: Mit Bonbonfarben und Faßbier ins Jahr 2000
„InterRegio“: Die Bundesbahn versucht, mit Yuppie-Design, verbessertem Komfort und größerer Schnelligkeit mehr Fahrgäste zu ergattern Die verstaubten D-Züge aus den sechziger Jahren sollen bis zum Jahr 1993 im gesamten Bundesgebiet abgelöst werden ■ Von Christiane Warnecke
Die Innenausstattung ist bis ins letzte Detail durchgeplant. Sauber (der Fußhebel für die Klospülung wurde zum Beispiel durch einen kleinen, in die Wand eingelassenen Druckknopf ersetzt), funktionell und praktisch (wie abschließbare Fächer im Gang). Auch an ein behindertengerechtes Abteil direkt neben dem Bistro-Cafe - haben die Planer gedacht.
Das wäre alles gut und schön - wenn da nicht das Design des „Münchner Designcenter“ wäre. Meine Mitfahrer, wie ich zum ersten Mal in diesem neuen Zug, schauten sich irritiert im Abteil um. Bonbonfarben bestimmen das Fahrgefühl. Die zweite Klasse strahlt in hellgelb, die erste in rot. Das Bistro -Cafe ist in rosa gehalten. Und bei den Toiletten hat das Designcenter in den hellblauen Farbtopf gegriffen, mit grünen Klobecken als Kontrast.
„Die hellen freundlichen Pastellfarben sollen den Reisenden ansprechen; er soll sich bei uns wohlfühlen“, meint Hans -Jürgen Frohne von der Bundesbahndirektion Hannover zu der kitschigen Farbgebung, über die es im Vorfeld auch etliche Diskussionen innerhalb der Bundesbahndirektion gab. Zusammen mit den vielen Spiegeln, Glastüren und -abtrennungen (die laut Frohne „alles durchlässiger machen“) erhält der Zugfahrer jedoch den Eindruck einer gewollt auf jugendlich gemachten Bundesbahn - alles in allem eine Anbiederung an die Yuppie-Generation, wobei die Münchner Designer ihren Spieltrieb voll ausleben konnten.
Und dieser neue Markenartikel der Bahn wird bis 1993 die D -Züge im gesamten Bundesgebiet ablösen. Seit dem Wechsel zum Winterfahrplan verkehren die ersten „InterRegios“, kurz IR, auf der Strecke Flensburg-Fulda. Schon Anfang des nächsten Jahres soll die Linie Kassel-Konstanz dazukommen. Und so weiter. Der „Zug des Jahres 2000“!
Das neue Konzept heißt: schneller (200 km/h im Gegensatz zum D-Zug mit 140 km/h), größerer Komfort und ein spezieller Fahrplantakt. „Wir hoffen, daß wir dadurch mehr Autofahrer auf die Schiene ziehen können“, erläutert Frohne, „und wollen außerdem eine Alternative zum Flugzeug anbieten.“ Das letzte wäre allerdings nur mit dem ab 1991 auf der neuen Bundesbahntrasse entlangschießenden ICE zu erreichen.
Könnte man den Zugverkehr nicht einfach durch Preissenkungen konkurrenzfähiger machen? Nein, dem widerspricht Fridolin Schädel, Sprecher der Bundesbahnzentrale in Frankfurt, entschieden. „Schließlich kostet die Fahrt in einem Mittelklassewagen, alle Kosten eingerechnet, 50 Pfennig je Kilometer, also erheblich mehr als die Bahnfahrt. Die meisten Leute benutzen das Auto doch einzig und allein aus Bequemlichkeit.“ Daß dann meist noch mehr Leute mitfahren, geht nicht in die offizielle Rechnung Schädels ein. Um die potentiellen Zugfahrer einzufangen, die ansonsten einsam vorm Steuer ihres Mittelklassewagens hocken, setzt die Bundesbahn auf Schnelligkeit bei Langstrecken (Nebenstrecken werden nach und nach abgebaut) mit einem Zug „gehobenen Komforts“ (offizielle IR -Bezeichnung).
Den Komfort im InterRegio heben soll speziell das Bistro -Cafe, grundlegende Änderung gegenüber den überteuerten „Verpflegungswägelchen“ der D-Züge. „Hier begrüßt Sie das DSG-Team ganz herzlich“, tönt eine Durchsage über den Lautsprecher. Die Deutsche Service Gesellschaft wirbt mit dem platten Slogan: „Hereinschauen, Wohlfühlen, Wiederkommen!“. Aber es gibt dort Getränke (das Bier sogar aus dem Zapfhahn) und Snacks, die das Portemonnaie in erträglichem Maß erleichtern.
Neu beim IR ist außerdem die Aufteilung der Waggons. Weder Großraumwagen noch rein mit abgeschlossenen Sitzabteilen bestückt, sondern eine Mixtur aus beiden Formen. Fünfer -Abteile wechseln sich ab mit offenen Sitzreihen. Und überall liegt ein kalter Plastik-Komfort in der Luft. Es heißt ade zu sagen zu den gemütlichen, leicht angestaubten D -Zug-Abteilen der 60er Jahre.
Ob der InterRegio der Bundesbahn aus der tiefen Finanzkrise heraushilft? Mit Mittelklassewagenfahrern und fliegenden Geschäftsleuten will sie ins 21.Jahrhundert steuern. Den Investitionen für Hochgeschwindigkeitszüge und bonbonfarbenes Spielzeug-Design steht ein Schuldenberg gegenüber, der inzwischen schon auf 43 Milliarden Deutsche Mark angewachsen ist. Abbau von Nebenstrecken und Abbau von Personal, was laut DB-Chef Rainer Gohlke auch in Zukunft ein Eckpfeiler für die Sanierung der Bahn sein wird. Bis 1990 wird sich die Bundesbahn um rund 100.000 Bedienstete auf 230.000 „gesundgeschrumpft“ haben.
Für die verbleibenden Eisenbahner, so der frühere Chef der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, Ernst Haar, sei die Doppelbelastung durch den bedrückenden Personalmangel unerträglich. Und trotz des rapiden Arbeitsplatzabbaus treibt die Bundesbahn immer tiefer in die Finanzmisere. So richtete der Bahn-Vorstand kürzlich wieder an den Eigentümer Bund die Forderung nach Übernahme der Kosten für das Schienennetz - ähnlich wie bei Autobahnen und Wasserstraßen für den privaten Gütertransport.
Die ständige Verteuerung der Fahrpreise ist ein weiteres Kapitel der hohen Schuldenkrise. Der InterRegio kostet vorerst noch keinen Zuschlag. Doch, da können wir uns sicherlich auf Frohne verlassen, „müssen die Reisenden in absehbarer Zeit damit rechnen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen