: Prügel in der Neustadt
■ Skinheads und „normal aussehende Jugendliche“ schlugen zweimal in Privatwohnungen zu / Neustädterin schrieb einen nachdenklichen Brief
Der Sozialhilfeempfänger Ernst B. war der erste, der in diesem Jahr von rechtsextremen Jugendlichen in seiner Wohnung in der Neustadt krankenhausreif geschlagen worden ist. Das war im Juli und in der Lahnstraße.
Der Schlachter Günter Bretschneider war das zweite Opfer von rabiater Jugendgewalt in einer Neustädter Privatwohnung. Das war im 24. September und in der Erlenstraße. Ob zwischen den beiden Vorfällen Verbindungen bestehen, ist nach wie vor unklar.
Im letzten Fall hatte sich eine 20köpfige Gruppe von „Skinheads“ und „Normalos“, bewaffnet mit Baseball-Schlägern und Zaunlatten, an einem Samstag abend zusammengerottet, weil
drei von ihnen bei einer Fete rausgeschmissen worden waren. Diese Fete hatte der Sohn des Schlachters, ein 20jähriger Einzelhandelskaufmann für etwa 40 bis 50 Gäste, darunter auch einige „Psychobillies“, gegeben. Als sich der Schlachter den Skins entgegenstellte, war er von einer neunfachen Übermacht überwältigt und so zusammengeschlagen worden, daß er fast drei Wochen im Krankenhaus verbringen mußte. Ein Auge hat seither nur noch 20 Prozent der Sehkraft. Der ebenfalls demolierte Metzgerladen hat mittlerweile wieder geöffnet.
Die Mutter eines der friedlichen Feten-Besucher hat direkt nach diesem letzten Vorfall einen
offenen Brief an zwei Senatoren und den Stadtteilbeirat verfaßt. Ihre Söhne hatten ihr von den Vorkommnissen auf der Fete und der weitverbreiteten Angst der Jugendlichen vor „Skins“ erzählt.
Der Brief
Wir dokumentieren im folgenden den bemerkenswerten Brief der Mutter in Auszügen:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
(...) Ganz konkret stellt sich die Situation für meine Söhne, die beide noch das Gymnasium besuchen, folgendermaßen dar:
(...)Sie sind der Meinung, daß es generell gefährlich ist, sich über
Neofaschismus im allgemeinen und die „Skins“ im besonderen selbst in einem Bildungsinstitut wie dem Gymnasium öffentlich abfällig zu äußern, da immer Kontaktpersonen gefürchtet werden müssen, die die Namen weitergeben, und entsprechende Überfälle folgen.
Mich hat die Reaktion meiner sonst sehr kritischen und politisch engagierten Kinder mehr als nachdenklich gestimmt, aus ganz konkreter Angst vor Vergeltung in Sachen Neofaschismus eher wegzuschauen, Zurückhaltung zu üben und Brutalitäten mit einem Schulterzucken zu beantworten. Eine Anfrage bei Eltern anderer Jugendlicher bestätigte mir, daß dies die übliche Art des Umgangs mit diesem Problem ist, wenn 'man nicht in Schwierigkeiten kommen will‘.
Abgesehen davon, daß ich meine Söhnen in Zukunft nicht mehr alleine feiern lasse, werde ich an eine Epoche unserer Geschichte erinnert, in der Unrecht aus Angst vor persönlicher Verfolgung nicht öffentlich gemacht wurde.
Meine Frage an Sie:
-Was wird auf politischer Ebene konkret gegen den Neofaschismus unternommen (in seiner Komplexität)? (...)
-Was können wir Eltern unseren Kindern raten?
Eine hilfesuchende Mutter“
(taz/B.D.)
Am kommenden Donnnerstag, dem 20.10., steht auf Betreiben der Grünen das Thema Neofaschismus auf der Tagesordnung des Stadtteilbeirates Neustadt, Ortsamt Langemarckstraße 113, Sitzungszimmer, um 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen