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Polens runder Tisch hat viele Ecken

Vor den Verhandlungen in Warschau zwischen Regierung und Opposition: Überall im Lande werden bereits politische Klubs legalisiert, die allerdings nicht an den „runden Tisch“ geladen werden / Ein Porträt der beiden wichtigsten Oppositionsklubs: „Dziekania“ und die Christdemokraten  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Kann natürlich sein, daß sie die ganze Veranstaltung hochgehen lassen und uns alle festnehmen“, hatte Waldemar gemeint, ein rühriger Warschauer Oppositioneller und Übersetzer. Wir waren auf dem Weg zu einer Diskussion, die von einer relativ neuen, katholischen Oppositionsgruppe angekündigt worden war. Stattfinden sollte sie in einem Raum der katholischen Kirche in der Nähe des Warschauer Zentralbahnhofs. Der Name der neuen Gruppe: „Dziekania“. Das war vor anderthalb Jahren. Heute muß keiner der etwa 200 Dziekania-Mitglieder, die sich in unregelmäßigen Abständen in dem kleinen Saal trafen, mehr fürchten, verhaftet zu werden. Seit August dieses Jahres ist „Dziekania“ legalisiert, registriert von einem Warschauer Gericht, und damit offiziell anerkannt.

Seinen Namen hat der Klub von der Dziekania-Straße in der Warschauer Altstadt, wo sich die Mitglieder zuerst und im engsten Kreis trafen. Dort ganz in der Nähe wohnt auch der Vorsitzende des neuen Klubs, Professor Stanislaw Stomma. Er ist schon weit über 70, aber immer noch einer der aktivsten Köpfe unter Polens Katholiken. In den 60er und 70er Jahren war Stomma Mitglied des kleinen katholischen Abgeordneten -Zirkels „Znak“ und Abgeordneter im polnischen Parlament Sejm. 1976 machte er von sich reden, als er als einziger Abgeordneter des Sejm nicht für die von der Partei vorgeschlagenen Verfassungsänderungen stimmte, durch die die „führende Rolle der Partei“ in der Verfassung festgeschrieben werden sollte.

Nationaldemokratie

neu gegründet

Stomma hat nie Zweifel daran gelassen, daß er zwar zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit ist, jedoch nicht um den Preis der Aufgabe des eigenen Standpunkts. Und er ist auch immer da, wo es gilt, neue Spielräume auszunutzen.

Der Professor bekennt sich offen zum Gedankengut der Vorkriegs-Nationaldemokratie und deren Vorsitzendem Roman Dmowski. Energisch grenzen sich die Dziekania-Leute allerdings von Dmowskis Antisemitismus, seiner antideutschen Einstellung und seinem extremen Nationalismus ab. Was denn dann noch übrigbleibe von der Nationaldemokratie? „Nun ja“, meint Stomma, „die pro-russische Richtung in der Außenpolitik und der Grundsatz, daß das Volk für uns die wichtigste politische Einheit ist. Michnik und Kuron argumentieren ja eher mit übernationalen, internationalistischen Begriffen. Damit kann ich wenig anfangen. Wir sind der Ansicht, daß der Ausgangspunkt das nationale Interesse Polens ist.“ Im Vordergrund stünden nicht allgemeine Grundsätze wie Solidarität mit anderen Völkern oder deren Selbstbestimmung. „Uns geht's zuerst mal um unsere Unabhängigkeit, die der Weißrussen oder Ukrainer kümmert uns nicht direkt.“ Der Gedankengang führt zu der erstaunlichen Schlußfolgerung, daß Stomma zwar Gegner des Kommunismus ist, wie er selbst sagt, andererseits aber seine Hoffnungen mit Gorbatschow und den Veränderungen in der Sowjetunion eng verknüpft. „Im Grunde ist Gorbatschow genauso ein Kommunist wie ich“, grinst Stomma. „Was der tut, ist doch genaugenommen eine Abkehr vom Kommunismus. Nur sagt das keiner laut.“

Die Zeiten, wo man die ideologischen Differenzen in der polnischen Opposition beiseite gelassen hat, um den Burgfrieden gegen „die da oben“ nicht zu stören, scheinen nun endgültig vorbei.

Stomma selbst meint, daß das Totalitäre immer weiter im Verschwinden begriffen sei. Und je mehr Pluralismus möglich wird, desto klarer treten auch die Unterschiede in der Opposition zutage.

Katholische Keimzelle

Stomma läßt auch keinen Zweifel daran, daß er mit einer anderen Initiative wenig gemein hat - mit der seines ehemaligen Mit-Abgeordneten Janusz Zablocki. Zablocki, Leiter des katholischen „Forschungszentrums Odiss“ hat die Gründung eines neuen Klubs bekanntgegeben, der Keimzelle werden soll zu einer christdemokratischen Partei. Zablocki geriet in den Ruf, allzu kooperationsbereit gegenüber der Regierung zu sein. Zablocki weist den Vorwurf natürlich zurück: „Während der Stalin-Zeit galt unter den Katholiken die Devise, sich aus der Politik herauszuhalten, um Kollaboration zu vermeiden. In dem Maße aber, wie anschließend der Spielraum größer wurde, müssen sich auch Katholiken am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen.“

Jahrelang allerdings war der Einfluß von Zablockis Gruppe sowohl im Sejm als auch unter Polens Katholiken recht gering. Heute ist Odiss durch den parteilosen Abgeordneten Professor Ryszard Bender vertreten, der sich als Vorsitzender des Lubliner Klubs der katholischen Intelligenz und als Professor an der katholischen Universität Lublin allgemeiner Anerkennung erfreut. Bender war es, der zum ersten Mal das Stichwort „Katyn“ (der Ortschaft, in der Tausende polnischer Offiziere unter Stalin ermordet worden sind - d.Red.) im polnischen Parlament einbrachte.

„90 Prozent aller Polen sind Katholiken, und die haben keinerlei politische Vertretung“, meint er. Jetzt, wo alle von Pluralismus reden, sei es höchste Zeit, das zu ändern. Daß die Kirche die Katholiken ja schon repräsentiere, läßt Zablocki nicht gelten: „Die Kirche macht keine Politik.“

Von den Nationalen von Dziekania grenzt er sich vorsichtig ab. Trotzdem gibt es zwischen beiden Gruppen viel Gemeinsames: „Wir stehen auch auf der Grundlage der katholischen Soziallehre und der Marktwirtschaft.“ In Zablockis Wochenzeitung 'Lad‘ etwa kommt auch regelmäßig Aleksander Hall zu Wort und ebenso Mieroslaw Dzielski, wirtschaftsliberaler Vizepräses von Dziekania. „Wir sind nicht nationaldemokratisch“, wehrt sich Zablocki, „bei uns schreiben alle möglichen Leute, nicht nur diese beiden.“ Noch eine Gemeinsamkeit haben Dziekania und Zablockis Christdemokraten: Sie sind sehr gemäßigt. Das dürfte auch der Grund gewesen sein für die Behörden, die zahlreichen katholischen Vereinigungen in der letzten Zeit zu registrieren. In Poznan wurde eine Studentenvereinigung „Junges Polen“ zugelassen, in Danzig gibt es bereits zwei ähnliche Diskussionsklubs, jetzt kommt auch noch Dziekania in Warschau hinzu.

Daß Zablocki Schwierigkeiten mit den Behörden bekommt, ist nicht zu erwarten, da sein Klub zunächst im Rahmen von Odiss tätig sein wird. Manche vermuten da, die Regierung wolle durch die versöhnlichen Gesten gegenüber den gemäßigten Katholiken die Opposition spalten. Stomma: „Natürlich ist da Taktik im Spiel. Aber das ist nicht unser Problem. Die Zeit der konzessionierten Parteien ist einfach vorbei. Jetzt ist die Zeit für unabhängige Initiativen gekommen. Und diese Zeit muß man einfach ausnutzen.“

Zwar sind weder Zablocki noch Stomma bisher für den „runden Tisch“ vorgeschlagen worden. Doch in ihrem Fall hat der runde Tisch schon Fakten geschaffen, bevor er überhaupt begonnen hat.

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