Notüberlauf der Kloake erörtert

■ 500 Einwendungen gegen die Genehmigung behördlicher Gewässerverunreinigung beraten / Amt für Stadtentwässerung will unbefristete Erlaubnis für bislang illegale Notüberläufe / Gegen „Nullösung“

Seit über hundert Jahren gibt es bei starkem Regen für Bremens Fische Atemnot: Dann nämlich springen zwei Dutzend „Notüberläufe“ der Mischwasser-Kanalisation auf und speien Regenwasser, Klospülungen und Industrieabwässer in die Weser, die kleine Wümme und deren Stichkanäle. Dagegen hatten Bürgerinitiativen 1984 Klage erhoben. Zwar ergaben die Ermittlungen damals „tatbestandsmäßige Gewässerverunreinigung“, doch nach einem Jahr wurden sie dennoch wieder eingestellt, weil der Staatsanwalt die Zahl von insgesamt 60 angezeigten Behördenmitarbeitern für zu hoch befand. Trotzdem zog der damals noch zuständige Bausenator seine Lehre und wollte die „alten Rechte“ lieber durch eine neue Genehmigung ersetzt wissen. Gegen deren Inhalt - genannt „Mischwasser 90“ - erhoben vom 12. bis 26. Januar 1987 insgesamt 500 BremerInnen persönliche Einwendungen. Gestern nachmittag waren sie alle zu einem „Erörterungstermin“ geladen, um ihre Kritik vorzubringen.

„Wir sind doch eine verschworene Gemeinschaft, da müssen wir uns nicht an die Formalien halten“, forderte der grüne Deichgraf Gerold Janssen den Vorsitzenden und Leiter des Wasserwirtschaftsamtes, Hans-Dieter Bücken, auf. Tatsächlich hat

ten viele der 30 EinwenderInnen, die trotz des ungünstigen Termins in die Stadthalle gekommen waren, schon oft ihre Kritik an der überschwappenden Kloake aus

der Bremer Kanalisation an die zuständigen Behördenvertreter gebracht. Da konnten auch die bunten Schaubilder des Baudirektors Dieter Voigt, der für das Amt

für Stadtentwässerung den Antrag auf Genehmigung gestellt hatte, keinen Eindruck machen.

„Wir fordern, bis 1995 alle Notüberläufe, die in Richtung Kleine Wümme führen, zu schließen“, faßte Peter Ullrich für die EinwenderInnen zusammen. Für die restlichen Notausgänge der Kanalisation in Richtung Weser dürfe höchstens eine bis 1995 befristete Genehmigung erteilt werden. „So ein Termin könnte das Nachdenken in der Behörde beschleunigen“, hofft Ullrich. Gleichzeitig soll bis 1995 ein Gutachten vorliegen, wie auch die Notüberläufe in Richtung Weser zu schließen wären. Und schließlich schlagen die EinwenderInnen vor, auch bei den industriellen, sogenannten „Indirekteinleitern“ scharfe Maßstäbe anzulegen: Diejenigen Betriebe, deren giftige Abwässer bei starkem Regen am ehesten verdünnt in die Flüsse schwappen, sollten auch als erste mit strengen Auflagen belegt werden.

Baudirektor Voigt und der von ihm beauftragte Gutachter sahen während der Erörterung jedoch weder Möglichkeit noch Notwendigkeit einer solchen „Nullösung“. Im Gegenteil: Würde Bremens Kanalisation nicht ab und zu von einem kräftigen Regen durchgespült, könnte es sogar zu gefährlichen „Ablagerungen und Korrosion“ kommen, so der Gutachter. Und liefe tatsächlich alles

Mischwasser durch die biologische Kläranlage in Seehausen, könnten dort die wichtigen Bakterien sterben, weil sie nicht mehr genug Dreck zum Leben hätten. Tausende Fische, die erst im Sommer beim letzten „Aufspringen“ der Notüberläufe im Maschinenfleet an der Mischwasser-Kloake verendet waren, hatten allerdings eher das Gegenteil bewiesen.

Doch auch das Argument des langjährigen grünen Abgeordneten Peter Willers, die Verwaltung müßte eigentlich selber Interesse an einer Befristung der Erlaubnis zur Flußverunreinigung haben, um damit Druck auf den Finanzsenator machen zu können, wird wenig fruchten. Denn, so Peter Ullrich, in diesem Genehmigungsverfahren „ist es ja die Stadtgemeinde, die sich selber mit der Hand in die Tasche greift“. Tatsächlich hat die Zusammenlegung der Senatsressorts für Bau und Umwelt dazu geführt, daß nun die Genehmigungsbehörde wie auch das beantragende Amt unter der Zuständigkeit der Senatorin für Stadtentwicklung stehen. Und die hat wenig Lust, einen großen Streit ins eigene Haus zu holen.

Die Einwendungen waren dennoch nicht umsonst. Spätestens im nächsten Prozeß gegen die verantwortliche Behörde können die kritischen Argumente wiederverwendet werden.

Dirk Asendorpf