: Swinging Metropolis: 2.NANTE & NUTTEN
„‘Schriebe uns nur endlich einmal Jemand eine Berliner Revue! Wie oft habe ich in den letzten Jahren diesen Seufzer gehört, von Theaterdirectoren, von Theatergängern, sogar von Theaterkennern! Sie weissagten einen sicheren, einen ungeheuren Erfolg und kein (...) Einwand vermochte ihr enthusiastisches Sehen zu hemmen.“ So Maximilian Harden anno 1891. Nur wissen wir, daß den Leutchen geholfen ward, doch sind die rasanten Revuen, berühmt-berüchtigt in den röhrenden Zwanzigern, keineswegs aus dem Azurblau eines PostkartenKitschHimmels gepurzelt; sowas wie Preußisches Vaudeville gibt's bereits zur Kaiserzeit. Dazu gehört wohl im weitesten Sinne der Eckensteher Nante, wie wir ihn heute (nicht mehr) kennen. Der GarderobenInspektor Friedrick Beckmann eignet sich diese Nebenfigur eines zeitgenössischen Theaterstückes an und bastelt sie um zum „Hamlet der Eckdestillen“ mit seiner Schnapsflasche „Karline“ und der Devise „Lebenlauf, ick erwarte dir!“ Allüberall singt man seine Couplets, pfeift die pfiffigen Texte quer durch die Klassen & Gassen. Der Erfinder bringt es bis zum Ersten Komiker am Burgtheater in Wien, wo eine Straße nach ihm benannt ist.
Nebst allen Volksstücken & Possen sind in den Feerien (KEIN kindlicher Freudenschrei zu Beginn schulfreier Zeiten!) die Vorfahren musikalischer RevueSpektakel zu sehen. „Feenpalast“ heißt man folgerichtig Krolls Etablissement am heutigen Platz der Republik. Für manche Fee & manchen Schrat ist hier das notenbetonte Treiben Nebensache. Es wird eifrig gestakst auf dem Strich, der zurückführt zu den Opernbällen der beiden Friedrich Wilhelms II. & III. In der Mitte des 18.Jahrhunderts nämlich mischt sich im Schutze der Masken die versammelte Belegschaft Berliner Bordelle unter s.M. kerzlich illuminierte Gesellschaft - aus beruflichen Gründen - organisiert später gar Gegenveranstaltungen, den Herrn von Welt dorthin abzuschleppen. Wenig nützt eine amtliche Verfügung: „Öffentliche Weibsbilder werden mit 1 Jahr Zuchthaus in Spandau bestraft, wenn sie sich auf der Redoute sehen lassen.“
Wie sie sich gleichen, die JahrhundertBilder. 1846 ist in einem Sittenreport über das Krollsche Etablissement zu lesen: „Kaum noch die ersten drei Bälle, welche in diesen prächtigen Räumen gegeben wurden, waren von einem durchaus 'anständigen‘ Publikum besucht, bei dem vierten und fünften drängte sich das Heer der Prostitution kräftig hervor, schon bei dem sechsten war die bekannte Lakaientochter die Königin des Tages, bei dem siebenten und achten fanden sich die Taschendiebe und Spieler mit ihrem dunklen Anhange ein, schon bei dem neunten und zehnten konnte das Auge des Kenners (Oho! NT) die Geheimrätin neben der herausgeputzten Dirne sitzen sehen und bei dem elften und zwölften überwog schon der prostituirte Theil der Damengesellschaft den nicht prostituirten.“
Überdies kommen die Chambres separees in Mode und werden es lange bleiben. „Unmoralische, orgiengleiche Vorkommnisse“ konstatiert die Sittenpolizei und macht dem eleganten TanzEtablissement Orpheum in der Alten Jakobstraße Ärger.
Um nun vom tanzpalästlichen Ringelpietz mit Angrapschen den endlichen Dreh zum Variete zu bekommen, wird einzugehen sein auf den Wintergarten, das Metropol, auf Victoria & Central-Theater.
Norbert Tefelski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen