: Ein Grußwort an die Vernichter
Kurz vor dem Pogromgedenken erhält die von NS-Rassenideologen gegründete „Freie Akademie“ den Besuch der stellvertretenden hessischen Landtagspräsidentin und Freidemokratin Ruth Wagner ■ Von Gerd Nowakowski
Berlin (taz) - Die „Freie Akademie“ in Wiesbaden veranstaltet bis zum morgigen Sonntag eine Tagung zum Thema „Aufklärung und Postmoderne“. Für den verhinderten stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten Wolfgang Gerhardt (FDP) spricht seine Parteikollegin und stellvertretende hessische Landtagspräsidentin Ruth Wagner die Grußworte. Wenige Tage vor dem Pogromgedenken am 9.November kommt diesem offiziösem Gruß des Landes Hessen allerdings besondere Bedeutung zu. Die „Freie Akademie“, die sich der freireligiösen Bewegung zurechnet, ist von einigen der entschiedensten Rassenideologen der Nazis gegründet worden.
Gegründet wurde die Akademie 1953 von Wilhelm Hauer, der seit 1933 Führer der „deutschen Jugendbewegung“ war und nachfolgend Vorsitzender der NS-Sekte „Deutsche Glaubensbewegung“. Dieser Organisation kam als inoffizielle Religionsgemeinschaft der Nazi-Kader erhebliche Bedeutung zu. Bereits 1934 erklärte Hauer in seinem Buch „Deutscher Glaube“ dem Judentum einen „unerbittlichen Kampf bis zum Sieg“. Nachfolger des 1962 verstorbenen Hauer wurde Lothar Stengel von Rutkowski. Das frühe NSDAP-Mitglied Rutkowski, der sein Präsidentenamt bis vor wenigen Jahren ausübte, legte in mehreren NS-Standardwerken die „wissenschaftliche“ Grundlage der Judenvernichtung. Bei der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze 1935 bezogen sich die Urheber teilweise direkt auf Rutkowskis „Forschungen“ des „minderwertigen Lebens“. Nach dem Krieg blieb Rutkowski unbehelligt, arbeitete zeitweise als Amtsarzt. Seit seinem Rücktritt lebt der weiterhin mit der Akademie verbundene Stengel von Rutkowski als Pensionär in Korbach.
„Das ist doch eine ganz normale Stiftung“ verteidigt sich Frau Wagner: „Wenn ich von solcher Nähe wüßte, würde ich mich damit auseinandersetzen.“ Fragen können hätte sie auf der Tagung Professor H.Mynarek, der als Referent auftritt und in Fortführung der religiösen Ideen seines Vorbilds Hauer von minderwertigen „Irrläufern der Evolution“ spricht.
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