: Kritik an Thatchers Polen-Besuch
Britische Opposition empört / Britische Gewerkschaften könnten von Solidarnosc lernen ■ Aus London Rolf Paasch
Der Besuch in Polen, so polterte der außenpolitische Sprecher der britischen Labour Party, sei die wohl „unangemessenste Intervention in die Angelegenheiten Polens seit Adolf Hitler“. Die Kritik an dem Staatsbesuch der britischen Premierministerin läßt die ganze Verwirrung über den spektakulären Auftritt der Eisernen Lady in Polen erkennen. Wenn die Botin eines neuaufgelegten Manchester -Kapitalismus in Warschau mit der erzkommunistischen Führung in trauter Übereinstimmung über schmerzliche Rezepte für die darniederliegende Volkswirtschaft Polens parlieren kann, wenn die brutale Dompteuse der britischen Gewerkschaften in Gdansk die Bedeutung unabhängiger Gewerkschaften betont, dann geraten alle politischen Begrifflichkeiten gründlich durcheinander.
Natürlich weiß auch Lech Walesa, mit welch heuchlerischer Figur er sich zum Mittagessen in der St.Brygida-Kirche von Gdansk zusammensetzte. Auch seinen Kollegen ist durchaus bewußt, daß ein möglicher Streik in Großbritannien ebenso verboten würde, wie daheim von Rakowski, Jaruzelski und Co.. Aber wer will den Mitgliedern von Solidarnosc verdenken, daß sie im Kampf gegen das polnische Regime nicht gerade wählerisch sind. Außerdem wird Frau Thatchers Steckenpferd, die Privatisierung von Staatsbetrieben, in Polen mit der Befreiung von einer repressiven und ineffizienten staatlichen Aufsicht gleichgesetzt. Was die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten und Meinungsfreiheit durch das Thatcher-Regime angeht, kann Walesa der britischen Arbeiterbewegung nichts anderes empfehlen, als mit dem gleichen Kampfeswillen dagegen vorzugehen, den Solidarnosc unter schwierigeren Bedingungen demonstriert hat. Wenn die britische Arbeiterbewegung Solidarnosc das Zusammengehen mit falschen Freunden vorwirft, sollte sie nicht vergessen, wie es um die eigene Oppositionskultur bestellt ist. Die für diese Woche angekündigten Streiks und Proteste gegen die Einschränkung der Grundrechte von Gewerkschafts- und Meinungsfreiheit, können an der Basis nicht annähernd mit der gleichen Unterstützung rechnen, wie so mancher Arbeitskampf für irgendeine Lohnerhöhung oder die Beibehaltung eines überholten Schichtsystems.
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