: Wenn einer keine Reise tut...
...kann er in alten Zeitungen blättern, von der sensationellen Einweihung des ersten Bremer Hochhauses „Kaufhaus Bamberger“ anno 1929 lesen und davon, wie es boykottiert wurde ■ Von Bernhard Gleim
Im Dezember 1929 druckten die Bremer Nachrichten ein Photo ab, auf dem neben einigen kleinen Giebelhäusern aus alter Zeit ein mächtiger Bau im damals gerade modernen Stil der Sachlichkeit zu sehen war. Das erste Hochhaus Bremens, mit sage und schreibe acht Stockwerken, einer leicht gewölbten Vorderfront und durchgehenden Fensterreihen. Der Text zu diesem Photo lautete: „Kaufhaus Bamberger. Das erste Hochhaus Bremens wurde kürzlich dem Betrieb übergeben. Außer der Höhe des Hauses erregen beim Publikum insbesondere die Rolltreppen großes Interesse.“
Bauherr des sensationellen Gebäudes war der Kaufmann Julius Bamberger, der schon kurz nach der Jahrhundertwende in
der Faulenstraße ein kleines Kaufhaus gegründet hatte und nun mit diesem Neubau an der Ecke Faulenstraße/Doventorstraße sein Geschäft erweiterte. Der wohlhabende Kaufmann genoß in Bremen einen ausgesprochen guten Ruf. Bamberger wurde vor allem von der armen Bevölkerung sehr verehrt, weil er stets helfend zur Stelle war, wenn Notleidende sich an ihn wandten. Jeder durfte mit seinen Sorgen zu ihm kommen und gewiß sein, daß er Rat und Hilfe fand. Ungezählte Konfirmanden wurden alljährlich von ihm ausgestattet, aber auch die großen Hilfsorganisationen kamen bei ihm nicht zu kurz.
Julius Bamberger war Vorsitzender der Ortsgruppe des „Central Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“
-einer Vereinigung, die es sich zum
Ziel gesetzt hatte, die vollständige Eingliederung der jüdischen Bürger in die Gesellschaft zu fördern. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurden alle Hoffnungen auf eine friedliche Eingliederung und ein nachbarschaftliches Miteinander auf einen Schlag zerstört. Antisemitismus und Ressentiments gegen wohlhabende Juden insbesondere Kaufhausbesitzer - hatte es schon vorher gegeben; vor allem die kleinen Gewerbetreibenden fühlten sich durch die übermächtige Konkurrenz der Kaufhäuser an die Wand gedrückt und waren dementsprechend empfänglich für eine Propaganda, die alle Übel dieser Welt den Juden in die Schuhe schob.
Schon am ersten April 1933 - acht Wochen nach der sogenannten Machtergreifung - kam es in Bremen wie in anderen deutschen Städten zu einem ersten Boykott. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, nicht in jüdischen Geschäften zu kaufen, sich nicht von jüdischen Rechtsanwälten beraten und von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Die Bremer Nachrichten schrieben am Tage danach: „Die jüdischen Geschäfte hatten gestern meistens bereits vor 10 Uhr ihre Läden geschlossen und in den Schaufenstern die Kennzeichnung 'Jüdisches Unternehmen‘ angebracht. SA-Posten hielten vor den Geschäften Wache, um das Publikum durch Plakate auf die Abwehrmaßnahmen aufmerksam zu machen. Über die Faulenstraße, Hutfilterstraße und Obernstraße
hatte man Tuchstreifen gespannt mit der Aufschrift 'Deutsche kauft nicht bei Juden!‘. In Ordnung und Disziplin vollzog sich der Boykottfeldzug, wie er von den zuständigen Stellen angeordnet war.“
In Ordnung und Disziplin gingen Staat und Bevölkerung daran, die wirtschaftliche Existenz der jüdischen Mitbürger zu vernichten. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört es, daß der Kaufmann Julius Bamberger die neuen Nazi-Machthaber anfangs noch gegen ihre Kritiker in Schutz nahm. Besorgten Freunden und Geschäftspartnern aus dem Ausland, die von der feidseligen Stimmung gegen die Juden in Deutschland gehört hatte, versicherte er, das seien alles Übertreibungen, und in Deutschland gehe auch unter der neuen Regierung alles nach Recht und Gesetz zu. Kopien dieser Briefe schickte er sogar an Behörden, weil er hoffte, durch diesen Akt der Loyalität dem Antisemitismus den Wind aus den Segeln nehmen zu können.
Wenige Monate später wurde Bamberger verhaftet und im Gefängnis mißhandelt. Sein Kaufhaus an der Faulenstraße wurde systematisch ruiniert. Das begann mit scheinbar harmlosen Kleinigkeiten. So fand sich plötzlich unmittelbar über einer ganz normalen Zeitungsannonce des Kaufhauses Bamberger folgender Text: „Nachdenken! Kauft nicht in jüdischen Warenhäuseren und jüdischen Geschäften!“
Daß die Zeitung selbst das
Geld für die Annonce natürlich gern entgegengenommen hatte, stand allerdings nicht dabei. Der Druck wurde von Monat zu Monat stärker. Angestellte des Kaufhauses wurden zu Spitzeldiensten eingesetzt und stifteten Unfrieden in der Belegschaft. Die Geschäftsverbindungen wurden eingeschränkt, und Kredite gab es immer seltener. Wer wollte schon einem Unternehmen Geld geben, von dem man nicht wußte, wie lange es noch würde bestehen können?
Im Herbst 1936 stand das Kaufhaus Bamberger vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Im Dezember jenes Jahres, also fast auf den Tag genau sieben Jahre, nachdem die Bremer Nachrichten das erste Hochhaus Bremens gefeiert hatten, erschien in derselben Zeitung die folgende Anezige: „Das gesamte Warenlager der Firma Julius Bamberger soll innerhalb kurzer Zeit zu stark herabgesetzten Preisen geräumt werden. Der Totalausverkauf beginnt heute Montag 3 Uhr nachmittags. Der Treuhänder.“
Julius Bamberger floh über die Schweiz nach Paris, wurde dort nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht verhaftet und in verschiedenen Konzentrationslagern eingewiesen, konnte dann aber über Spanien und Portugal nach Amerika flüchten und starb schließlich 1951 in Los Angeles, ohne seine Heimatstadt Bremen je wiedergesehen zu haben.
aus: zettBeh vom 5.11.88
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen