: Crash-Test bestanden - bitte anschnallen
■ Ein Jahr nach dem Börsenkrach überwiegt Optimismus / Kommt die nächste Talfahrt? / Von P.McCash Flow
Schwarzer Montag - vor einem Jahr rauschten die Kurse an den internationalen Börsenplätzen in den Keller. An der Wallstreet purzelten die Kurse zuerst, Tokio folgte, in Hongkong mußte die Börse geschlossen werden, dann in London und Frankfurt. Das Schreckgespenst vom „Schwarzen Freitag“ ging um die Welt. Heute, ein Jahr später, zieht der goldene Herbst an der Börse auf, die Wachstumsraten übertreffen kühnste Erwartungen. Aber wie lange hält die Hausse?
Ein Jahr nach dem Schwarzen Montag sonnt sich der internationale Aktienmarkt in einem Goldenen Börsenherbst. Zwar liegt das vor allem in den letzten Wochen stark verbesserte Kursniveau der deutschen Börsen immer noch 15 Prozent unter dem vom Crash gebeutelten Höchststand im Herbst 1987, doch mehr als die Hälfte des jähen 40-Prozent -Verlusts ist schon wieder aufgeholt. Wenn der Optimismus, den Banker, Broker und Börsenberater derzeit an den Tag legen, noch ein Weilchen hält, könnten die Vor-Crash -Rekordmarken bald getestet werden. Andererseits sagt eine alte Regel, daß, wenn nahezu alle Berater Optimismus an den Tag legen, ziemlich bald ein Abschwung ins Haus steht. Daß dieser Abschwung ausgerechnet heute, am Jahrestag des Crashs, stattfindet, ist nicht zu erwarten; bei aller Kurven -Kabbala und Zyklen-Mystik herrscht an den Börsen keine plumpe Jahresmagie.
Dennoch werden zahlreiche Marktteilnehmer insgeheim aufatmen, wenn die psychologische Hürde des 19.Oktobers genommen ist und das Jahr eins Post Crash gar mit kletternden Kursen beginnt. Denn bei allem an den Tag gelegten Optimismus sitzt der Schock des Schwarzen Montags noch in den Knochen, auch wenn sich die Parallelität zum Wirtschaftskrach 1929 zumindest, was den Kurvenverlauf angeht, aufgelöst hat: Damals folgte nach dem Black Friday ebenfalls eine deutliche Erholung, wenige Monate später aber fiel die Börse in eine jahrelange Baisse-Lethargie.
Der Crash vom 19.Oktober 1987 führte dazu, daß viele Prognostiker die Konjunkturaussichten für 1988 sehr bescheiden ansetzten, die 1,5 Prozent Wachstum, die die bundesdeutschen Wirtschaftsweisen im vergangenen November für 1988 schätzten, wurden von vielen Beobachtern als Zweckoptimismus gewertet - daß der Crash so wenig Auswirkungen haben sollte, schien unwahrscheinlich. Mittlerweile gibt Finanzminister Stoltenberg das Wachstum mit voraussichtlich 3,5 Prozent an, der zweithöchsten Rate der achtziger Jahre, und niemand widerspricht ihm. Die Schwarzseher, so scheint es zumindest im Moment, lagen falsch.
Die 160 Milliarden Mark, die deutschen Anlegern zwischen Oktober und Ende Januar verloren gingen, verschwanden nur auf dem Papier, sie haben die Konsumbereitschaft der Bundesbürger nicht negativ beeinflußt. Der ansonsten gern beklagte Zustand, daß sich nur 17 Prozent der deutschen Aktien in privater Hand befinden, erwies sich als Glücksfall: Die Deutschen kauften weiter wie blöd und stützten so die Konjunktur aufs Beste. Die institutionellen ausländischen Anleger, mit einem Anteil von 25 Prozent am Aktienbestand der Motor jeder Kursbewegung am deutschen Markt, stießen von Oktober bis Mai deutsche Aktien im Wert von knapp zehn Milliarden Mark ab. Seit den ersten beiden Sommermonaten sind sie wieder auf der Käuferseite und sorgten für steigende Kurse.
Neben der günstigen Binnen-Konjunktur förderten internationale Gegebenheiten eine problemlose Verdauung des Crash-Brockens: die Ölpreise, deren Anstieg man als Negativ -Punkt wertete, fielen wider Erwarten, und der Dollar, den nach den 1,56 DM zum Jahresende manche schon bei 1,20 DM sahen, konnte auf über 1,85 DM zulegen. Das amerikanische Defizit im Außenhandel schrumpfte glücklicherweise etwas, so daß sich ein weiteres Herunterdrücken des Dollars durch die US-Währungsbehörden als überflüssig erwies. Eine Maßnahme, an die sich die Amerikaner offenbar schon wieder erinnern, denn das im Sommer sich noch so günstig entwickelnde Handelsdefizit tendiert wieder zu den negativen Schätzungen. Vor allem gegenüber dem Yen ist der Dollar in der letzten Woche deutlich gesunken, gegenüber der DM fiel die US -Währung an einem Tag um zwei Pfennig.
Sollte dieser Trend sich fortsetzen, wird es mit der tollen Stimmung auf dem deutschen Aktienmarkt bald vorbei sein. Auch das Auge des Finanzgiganten Japan blickt bereits mit Argwohn auf den rückfällig werdenden Patienten Dollar, die Börse in Tokio reagierte in den letzten Tagen trotz weltweit freundlicher Stimmung mit abbröckelnden Kursen. Zum Argwohn hat man an der japanischen Börse auch allen Grund, denn hier hatte der Oktober-Crash des Vorjahrs bisher überhaupt keine Auswirkungen. Zwar verlor auch der Nikkei-Index nach dem Kurssturz in Wallstreet 15 Prozent an einem Tag und mußte bis zum Jahresende weitere Verluste hinnehmen, im April aber wurden die alten Höchstmarken schon wieder erreicht und deutlich überstiegen. Keine Börse der Welt hat den Crash so mühelos überwunden wie die Japaner, was umso mehr erstaunen muß, als japanische Aktien international mit Abstand die teuersten sind. Wenn überhaupt einen Börsenkrach, so hatte man ihn aus Japan erwartet, wo das Verhältnis von Aktienpreis und Jahresgewinn der betreffenden Firma vier bis fünfmal höher liegt als in USA. Und doch wurde das Beben in Wallstreet ausgelöst und die allgemein als „total überreizt“ angesehene Börse Tokio meisterte es als einzige mit Bravour. Diese Zen-Kunst der Kurspflege ist vor allem der Tatsache geschuldet, daß 85 Prozent des Aktienkapitals der großen Konzerne in „freundlichen Händen“, daß heißt großen Finanz- und Versicherungshäusern, sind - und die verkaufen nicht einfach, wenn die Kurse einmal einbrechen. Am Tag nach dem Kurssturz rief der Finanzminister die „freundlichen Hände“ zusammen und gab nicht nur Order, den Kurssturz durch Nicht-Verkäufe aufzuhalten, er erwartete zudem, daß zum Wohle der Großfamilie Japan AG dem Sturz mit kräftigen Käufen entgegengewirkt würde. Und schon am nächsten Morgen lagen mehr Kaufaufträge als Verkaufsorder vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen