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Referendum über Neukaledonien

Frankreich stimmt über die Zukunft seiner Kolonie ab  ■  Aus Paris Georg Blume

Zum ersten Mal seit sechzehn Jahren sind die Franzosen am Sonntag zur Volksabstimmung aufgerufen. Francois Mitterrand, dem als Staatspräsidenten die alleinige und uneingeschränkte verfassungsrechtliche Macht zusteht, ein Referendum auszurufen, bittet die französischen Wähler um ein Ja für das Gesetz „über die Zukunft Neukaledoniens“. Das Gesetz gründet auf dem Abkommen, das der Führer der kanakischen Ureinwohner Neukaledoniens, Jean-Marie Tjibaou, und der Chef der neukaledonischen Gaullisten, Jacques Lafleur, unter Federführung der neuen sozialistischen Regierung in Paris am 26.Juni dieses Jahres unterzeichneten.

Das Gesetz sieht vor, daß die Neukaledonier im Jahr 1998 in einem Inselreferendum über die Unabhängigkeit der Kolonie entscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Wählerschaft eingefroren, d.h. Neuhinzugezogene können dann nicht mitstimmen. Damit kommt man einer zentralen Forderung der Kanaken entgegen, die heute nur noch knapp die Hälfte der Inselbewohner stellen und deshalb bei bisherigen Wahlen meist aussichtslos kandidierten. Weiterhin bestimmt das Gesetz eine Neuorganisation der neukaledonischen Regierungs und Verwaltungsapparate, die den Kanaken eine größere Autonomie sichert. Entscheidend für die kanakische Einwilligung zum Abkommen aber waren schließlich die im Gesetzestext notwendigerweise nur angedeuteten Regierungsversprechen, denen zufolge den kanakischen Regionen der Insel in Zukunft umfangreiche wirtschaftliche Subventionen aus Paris zukommen werden.

Für alle Beteiligten, Regierung, Kanaken und Siedler, markierte das Abkommen einen Wendepunkt, nachdem Neukaledonien noch im Mai dieses Jahres am Rande eines Bürgerkrieges stand. Die politischen Spannungen in der Kolonie erreichten im April, kurz vor den Präsidentenwahlen, einen Höhepunkt, als Premierminister Chirac in einer skandalträchtigen Aktion einer Geiselnahme durch Kanaken ein blutiges Ende bereitete. Daß Kanaken und französische Siedler nach diesem Drama wieder an einen Tisch fanden, liegt an aufeinandertreffenden Kalkülen beider Seiten. Die Kanaken erkannten, daß der Druck der französischen Militärmacht ihre Bewegung zerrüttete, sie zudem auch Zeit und Geld brauchten, um eine materielle Grundlage für ihren Unabhängigkeitsanspruch zu legen. Die französischen Siedler wiederum sahen ein, daß sie bei Anhalten der Gewalttätigkeiten Paris vor die Wahl zwischen dem Ansehen Frankreichs in der Welt und dem Schicksal einiger Überseefranzosen stellen würden.

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