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In ein Forschungszentrum für Entsorgung umwandeln

Michel Lowe, Sprecher des South-Carolina-Büros von Greenpeace, zur Zukunft der Tritium-Fabrik  ■ I N T E R V I E W

taz: Wenige Tage nach den Enthüllungen um Savannah River Plant veranstaltete Greenpeace eine Protestkundgebung vor der zuständigen Behörde in Columbia, South Carolina. Ganze 12 Demonstranten kamen. Die bislang größte Demonstration brachte es auf knapp 400 Teilnehmer. Ist der jüngste Atomskandal den Amerikanern denn gleichgültig?

Lowe: Seit Eröffnung unseres Greenpeace-Büros in der Nähe von Savannah River Plant im Spätsommer haben wir 3.200 neue Mitglieder bekommen. Hier, im konservativen Süden, ist es natürlich besonders schwer. Und bisher macht kaum jemand mit, wenn die nationale Verteidigung in Frage gestellt wird. Atomwaffenverzicht ist für die Mehrheit der Bevölkerung völlig indiskutabel.

Ein Argument, das häufig zu hören war, wenn es um den Erhalt der hinfälligen Reaktoranlagen ging: ohne fortlaufende Tritiumproduktion ist die Verteidigung der Nation in Frage gestellt.

Offizielle Berechnungen zum Tritiumbedarf gibt es leider nicht - die wirklichen Zahlen werden streng geheim gehalten. Wir haben dennoch versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wissenschaftler haben ausgerechnet, daß etwa fünf Kilogramm Tritium pro Jahr produziert werden müßten, um die Reserven auf dem derzeitigen Stand von 100 Kilogramm zu halten. Das könnte ein einziger Savannah-River-Plant-Reaktor leisten, der auf halber Kraft gefahren wird. Das Energieministerium behauptet allerdings, man benötige die volle Kraft der Anlage. Darüberhinaus gibt es Alternativen. Zum Beispiel kann Tritium aus alten Sprengköpfen recycelt werden, oder man baut einfach kleinere Sprengköpfe. Selbst wenn alle Tritiumquellen versiegen würden, hätten die USA für die nächsten 59 Jahre immer noch mehr als 1.000 Tritium -Sprengköpfe. Wenn man sich andererseits aber mit der Sowjetunion einigen würde, gar kein Tritium mehr zu produzieren, wären viele Probleme in relativ kurzer Zeit von selbst gelöst.

Die Atomwaffenindustrie in den Vereinigten Staaten beschäftigt etwa 100.000 Arbeiter. Die rund 16.000 Mitarbeiter von Savannah River Plant kommen fast ausschließlich aus der nächsten Umgebung, wo es wenig andere Jobs gibt - allein in der benachbarten Kleinstadt Aiken arbeiten 60 Prozent der Bevölkerung für die Atomfabrik. Wenn die Anlage schließt, so befürchten die Leute, werden viele arbeitslos.

Auch nach einer Schließlung der Reaktoranlagen gäbe es mehr als genug zu tun. Was Savannah River Plant braucht, gilt für alle anderen Anlagen genauso: Intensive „Aufräumarbeiten“. Experten sagen, daß es hier 40 bis 50 Jahre dauern dürfte, bis die Anlage entsorgt ist. Savannah River Plant könnte ein regelrechtes Forschungslabor sein für die Behandlung und Beseitigung radioaktiver und giftiger Abfälle. Das dürfte ein breites Spektrum von Arbeitsplätzen bieten.

Sicher würde es eine gewaltige Veränderung für das Personal bedeuten, nicht mehr zu produzieren, sondern zu entsorgen. Aber es wäre doch in seinem eigenen Interesse.

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