: Der Weizen und die Wahl in Oklahoma
Trotz Dürre, Bankenpleite und Reagans Hochzinspolitik wählt der Weizenstaat republikanisch / Dukakis - „der von der Ostküste“ - bleibt den „Oakies“ fremd ■ Aus Oklahoma Reed Stillwater
An der Brücke über den Cimaron River steht eine alte, inzwischen verrostete Tafel: „Historical Landmark“. Hier versammelten sich 1892 die sogenannten „Sooner“, Siedler, denen westlich des Flusses Neuland auf dem Territorium der Arapaho und Cheyene versprochen worden war. Schon seit Tagen kampierten sie am Ufer des Cimaron. Die US-Kavallerie patrouillierte am jenseitigen Ufer und hatte die Prärie angezündet, damit sich niemand im hohen Gras verborgen einen Startvorteil verschaffen konnte. Tagelang soll der Steppenbrand mit orkanartigem Getöse das Land auf seine Inbesitznahme und Urbarmachung vorbereitet haben. Am Morgen des 17.April startete eine bunte Kavalkade von Pferdegespannen, vorwiegend Siedler aus Kansas und Nebraska, und eine große Gruppe befreiter Sklaven, die allerdings zu Fuß den Wettlauf antreten mußten, über den Fluß, um nach dem Prinzip, wer zuerst kommt, beansprucht zuerst, Land in Besitz zu nehmen. Mein Großvater erwarb auf diese Weise zwei Farmen. Oklahoma heißt bis heute „Sooner State“, der Staat, der zuerst Gekommenen.
Highway 51 führt von Oklahoma City straks nach Westen. Im halb ausgetrockneten Flußbett des Cimaron stehen Reiher, die Grashalme flirren im Licht und die weiß gestrichenen Farmhäuser heben sich gegen die rote Erde ab.
Ich kann im alten Haus meiner Großeltern wohnen. Richard Hayworth, der jetzt das Land meiner Großeltern bearbeitet, kommt herüber. Was die Farmer hier von der bevorstehenden Wahl halten? Ich soll doch am folgenden Morgen mit ihm zum country store kommen, wo die „Boys“ vor der Arbeit immer ihren Kaffee trinken. Er sagt das wie eine Herausforderung. Richard hat ein breites, vom Wetter und Lachen gleichzeitig zerfurchtes, immer verschmitztes Gesicht, Baseball-Mütze, grob gewürfeltes Hemd, man weiß nie genau, ob er ernst meint, was er sagt: „Sehr männlich, sehr charmant. Glaub ihnen aber nicht, was sie erzählen, sie lügen in einem fort“, sagt er. Das macht nichts, solange eine gute Geschichte daraus wird.
Politik im „Boys Store“
„The Boys Store“ ist eine Art Kramladen, wo man Süßigkeiten, Arbeitshandschuhe, „soft drinks“, Arzneimittel, Batterien, Zeitungen usw. bekommt. Die Frauen kaufen hier nicht ein. Am Tresen steht ein Kaffeeautomat, an dem man sich seinen Becher für 25 cents so oft füllen kann, wie man will. An einem einzigen langen Tisch sitzen die Farmer, lesen Zeitung, reden über das Wetter, die Getreidepreise und Sport, Ersatz für die Kneipe, die es hier nicht gibt. Ein Dutzend Leute sitzen da: alle in Cowboyhut oder baseball -cap, Flanellhemd oder gestreifter Overall. Diese Leute soll ich nach ihren politischen Ansichten fragen? Richard ist, Gott sei Dank, schon da und stellt mich vor. Einer der Farmer kaut auf meinem Namen herum: Sag mal, bist du verwandt mit denen in Watonga? Ja, wahrscheinlich. Hol dir 'n Kaffee, setz dich, die Farmer strecken mir ihre riesigen Hände entgegen. Damit ist das Interesse für mich zunächst erloschen. Politik ist nicht, was die Leute hier bewegt. Gene hat ein Stinktier unter seinem Haus. Gestern abend, als er aus dem Fenster sah, hat er gesehen, wie das Stinktier und ein Opossum herausgekrochen kamen und jeder seiner Wege ging. Bisher hat ihn der Skunk ja nicht gestört, jetzt aber will er ihn erschießen, er hat Angst, daß Skunk und Opossum sich in die Wolle kriegen und dann läßt der Skunk einen ab, unter seinem Haus, und dann kann Gene ausziehen und sein Haus anzünden.
Ich muß sehen, daß ich heute meinen Weizen in den Boden bringe, das sind noch 16 Stunden Arbeit, davon schaffe ich vielleicht heute zehn und am Samstag drei. Am Sonntag soll es nämlich regnen. Ja, aber es ist ziemlich windig zum säen, und der Wind soll stärker werden. Wer fährt denn am Wochenende nach Lincoln? Was, zu dem Football-Spiel Oklahoma gegen Nebraska, da willst du hin? Oklahoma hat doch keine Chance.
Es wird dieses Jahr weniger Vögel geben. Wenn die Jagd eröffnet wird. Warum? Wegen der Dürre. Als das Vieh nichts mehr zu fressen hatte, hat man die Naturschutzparks zur Jagd freigegeben und dabei die Bodenbrüter gestört. Wie war es denn mit der Dürre dieses Jahr hier, will ich wissen, einen Gesprächsanknüpfungspunkt suchend. Hier war's nicht so schlimm, uns ging's noch ganz gut. Ja, sagt Richard, ich habe mich sogar verrechnet, ich habe all diesen Voraussagen geglaubt, wollte auf Nummer Sicher gehen und habe dieses Jahr auf dry farming gemacht, und dann hat es hier gar nicht schlecht geregnet und der Getreidepreis ist gestiegen. Ich hätte gut verdienen können.
„Der Getreidepreis ist gestern um zwei cents gesunken“, sagt einer der Farmer, der die Zeitung zusammenfaltet. Ich habe gestern eine Menge Geld verloren. „Was kostet denn Weizen jetzt?“ frage ich, meine Chance witternd. Heute liegt der Preis bei 3,78 Dollar pro Buschel, letztes Jahr lag er bei 2,50. Ich schieße mir lieber ein Reh. Da ist noch mehr Fleisch dran. Braucht man nicht eine Sondererlaubnis, um Kraniche zu schießen? Heute braucht man für alles eine Sondererlaubnis. Ein Jagdschein allein berechtigt zu gar nichts, und alles ist reglementiert: was ich schießen darf und wieviel davon. Die Regierung regelt heute alles. Die Getreidepreise werden steigen, nächstes Jahr könnten sie bis auf fünf Dollar klettern, denn die Russen, die kriegen dieses Jahr ihren Weizen gar nicht mehr in den Boden.
Wozu wählen?
Wie man denn hier wählen wird, frage ich. Wählen? Das ist so: Ich habe Freunde, die sind für Dukakis, Freunde, die sind für Bush, und ich? Ich bin für meine Freunde. Gelächter. Als ich als kleiner Junge eines Tages nach Hause kam, es war Wahljahr, da habe ich meine Mutter gefragt, was wir wären, Demokraten oder Republikaner. Halt's Maul, hat sie gesagt, wir sind Amerikaner. Lauteres Gelächter. Ich glaube, wir werden hier für Bush wählen, erklärt der, der meinen Großvater kannte, fast entschuldigend. Und warum? Dukakis ist sicher ein guter Mann, der hat viel für seinen Staat getan. Aber wir sind hier in Oklahoma, und Dukakis versteht uns hier unten nicht. Und Bush? Achselzucken, der ist immerhin vor einiger Zeit nach Texas gezogen.
Dieser Dukakis, weißt du, was der machen wird? Der wird den Wohlfahrtsstaat ausbauen, ich aber will nicht Leute unterstützen, die nicht selber arbeiten. Hier in der Stadt lebt eine Frau, die hat zwölf Kinder, die leben schon in der dritten Generation von der Wohlfahrt, von denen hat noch keiner gearbeitet. Es muß immer wieder die gleiche Frau sein, deren Geschichte in abgewandelter Form erzählt wird, wenn es um den Wohlfahrtsstaat geht, zu dem Amerika angeblich verkommen ist. Ja, ich glaube die „Oklahoma Cowboys“ haben dieses Jahr eine Chance. Das sagst du jedes Jahr.
Von Wohlfahrt habe ich nichts, sagt Richard. Und wieso ihn Wohlfahrt mehr stört als die hohen Verteidigungsausgaben, von denen hat er doch auch nichts. Doch: Sicherheit. Die Russen, die neiden uns unseren Wohlstand und unsere Freiheit, die würden uns überrennen, wenn sie könnten. Wahrscheinlich werden eher die „Nebraska Corn Huskers“ die „Oklahoma Cowboys“ überrennen.
Später, als ich mit Richard zum Bankier gehe, höre ich wie James Durham ihn fragt, ob er schon mit der Winteraussaat fertig ist oder warum er sich sonst hier am helligten Tag herumtreibt. Die Frage ist scherzhaft gestellt und klingt doch wie die Frage des Lehrers nach den Schularbeiten.
Der Weizen kommt wieder
Der Getreidemarkt gibt nichts her, meint James Durham. Gorbatschow hat sich nur auf ein kurzfristiges Getreide -Agreement eingelassen und außerdem wird er seine Landwirtschaft modernisieren, da geht uns ein Markt flöten, wir kriegen Konkurrenz auf dem internationalen Markt. Richard lacht sein breites Lachen. Ach James, der liest zuviel Zeitung. Ich verfahre nach meiner Nase, ich habe vieles ausprobiert, einiges geht, anderes nicht. Ich hab's im Gefühl, Weizen kommt wieder. Aber ich bin auch im Viehgeschäft. Wir wollen vor allem eins nicht, sagt einer der Farmer am Tisch, wir wollen nicht zu den Zeiten Carters zurück, zu den Zeiten hoher Zinsen und hoher Steuern. Carter hat uns mit dem Getreideembargo gegen Rußland den internationalen Markt ruiniert und die Getreideüberschüsse beschert. Jetzt sind durch die Dürre die Überschüsse abgebaut und die Preise wieder gestiegen. James Durham bestätigt, daß das Embargo eine Katastrophe war, aber die hohen Zinsen haben den Farmern ebensowenig geschadet wie die hohen Preise, im Gegenteil. Als die Inflation begann, kaufte alle Welt Grund und Boden, um der Inflation zu entgehen. Auch mit den hohen Zinsen wurden noch Profite gemacht, doch als Inflation, Zinsen und Preise runtergingen, verlor der Boden an Wert und die Getreidepreise verfielen. Dann fingen die Farmer und die Banken an, Pleite zu machen. Hier überall in der Gegend haben Banken geschlossen. Und die gepriesene Reagansche Steuerreform hat den Farmern nur geschadet, sie hat zwar die Steuern gesenkt, aber auch die Möglichkeit, alle möglichen Ausgaben von der Steuer abzusetzen, abgeschafft. Darunter leiden die Farmer. Und warum sie dann alle für Bush sind? Man traut Dukakis nicht, er kommt aus dem Norden, von der Ostküste, die Leute dort sind denen hier sehr fremd. Auch beginnt sich der Markt gerade zu erholen, da wollen die Leute hier nichts riskieren.
Reed Stillwater tourt für die taz durch den US-Wahlkampf. Vier Wochen lang von West nach Ost. Dies ist seine zweite Reportage. Übrigens haben die „Nebraska Corn Huskers“ die „Oklahoma Cowboys“ 40 zu 20 niedergerannt.
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