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Ta(n)z der Vampire in der Wattstraße

■ Das größte selbstverwaltete Unternehmen - Ein blutsaugender Vampir / Selbstverwaltung als Selbstlüge

Ach, wie schön hat das geklungen, als Fritz Teufel vor zehn Jahren eine linke alternative Tageszeitung zur „Frau seiner Träume“ ernannte. Nach einem Jahr war zumindest der „Betrieb taz“ längst zum „Mann der Alpträume“ geworden. Heute, nach zehn Jahren Arbeit in diesem größten selbstverwalteten Unternehmen der Bundesrepublik, assoziiere ich mit dem Projekt taz eher blutsaugende, verlogen grinsende Vampire. Ihrem Produkt, der Zeitung, haben die Vampire zwar nach den ersten Kinderschritten das Tanzen beigebracht. Ihre MitarbeiterInnen haben sie jedoch im Laufe der Jahre dermaßen ausgesaugt, daß vielen als Selbstschutz nur die Kündigung blieb.

Sicher, ohne die Selbstverwaltung, ohne das große Kollektiv wäre die taz nie zustande gekommen und sie wäre nicht das, was sie heute ist. Ökonomisch ist die taz nicht ohne die permanente Selbstausbeutung ihrer MitarbeiterInnen vorstellbar. Inhaltlich ist sie nicht ohne die Kreativität und ständige Auseinandersetzung von Leuten denkbar, die soviel anti-autoritäre Blutkörperchen haben, daß sie die Anweisungen eines Chefredakteurs oder Abteilungsleiters nicht akzeptieren würden.

Dennoch sind für mich die zehn Jahre Selbstverwaltung nicht nur ein ständiger Kampf gegen das Ausgesaugtwerden, sondern auch ein Prozeß des allmählichen Scheiterns. Gescheitert ist dabei nicht die Selbstverwaltung selbst, aber unsere Fähigkeit, sie an etwas ganz banalem wie Vernunft zu überprüfen. Obwohl die taz langsam aber sicher zu einem mittelständischen Betrieb mit 180 MitarbeiterInnen und monatlichen Millionenumsätzen anwuchs, obwohl sie für etliche MitarbeiterInnen längst zu einem bloßen Job geworden ist, bestehen wir weiter darauf, daß das alte Kleid Selbstverwaltung in Kindergröße 146 nach wie vor angegossen paßt. Egal, was das Spiegelbild aussagt: Wir arbeiten und entscheiden immer noch nach einmal für wahr befundenen Grundsätzen, ohne zu sehen, daß die Bedingungen sich geändert haben. Was einst die Grundlage für ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes Arbeiten war (und in kleineren Betrieben vielleicht nach wie vor sein kann), wird in einem riesigen Betrieb wie der taz mit zig sehr verschiedenen Arbeitsplätzen zu einer frommen Selbstlüge.

Heute kann mir niemand erklären, was daran selbstverwaltet ist, daß die wichtigsten Entscheidungen des Unternehmens taz nach wie vor von einer willkürlich zusammengesetzten Versammlung mit dem schrecklichen Namen „Nationales Plenum“ getroffen werden, wo Leute, die schon seit Jahren nichts mehr mit der taz zu tun haben oder als gelegentliche MitarbeiterInnen mal eben für ein paar Stunden vorbeischauen, genauso ihren Finger heben wie die, die täglich dort arbeiten und die Konsequenzen ausbaden müssen. Schon seit einiger Zeit weiß ich nicht mehr, was daran positiv sein soll, daß große Finanzausgaben plenar entschieden werden, obwohl 90 Prozent der Anwesenden erklärtermaßen weder die Lust noch die Fähigkeit haben, die komplizierten Geschäftsbilanzen zu lesen. Und schon lange suche ich jemanden, der mir die geheime Gerechtigkeit eines Einheitslohns enthüllt, die darin besteht, daß die einen für 30 Stunden Arbeit in der Woche genausoviel Lohn bekommen wie die anderen für 60.

Konsequenzen aus diesem völlig irrationalen, von allen gesehenen, aber beharrlich klebrigen Selbstbetrug zu ziehen, heißt nicht, das Kind Selbstverwaltung mit dem Bade auszukippen. Aber dem Gör müßte endlich ein der Größe und dem Alter angemessenes Kleid geschneidert werden. In einem selbstverwalteten Projekt zu arbeiten, das hatte vor zehn Jahren etwas mit Utopie, mit Vorwärtsdenken zu tun. Heute löst die Vorstellung, unter ähnlichen Bedingungen noch zwei oder drei Jahre weiterarbeiten zu sollen, bei mir nur Horrorvisionen aus - aber das, so schwört ein Kollege Stein und Bein, hätte ich vor fünf Jahren auch schon gesagt.

Vera Gaserow/taz-Gründungsmitglied

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