgendwann merkt man jedoch, daß ein einfaches Brett nicht mehr ausreicht und man kauft sich dann ein gutes“, weiß Dieter Skorzinski. Bei einem guten Brett sollte die Spielfläche plan und die Banden stark sein. Die Spielsteine müssen gleichmäßig und leicht laufen. Das Spielbrett ist relativ schlicht. Wenn man berücksichtigt, daß ein solches Brett zwischen 150 und 450 Mark kostet, muß schon etwas Faszinierendes an diesem

Spiel sein. „Schon das Zusehen macht Spaß. Die Spielidee ist einfach, die Spielregeln können schon beim Zuschauen erfaßt werden. Das Spiel erfordert Geschicklichkeit und Taktik. Es gibt Bewegung und auch der Wettkampfcharakter ist reizvoll.“ Und wie sagte Dieter Skorzinski weiter: „Du mußt es einfach 'mal spielen, dann wirst Du es merken.“

Claudia Jokisch

Bremer Carrom-SpielerInnen treffen sich im Bürgerhaus Weserterrassen am 28.10., 18. und 25.11. und 2.12., jeweils ab 19 Uhr

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