Der rosa Winkel

■ Schwule und Alternativbewegung / taz-Serie Teil3 / von E.Kraushaar

Die Bewegung ist heterosexuell. Auch heute, nach zehn Jahren alternativem Leben und Arbeiten, sind die Schwulen eine Minderheit im Winkel geblieben. Die Versuche, ökonomisch Land zu gewinnen, blieben erfolglos. Außer mit Cafes, Kneipen und Buchläden konnten sich die Schwulen auf dem Markt nicht durchsetzen. Ebenso gering ist ihr polititscher Einfluß geblieben. So sind sie heute eine Nische in der Nische.

Das Logo zu dieser Serie ist nicht ohne Sinn: ER und SIE in nostalgischer Erinnerung an das Rumoren von einst. Auch die letzten zehn Jahre Alternativbewegung denken sich, selbst im minimalen Konterfei, nur heterosexuell.

Die Lehren aus dieser Erfahrung waren schlicht und bewährt: der heterosexuelle Feind sitzt gleichermaßen bei den Konservativen wie bei den Linken. Die hohlen Phrasen, mühsam liberal gehalten, machten keinen Unterschied zwischen etablierten Parteien und revolutionären Parteiaufbaulern.

Von nun an blieb die direkte Konfrontation aus, Schwule zogen sich zurück in ein Ghetto, das sie für sich neu zu definieren suchten. Ein soziales Netz begann sich zu etablieren, das das Heterosexuelle weitestgehend außen vor ließ. Mit den Eröffnungen des Cafes 'Anderes Ufer‘ in der Schöneberger Hauptstraße wurden 1976 die neuen Zeichen gesetzt, nach innen wie nach außen. Offen zeigte sich das Lokal, mit Schaufenster und ohne Klingelknopf, keine feste Burg mehr wie die Schwulenkneipen der traditionellen Subkultur. Und so offen wieder nicht, daß Heterosexuelle in einem Gehege gleich hier Schwule pur erleben konnten.

Vor diesem Hintergrund reifte die Idee für einen schwulen Buchladen. Ein Ort sollte es sein, der all das anbot, was Homosexuelle ud Schwule, Urninge und Homophile je hervor gebracht hatten und zwischen zwei Buchdeckel fassen ließen. Egal, ob Wissenschaftler oder Literaten, Maler oder Fotografen, Agitatoren, Schauspieler, Versteckte, Spinner. Im November 1978 eröffneten vier Schwulenbewegte den 'Prinz Eisenherz'-Buchladen in der Schöneberger Bülowstraße. Mit dem ersten Sortiment, noch grob differenziert zwischen 'Theorie‘ und 'Schwulenbewegung‘, 'Gift und Galle‘ und 'Literatur‘, bot der Laden sich auch an als Ort der Kommunikation, der am Tag zugänglich war und den Einzelnen nicht mehr ausschließlich auf die Nacht verwies, um mit Gleichen zusammenzukommen.

Doch der Kollektivgedanke blieb für die Schwulenbewegung eng begrenzt. Eine schwule Druckerei? Soviel gab es nicht zu drucken. Ein schwules Kfz-Kolektiv? Tunten und Technik schlossen einandner aus. Schwule Friseure im Alternativbetrieb? Jeder herkömmliche Laden war schon voll davon. Nach dem Vorbild des 'Anderen Ufer‘ eröffneten noch andere Cafes und Kneipen, von denen einige schon längst wieder geschlossen sind, andere noch weiter existieren ohne direkte Berührung mit den poltisch weiterhin Aktiven.

Schwule Projekte konzentrierten sich vor allem auf den Freizeitbereich ihrer Klientel. Und sie mußten - um ökonomisch auch nur einigermaßen über die Runden zu kommen die engen Grenzen des vergleichsweise kleinen Kreises linker Schwuler weit überschreiten. Soweit hatte die Schwulenbewegung den Markt vorbereitet und öffentlich ein neues Selbstbewußtsein entwickelt, daß schwule Projekte wie schwule Geschäftemacher gleichermaßen ihr spezielles Geld verdienen konnten. Ein schwules Reisebüro wurde eröffnet, das jeden Schwulen an seinen Strand vermittelte; ein schwuler Versandbuchhandel versorgt selbst den verheirateten homosexuellen in der Provinz sowohl mit Akt-Magazinen als auch kleinen Lebenshilfen; ein schwuler Filmverleih entdeckt die neuesten Filme in aller Welt, die vor allem für schwule Zuschauer von Interesse sind.

Die Ansprüche, Forderungen und Wünsche, die sich in diesem alternativen Bereich formulieren, unterscheiden sich von denen der 'anderen‘ Alternativszene vor allem darin, daß der gemeinsame Nenner seiner Träger und Konsumenten die gelebte Homosexualität ist, ein Umstand, der durchaus die Grenzen zum politisch anders Denkenden und Handelnden überschreiten kann. Gemeinsamkeiten sind da gegeben, wo schwule Projekte für ihre Existenzgrundlage genauso um Senatsgelder rangeln wie ihre heterosexuellen KollegInnen. Darüber hinaus orientieren sich die Schwulen für das konkret Machbare beim weiteren Vorstoß in die Alternative an dem, was die anderen im vergleichsweise höheren Rahmen schon geprobt haben: Gesellschaftsformen für neue Betriebe werden bei den schon etablierten abgekupfert, und das 'Schwule Netzwerk‘ funktioniert nach dem Muster des großen Bruders.

So weit verzweigt sich die schwule Alternativszene auch inzwischen darstellt, so gering ist doch ihre politische Aktionskraft.