piwik no script img

Geht Savannah River den Bach runter?

■ Die einzigen tritiumproduzierenden Atomreaktoren der USA bleiben abgeschaltet / Von Gundula Englisch

Beide Nachrichten gingen im Trubel der Bush-Triumphes unter: Letzten Donnerstag mußte das US-Energieministerium bekanntgeben, daß bis Jahresende keiner der drei militärisch genutzten Atomreaktoren in Savannah River, South Carolina, wieder in Betrieb genommen werden kann. Seit die Reaktoren im August abgeschaltet werden mußten, seien „nicht genügend Fortschritte zur Wiederherstellung der Sicherheit“ erzielt worden. Und einen Tag später, am Freitag, kündigte Greenpeace eine Klage gegen selbiges Energieministerium an. Unter Berufung auf das US-Atomgesetz will es die widerstrebende Behörde zwingen, eine Sicherheitsstudie zu den Reaktoren, die aus den fünfziger Jahren stammen, in Auftrag zu geben. Ein Erfolg vor Gericht würde die Anlage für zwei weitere Jahre lahmlegen.

„Gestorben ist bis jetzt jedenfalls noch keiner ...“, sagt der Bürgermeister von Aiken im Bundesstaat South Carolina schulterzuckend. Gefahren für seine Gemeinde, die nur wenige Kilometer von der Atomfabrik Savannah River Plant entfernt ist, sieht der 80jährige nicht. Doch daß in den drei Jahrzehnten Betriebsgeschichte noch niemand sein Leben lassen mußte, grenzt fast an ein Wunder.

Durchgeschmolzene Brennelemente, Kettenreaktionen, die außer Kontrolle zu geraten drohen, überhitztes Reaktorkühlwasser, kontaminierte Betriebsräume und Mitarbeiter, die hohen Strahlenmengen ausgesetzt sind. Eine Sicherheitsanhörung im Kongreß hatte Anfang Oktober die haarsträubenden Verhältnisse in und um Savannah River Plant ans Tageslicht gebracht.

Von über 3.000 Störfällen in 30 Jahren war da die Rede, etwa ein dutzend davon mit schweren Folgen. Dem Kongreß liegt auch eine Studie vor, die die Ursachen der Misere nennt: Technische Mängel, Materialverschleiß, unzureichende Sicherheitsvorkehrungen, Bedienungsfehler, falsche Berechnungen, schlecht ausgebildetes Personal und das berühmte menschliche Versagen. Seit über 30 Jahren, so scheint es, haben die Verantwortlichen geschlampt, geschlafen und gemauschelt. Dabei trifft die Schuld weniger den Betreiber Du Pont als vielmehr seinen Auftraggeber, das Energieministerium.

Immer wieder, so erfährt man im Gespräch mit Du Pont -Mitarbeitern, habe man versucht, das Ministerium auf die bestehenden Mängel hinzuweisen. Doch alle Bitten und Beschwerden wurden ignoriert, Briefe verschwanden auf Nimmerwiedersehen in ministeriellen Schubladen, und einige Mitarbeiter sollen sogar „Schweigegeld“ angeboten bekommen haben.

Die Forderung nach unabhängigen Aufsichtsratsgremien wurde nicht selten mit dem Argument abgetan, daß viele der ministeriellen Angelegenheiten höchster Geheimhaltung bedürfen. „Der Fuchs, der auf den Hühnerstall aufpaßt“, so beschreibt ein Kongreßmitglied die Situation. Insgesamt 18 Atomreaktoren und Nuklear-Betriebe stehen im Dienste der „nationalen Verteidigung“ und unterstehen als solche dem Energieministerium.

Fast alle dieser Anlagen sind zwischen 1950 und 1960 gebaut worden, fast alle haben in jüngster Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt. Nahezu täglich kommt eine neue Schlamperei ans Tageslicht:

-14 Tage nach dem Kongreß-Hearing wird eine weitere Reaktoranlage teilweise stillgelegt: Rocky Flats, Colorado. Beim Verlassen eines Raumes war bei drei Angestellten eine geringe Kontaminierung festgestellt worden. Die Radioaktivitäts-Warnschilder des Lagerraums hatte irgendjemand mit Holzplanken zugestellt.

-Am 7.Oktober dieses Jahres wird die Plutoniumaufbereitungsanlage in Fernald, Ohio, gestoppt. Das Betriebspersonal hatte die Schließung der Anlage wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen mit einem Streik erzwungen. Die Anlage, nur 18 Meilen vom Ballungsgebiet um Cincinatti entfernt, verseucht seit über 35 Jahren Luft und Trinkwasser mit Wissen und Duldung des Energieministeriums.

-Wie fahrlässig das Ministerium mit Sicherheitsbestimmungen und Verantwortlichkeiten umgeht, zeigt auch der Fall eines kommerziellen Betriebes, der medizinische Geräte mit Hilfe von Radioaktivität sterilisiert. Die Firma in Atlanta mußte dichtmachen, nachdem erhöhte Radioaktivität in der Umgebung des Werkes gemessen wurde. Die Panne war sozusagen vorprogrammiert: Trotz der Bedenken anderer Dienststellen hatte das Energieministerium das neuartige Sterilisierungsverfahren der Firma noch vor Ablauf der einjährigen Testphase genehmigt. Offensichtlich hatte man es eilig, das dabei verwendete Cäsium, ein Abfallprodukt der Atomwaffenproduktion, vom wachsenden Müllberg der staatlichen Anlagen wegzubekommen.

Inzwischen weiß in den USA keiner mehr, wohin mit all dem Atommüll. Eine neue Anlage in Carlsbad, New Mexiko, darf aus Sicherheitsgründen nicht in Betrieb gehen, und die einzige Lagerstätte für atomaren Abfall in Idaho hat vor kurzem die Notbremse gezogen. Man werde solange keinen Müll mehr annehmen, hieß es, bis das Energieminsterium endlich sein Versprechen einlöse, sich um die Beseitigung der vorhandenen Abfallberge zu kümmern.

Auch in anderen Anlagen nimmt das Entsorgunsproblem unerträgliche Formen an. Auf dem Gelände von Savannah River Plant etwa dümpeln seit Jahren hunderttausende von Hektolitern toxischer und stark radioaktiver Flüssigkeiten vor sich hin - in unterirdischen Tanks, die zum Teil bereits zu rosten anfangen. Und die riesigen Mengen von schwach radioaktivem Feststoff-Abfall wurden - in Pappkartons verpackt - einfach vergraben. Über 100 solcher Abfallager sind über das Betriebsgelände verteilt. Die in Bau befindliche Entsorgungsanlage sollte schon seit mehreren Jahren fertig sein - bis heute weiß niemand, wann sie endlich in Betrieb gehen kann.

Auf einen Schlag scheint sich nun alles zu rächen, was unter der atomaren Aufrüstungspolitik Ronald Reagans versäumt und verdrängt worden ist. Wie das Energieministeium die Situation jemals wieder in den Griff bekommen soll, ist fraglich, besonders, wenn man sich die 100 bis 130 Milliarden Dollar vor Augen führt, die es kosten dürfte, die Alt-Anlagen zu sanieren und zu entsorgen.

Bislang wurden für solche Maßnahmen ganze zwei Milliarden Dollar aufgewandt. Doch anstatt endlich zumindest damit anzufangen, den Schrott der letzten Jahrzehnte beiseite zu räumen, sind schon wieder Milliarden Haushaltsdollar für neue Produktionen verplant.

Im Spätsommer kam die Entscheidung aus dem Weißen Haus, Savannah River Plant zum Standort für einen hochmodernen Tritium-Reaktor zu machen. Eine ähnliche Anlage soll gleichzeitig im Staate Washington entstehen. Das knapp sieben Milliarden Dollar teure Projekt soll zur Jahrtausendwende fertiggestellt sein und die Tritiumversorgung der Nation langfristig sichern. Seit dem Skandal um die Alt-Anlagen werden Zweifel laut, ob ein solches Mammutprojekt angesichts der weltweiten Abrüstungsbemühungen nicht in die falsche Richtung gehe.

Doch in Regierungskreisen denkt man nicht im geringsten daran, das Projekt auf die Warteliste zu setzen. Tritium, ein äußerst wirksamer und effektiver Wirkstoff in atomaren Sprengköpfen, muß wegen seiner Halbwertzeit von 12,5 Jahren ständig neu produziert werden. Da das Element so rasch zerfällt, kann es nicht langfristig gelagert werden. Unruhe macht sich schon jetzt im Pentagon breit, nachdem durch die Stillegung von Savannah River Plant der Tritiumnachschub bis auf weiteres versiegt ist.

Ein längerer Produktionsstillstand käme, behaupten die Militärstrategen, einer einseitigen Abrüstung gleich: „Da steht“, so ein Pentagon-Sprecher, „ein relativ geringes technisches Sicherheitsproblem dem ungleich bedeutenderen Faktor der militärischen Sicherheit einer Nation gegenüber.

Michael Lowe von Greenpeace (USA) hat darauf nur eine Antwort parat: „Unsere Bürger sind ganz offensichtlich eher von atomaren Unfällen bedroht als von einer Invasion durch die Sowjetunion.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen