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Politdeal um die Hafenstraße

Als Hamburgs Bürgermeister Dohnanyi im Mai 1988 zurücktrat, hatte er dies der Parteirechten schon im November 1987 versprochen / Heute jährt sich zum ersten Mal das „Wunder“ von der Hafenstraße  ■  Aus Hamburg Florian Marten

19.November 1987: Das „Wunder“ ist geschehen. Die BewohnerInnen der Hafenstraße haben ihre Barrikaden und Befestigungen abgebaut, Senat und Hafenstraße unterzeichnen einen Vertrag, der „alternatives Wohnen am Hafenrand auf Dauer“ sichern soll. Eine unauflöslich erscheinende Blockade zwischen jugendlicher Militanz und staatlicher Rechthaberei war durchbrochen. Die Maurerkelle durfte den Schlagstock ersetzen. Mit einem persönlichen Vorstoß hatte Klaus von Dohnanyi zwei Tage zuvor gegen eine Mehrheit in der SPD/FDP -Koalition das vielzitierte „Wunder“ ermöglicht: Bei Abbau der Befestigungen bis zum 19.11. werde der Senat auf Räumung verzichten und den bereits zurückgezogenen Pachtvertrag unterschreiben. Dohnanyi: „Dafür verpfände ich mein politisches Wort. Dafür werde ich mein Amt als Bürgermister dann in die Waagschale werfen.“ Die Hafenstraße glaubte Dohnanyi. Der Senat folgte am 19. 11. Dohnanyi und ermöglichte ihm so, sein Wort zu halten.

Wie die taz jetzt erfuhr, hatte Dohnanyi zu diesem Zeitpunkt aber schon längst auf sein Amt verzichtet. Er hatte der grauen Eminenz der Parteirechten, dem Senator Alfons Pawelczyk, versprochen, zum Frühjahr 1988 zurückzutreten, wenn er dafür nochmals freie Hand erhielte. Pawelczyk schlug ein und verhielt sich, wie Dohnanyi später mehrfach öffentlich dankbar erklärte, „loyal“. Der Grund: Für die Parteirechte, die den Sturz Dohnanyis und die Räumung der Hafenstraße wollte, wäre Pawelczyk der einzige Kandidat für einen Bürgermeistersturz im November 1987 gewesen. Pawelczyk wollte aus persönlichen Gründen nicht. Sein Protege Henning Voscherau, der nach dem überraschenden gemeinsamen Rücktritt von Pawelczyk und Dohnanyi am 10.Mai 1988, zwei Tage nach Engholms Sieg in Schleswig-Holstein, zum Bürgermeister avancierte, hätte dies im November nicht werden können. Die komplizierte Hamburger Verfassung erlaubt nur einen Amtstausch zwischen Senatoren, schreibt aber für die Neubesetzung durch Voscherau, der nicht dem Senat angehört, eine zeitraubende politische Prozedur vor, die im Streß des November 1987 nicht zu realisieren war. Die Parteirechte rächte sich an Dohnanyi für dessen politischen Erfolg in Sachen Hafenstraße und warfen ihm im letzten halben Amtsjahr permanent Knüppel zwischen die Beine. Heute kann Dohnanyi, durch den Hafenstraßen-Erfolg zu Ruhm, Ehren und der Theodor-Heuss-Medaille gelangt, zufrieden beobachten, wie sich sein verhaßter Nachfolger Henning Voscherau ebenfalls im Gestrüpp der Hafenstraße verfängt. Voscherau will räumen, die Hafenstraße befindet sich jetzt aber in einer juristisch und politisch außerordentlich guten Situation. Bis heute weiß Voscherau nicht, wie er eine juristisch, politisch und polizeitaktisch einwandfreie Räumung bewerkstelligen soll.

Nicht wenige Hamburger Sozialdemokraten sehen inzwischen Voscherau als potentielles Polit-Opfer der Hafenstraße. „Hände weg von der Hafenstraße“, dieser alte Slogan, könnte das zentrale Motto für Voscherau sein, wenn er politisch überleben will.

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