Kohl industrialisiert UdSSR

■ Bei Moskau-Besuch hat der Bundeskanzler zahlreiche Wirtschaftsabkommen abgeschlossen / Drei-Milliarden-Kredit unterzeichnet

Berlin/Moskau (dpa/ap/taz) - Im Anschluß an ein zweites Treffen Kohl-Gorbatschow traten gestern die fünf mitgereisten Minister Töpfer, Kiechle, Riesenhuber, Scholz und Genscher in Moskau in Aktion. Zukünftig soll beim „Umwelt- und Strahlenschutz“, gemeint ist die Atomenergie, bei der „Nutzung des Weltraums“, bei der Landwirtschaft und der Konsumgüterindustrie sowie auf kulturellem Gebiet in geregelter Form zusammengearbeitet werden. Selbst eine „Vereinbarung zur Verhinderung von Zwischenfällen von Kriegsschiffen auf hoher See“ ist auf den Weg gekommen. Das Raumfahrtabkommen enthält sogar ein populäres Bonbon: der Mitflug eines deutschen Raumfahrers auf der sowjetischen Raumstation MIR (Frieden) ist angepeilt. Und vielleicht werden sowjetische und deutsche Astronauten die ersten Menschen sein, die den Planeten Mars betreten.

Das jedoch ist noch reine Zukunftsmusik. Handfester sind die Abmachungen im industriellen Bereich. Und da hat die deutsche Atomindustrie den Vogel abgeschossen. Siemens darf einen Hochleistungsreaktor in der Sowjetunion bauen, wenn auch bei dem dafür notwendigem Computersystem die COCOM -Liste noch Sorgen bereitet. Auch Firmen, die der Sowjetunion bei dem Ausbau ihrer Konsumgüterindustrie helfen können, dürfen auf Aufträge hoffen. Denn mit dem seit gestern offiziellen Drei-Milliarden-Kredit ist für die Wirtschaftsplaner der UdSSR der Spielraum für Käufe aus dem Westen größer geworden.

Die COCOM-Liste dient dazu, den Export von militärisch verwertbarer Hochtechnologie an die Sowjetunion und ihre Verbündeten zu beschränken. Doch seitdem im Osten für die deutsche und westeuropäische Industrie die Fortsetzung auf Seite 2

Aussichten auf gute Geschäfte rosiger werden, ist die Bonner Regierung gegenüber ihren Verbündeten aktiv geworden. Als Ministerpräsident Ryshkow in seinem dem Vertragsabschluß vorausgehendem Gespräch mit Kohl auf Lockerungen der Cocom -Liste bestand, wich Kohl zwar auf den Satz „Das Schlüsselwort lautet Vertrauen“ aus, doch ist seit Monaten bekannt, daß die westeuropäischen Länder gegenüber den USA die Lockerungen durchsetzen wollen. Und auch in bezug auf die Entwicklung hin zum europäischen Binnenmarkt, versicherte Kohl seinem Gesprächspartner, wolle die Bundesrepublik „die Fenster und Türen“ gegenüber dem Osten nicht zuschlagen. Offensichtlich hat sich auch der Wirbel um den Berlin-Status gelegt. Hatte Kohl bei seiner Tischrede Gorbatschow noch mit dem Berlinstatus genervt, hieß die versöhnliche Formel gestern: man sei sicher, für die Einbeziehung Berlins in die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit eine Lösung zu finden.

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