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Revolutionär, Hochstapler, Gegenspion

■ Das widersprüchliche Leben des Fritz Drach - ein Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft

Diethart Kerbs

Januar 1919. Pulverdampf liegt in der nebligen Luft. Im Stadtzentrum von Berlin demonstrieren bewaffnete Arbeiter gegen die SPD-Regierung. Am Sonntag abend besetzen sie das Zeitungsviertel. Auch der dreißigjährige Schriftsteller Franz Jung ist dabei. Er hatte schon am ersten Tage der Novemberrevolution mit ein paar Freunden das „Wolffsche Telegraphen-Büro“ (die 'dpa'-Zentrale von damals) besetzt. Zwei Monate später sind nicht nur das „WTB“, sondern auch das „Vorwärts-Haus“ (die Medien-Hochburg der Sozialdemokratie) und die Gebäude der beiden Verlagskonzerne Ullstein und Mosse in der Hand der Linksradikalen. Später erinnert sich Franz Jung an das, was die siegreichen Gegner dann den „Spartakus-Aufstand“ genannt haben werden: „Ich habe im Mosse-Haus an den Maschinengewehren Leute aus allen Berufsschichten angetroffen, Arbeiter und Arbeitslose, Angestellte und Studenten - die meisten sind überhaupt nicht organisiert gewesen. Der Kommandant Fritz Drach, den ich noch für Wochen später vor der Polizei habe verstecken können, war als Vize-Feldwebel aus dem Heer entlassen worden...“

Hans Lachmann-Mosse, Mitinhaber des Verlages, berichtet am 15.Januar 1919, als das 'Berliner Tageblatt‘ wieder erscheint, über seinen Besuch in der „Spartacus-Festung“: „Der Eindruck, den ich von der Besatzung gehabt habe, war recht verschieden. Während Herr Drach für Ideen kämpft, war eine Reihe von Leuten dort, die man am richtigsten mit dem Wort Bombenschmeißer bezeichnet.“

Gut fünfzig Jahre später: In einem Züricher Cafe unterhalten sich der Journalist Kurt Michael Caro und der Kriminalschriftsteller Frank Arnau, die sich bereits aus dem Berlin der Weimarer Republik kannten, über die gemeinsamen Emigrationsjahre in Paris. Es fällt der Name Fritz Drach. „Ja, Drach“, sagt Caro nachdenklich, „ein merkwürdiger Mann... Damals in Paris hielt ich es nicht für ratsam, auch nur ein Wort zu viel über Drach zu sagen - oder wen immer. Es war besser zu schweigen... Wir ahnten, daß er zum 'Deuxieme Bureau‘ Beziehungen hatte, daß er auf verschiedenen Ebenen agierte, daß er dies wie auch jenes unternahm - aber er war im Grunde immer ein sympathischer, hilfbereiter Mensch. Der ihm beschiedene Abschluß war grauenvoll - und dennoch war er seinem dem Abenteuer so sehr zugewandten Leben irgendwie angemessen...“

Weder Arnau noch Caro, obschon beide erfahrene Rechercheure, wußten Genaueres über den „merkwürdigen Mann“. Arnau erinnerte sich an ein illegales Waffengeschäft, zu dem Drach ihn im Herbst 1936 angestiftet hatte. Die Botschaft der spanischen Republik hatte in Belgien für 24 Millionen Franc Waffen geordert. Aber Frankreich hatte sich im spanischen Bürgerkrieg für neutral erklärt und jede Waffenlieferung nach Spanien untersagt. Drach und Arnau halfen den Spaniern, das Geschäft in Paris abzuwickeln. Ein pensionierter Oberst der französischen Armee, Aristokrat aus guter Familie, deckte den Handel und zog anschließend die beiden Emigranten über den Tisch, indem er ihre Provision für sich einstrich und ihnen mit Untersuchungshaft und Ausweisung drohte, falls sie plaudern würden. Danach hatten die beiden frustrierten Geschäftspartner einander aus den Augen verloren. Caro wußte nur zu berichten, was als Gerücht schon 1944/45 in Paris die Runde machte: Fritz Drach sei während des Krieges von der Gestapo in Südfrankreich erschossen worden.

Das Gespräch zwischen Arnau und Caro liegt mittlerweile zwanzig Jahre zurück. Die beiden zeigten sich fasziniert von ihrem Gesprächsgegenstand: eine Person, wie als Romanfigur geschaffen. Inzwischen sind sie beide gestorben, ohne etwas Ausführlicheres über Fritz Drach geschrieben zu haben. Aber der Impuls aus den Erinnerungstagebüchern von Franz Jung und Frank Arnau wirkt nach. Jemand, der gerade erst geboren wurde, als die spanische Republik um ihr Überleben kämpfte, nimmt den liegengelassenen Faden auf und beginnt zu recherchieren. Im Herbst 1987 steht er vor einem schlichten Grabstein auf dem „Cimetiere du Pont de Justice“ der südfranzösischen Stadt Nimes: „Fritz Drach, 1888-1943, Mort pour la Liberte“ steht darauf. Tod in der Gestapozelle

Hier also hatte der „merkwürdige Mann“ sein Ende gefunden. Ein Leben, daß am 26.Oktober 1888 - also vor genau 100 Jahren - in Frankfurt am Main begonnen hatte, war am 16.Juli 1943 in einer Arrestzelle der Gestapo in Nimes zu Ende gegangen. Die näheren Umstände des Todes sind bis heute ungeklärt, unter den deutschen Emigranten in Frankreich kursierten viele Gerüchte: „In Frankreich ist später in der Emigration eine Menge über Fritz Drach zusammengelogen worden von Leuten, die keinen anderen Einsatz aufweisen können, als sich regelmäßig für die Wochenunterstützung einer der Pariser Hilfsorganisationen eingefunden zu haben“, schreibt Franz Jung in seinem Erinnerungsbuch Der Weg nach unten. Der französische Schriftsteller Marc Bernard, der mit Drach in dessen letzten Lebensmonaten befreundet war, schreibt, Drach habe in der Zelle Selbstmord verübt. Wahrscheinlich fürchtete er, die Gestapo könnte unter der Folter Namen und Verbindungen aus ihm herauspressen, die er nicht preisgeben wollte. Was Drach nicht wußte, war, daß sein eigener Chef, der Leiter der französischen Spionageabwehr, eine mehr als zwielichtige Gestalt mit dem Decknamen Lemoine (eigentlich Rudolf Stallmann, Juwelierssohn aus Berlin, geboren 1871) ihn an die Deutschen verraten hatte. Um seine eigene Haut zu retten, war Lemoine

-seiner Verhaftung zuvorkommend - zu den Deutschen übergelaufen und hatte behauptet, Drach (der in Wahrheit sein Assistent, jedenfalls sein Untergebener war) sei sein Chef gewesen. Daß Drach schon tot war, hatten die Deutschen Lemoine verschwiegen, ihn selbst brachten sie nach Berlin, wo er in den letzten Kriegstagen untertauchte und im Oktober 1945 von der französischen Armee festgenommen wurde. Er starb 1946 in Baden-Baden eines natürlichen Todes. Kurz zuvor hatte der französische Nachrichtenoffizier Paul Paillole ihn verhört. In seinem 1985 erschienen Erinnerungsbuch Notre espion chez Hitler berichtet Paillole darüber.

Anders als Lemoine, über den selbst Eingeweihte so wenig wußten, daß man ihn lange Zeit für ein Phantom gehalten hat, war Fritz Drach mit vielen Schriftstellern und Journalisten befreundet gewesen. Er kommt infolgedessen nicht nur in den Memoiren von Franz Jung und Frank Arnau vor, sondern auch in denen von Cläre Jung, Maximilian Scheer und Georges Charensol, außerdem in einem Romanfragment von Arkadij Maslow, dem Lebensgefährten von Ruth Fischer. Auch in Varian Frys Auslieferung auf Verlangen hat Drach seinen Auftritt: als derjenige, der die gefälschten Pässe besorgt hatte, mit deren Hilfe unter anderem Ruth Fischer und Arkadij Maslow das von den Deutschen besetzte Frankreich verlassen konnten. In dem Erinnerungsbuch von Fry erscheint Drach als eine Figur der Halbwelt: Fry schreibt, sein Assistent Hirschmann habe beim Eintreten Drachs ein Gesicht gemacht, als ob man ihm die Kapitulation Englands gemeldet habe. Hirschmann, heute darauf angesprochen, schreibt dagegen:

„Ich traf Drach nur damals in Marseille und besitze keinerlei Informationen über sein früheres oder späteres Leben. Mein Verhältnis zu ihm war ein strikt geschäftliches. Ich erinnere mich, daß ich von seiner Geschicklichkeit sehr beeindruckt war. Er war offensichtlich ein wirklicher Experte in diesem Geschäft des Fälschens und Veränders von Pässen. In den Verhandlungen mit mir war er freundlich, effektiv und zuverlässig. Ich habe keinerlei Erinnerungen daran, entsetzt darüber gewesen zu sein, daß er in Marseille auftauchte, im Gegenteil: Der Mann war ein wirklicher 'Fund‘. Ich bin ziemlich sicher, ihn vorher nie getroffen zu haben.“

Drach ließ sich seine Dienste gut bezahlen: Möglicherweise mußte er seinen Helfern bei den französischen Behörden nicht unbeträchtliche Bestechungssummen zahlen. Er scheint jedoch auch selbst ständig in Geldnot gewesen zu sein und mehr Mittel benötigt zu haben als ein Mann seines Zuschnitts allein verprassen konnte; Zeitgenossen machten dafür seine große Neigung zum schönen Geschlecht verantwortlich.

Fry beschrieb Drach als einen „dicken, untersetzten Mann mit kleinen blitzenden Augen“. Andere sprechen von ihm als „typischem Juden“. George Charensol sagt, Drach sei „der Inbegriff des großen blauen Ariers“ gewesen, - Verwirrungen der Erinnerung, die noch nachträglich zeigen, wie wenig dieser Mann sich festlegen ließ. Ein deutscher

Journalist in Paris

So hilfreich Drach 1940-42 in Marseille war, als es darum ging, gefährdeten deutschen Emigranten die Ausreise aus Frankreich zu ermöglichen, so nützlich war er für viele Emigranten, vor allem für die aus Berlin kommenden linken Journalisten, 1933 in Paris gewesen. Drach war schon 1927 nach Paris gegangen, um dort die erste Ausstellung des Münchener Malers Dietz Edzard zu organisieren. Er hatte das Leben in Paris angenehmer gefunden als in Deutschland, hatte eine Französin geheiratet und war innerhalb von nicht einmal fünf Jahren zum Redakteur bei der damals modernsten und liberalsten Illustrierten aufgestiegen, die unter dem Titel 'VU‘ von Lucien Vogel herausgegeben wurde. Für diesen gab Drach ab 1932 auch eine Reihe von reich illustrierten Heften unter dem Titel Temoignages de notre temps heraus. Der Journalist Georg Wronkow, der als Linker und Jude 1933 aus Deutschland fliehen mußte und über Kopenhagen, Brüssel und Paris schließlich in New York seine zweite Heimat fand, erinnert sich daran, 1932 für Fritz Drach im Reichsarchiv in Potsdam Fotos aus dem Ersten Weltkrieg zusammengesucht zu haben, die dieser dann unter dem Titel „Images secretes de la guerre“ - geheime Bilder aus deutschen Archiven - 1933 in Paris veröffentlichte.

Eine gewisse Neigung zum gewaltsamen Umgang mit Zeitungsverlagen scheint Drach sich auch in Paris bewahrt zu haben: 1936 soll er einer der Drahtzieher des „Putsches“ beim 'Pariser Tageblatt‘ gewesen sein und Anführer der vermummten Gestalten, die eines Nachts die Druckerei des Blattes überfielen. Wenige Wochen später saß er jedenfalls auf einem Redakteurssessel des Nachfolgeblattes 'Pariser Tageszeitung‘...

Wenn die Akten über diesen Fall einmal der Forschung zugänglich sein werden, wird man vielleicht auch Genaueres über die Rolle Fritz Drachs in dieser bis heute undurchsichtigen Affäre erfahren. Verwehte Spuren

Drach soll in Deutschland einen (möglicherweise unehelichen) Sohn hinterlassen haben. Das Tagebuch des Grafen Keßler spricht in den Eintragungen vom Januar 1919 von einem „Frl.Bergmann“, die die Verlobte des im Mossehaus eingeschlossenen Fritz Drach gewesen sei. In einem Ostberliner Archiv existiert ein Solidaritätsbrief von Fritz Drach an (den damals wegen Schiffsraub inhaftierten) Franz Jung vom 18.November 1920, der unter anderem von Ida Bergmann unterschrieben ist.

Als Drach sich 1936 in Frankreich als Emigrant in seiner politischen Ehre angegriffen fühlte, soll er gereizt geantwortet haben, daß ein Sohn von ihm in Deutschland in einem faschistischen KZ säße, er selbst sei in Frankreich ordentlich verheiratet und habe zwei Kinder. Der Schriftsteller Georges Charensol berichtet, Nelly Goujat, die Witwe Drachs, sei ebenfalls in ein deutsches KZ verschleppt worden; sie hat glücklicherweise überlebt und 1947 ihrem Mann den Grabstein in Nimes setzen lassen. Leider konnte ihre Spur bis heute ebensowenig wiedergefunden werden wie die von anderen Angehörigen oder Nachkommen.

In dem Leben und Sterben dieses „merkwürdigen Mannes“ spiegelt sich ein Vierteljahrhundert französischer und deutscher Geschichte. Möglicherweise hatte er von frühester Jugend an eine enge Beziehung zu Frankreich, zweifellos hat er sehr viel besser französisch geschrieben und gesprochen als das Gros der deutschen Emigranten. Sicher stand das Gastland seinem Herzen näher als das Vaterland. Obwohl man heute selbst von denen, die ihn kannten, eher Gerüchte und Vermutungen erhalten kann als exakte Informationen, fällt es doch schwer, die Klischees zu akzeptieren, die sich mit der Person Fritz Drach unvermeidlich zu verbinden scheinen: Hochstapler, Doppelagent, Widerstandskämpfer... Wahrscheinlich war er nichts davon, sondern nur ein Mensch, der eine gleichsam naturwüchsige Abneigung gegen den deutschen Faschismus hatte und der auf eine eigenwillige Art Solidarität mit dessen Gegnern und Opfern übte. Es steht außer Zweifel, daß er 1933/34 in Paris und 1940/42 in Marseille vielen deutschen Emigranten aus der Patsche geholfen, manchen vielleicht gar das Leben gerettet hat. In mindestens einem Fall scheint er jedoch auch der französischen Polizei Hinweise gegeben zu haben, die zur Verhaftung eines Emigranten führten. Ein Buch über Drach, das all die widersprüchlichen Berichte sammeln und dokumentieren wird, ist in Arbeit. Es wird keinen Charakterdarsteller im hellen Rampenlicht der Geschichte zeigen können, sondern eher eine Gestalt im Zwielicht des Bühnenhintergrundes, die stets nur kurz und in jeweils anderer Beleuchtung auftritt. Immerhin einer, der sich eingemischt hat, der das momentan Mögliche realistisch eingeschätzt und nicht ohne persönlichen Mut vorangetrieben hat. Soweit bisher ersichtlich, war er in seinen Mitteln nicht wählerisch, in seinen politischen Grundpositionen jedoch moralisch besser ausgewiesen als seine Gegner von Noske und Scheidemann bis zu den Abwehroffizieren des Hitlerstaates im besetzten Frankreich. Einer seiner Freunde erzählt, Fritz Drach sei in seiner Jugend Kabarettsänger in München gewesen: ein Bohemien in der Politik, ein kultureller Querschläger zwischen zwei Nationen. Vielleicht könnte die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen in diesem Jahrhundert zugleich konkreter und lebendiger dargestellt werden, wenn auch solche eigentümlichen Randfiguren bemerkt und beschrieben würden.

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