OSKAR KOKOSCHKA

■ RAPALLO, JUNI 1933

Mein lieber armer Ehrennothelfer, zum Teufel, daß ich nichts Gutes für Sie weiß im Moment, weil ich in einer wahren Pechserie bin seit dem verdammten Streit mit dem Kunsthandel. Daß meine Mutter so was geschrieben hat, dürfen Sie der guten alten Mutter nicht übel nehmen. Die trägt so tapfer das Malheur (ich habe z.B. bis heute noch nicht genug verdient, um ihr auch nur einen Kreuzer hinschicken zu können), und sie weiß, wie die Freunde alle eine kalte Schulter gezeigt haben, lange bevor die Hitlerei dort ausgebrochen war. Daß Sie der einzige waren, der mir Geld verschafft hat, als ich in Paris krank und bestohlen (richtig bestohlen in einem kritischen Moment) war, das kann sie ja nicht wissen, weil ich seit eineinhalb Jahren kein Reisegeld zusammenbring. Hier bin ich einem reichen Gigolo in die Hand gefallen, der mich in Paris ausgelöst hatte und dann eine wahre Fabrik aus mir machen wollte.

Die Menschheit ist tatsächlich so stumpfsinnig, daß man am Ende des Lebens anfängt, sich ernstlich für sie zu interessieren. Bis jetzt war ich der Menschheit ja so ziemlich aus dem Weg gegangen. Ich male hier vormittags ein Portrait von einer dicken italienischen Frau für einen Kleinbürger, um die ganz geringe Hotelpension zu bezahlen, nachmittags kleine köstliche Landschaften aus platonischem Interesse. Früher, als der Cassirer mir eine Rente von 2.000 Mark monatlich für eben dieselbe Arbeit anbot, konnte ich einfach keinen Geschmack am Malen gewinnen. Jetzt, wo ich sie mir auf den Nagel, der selber mir bestimmt ist, hänge, tue ichs mit Wollust...

Vielleicht komme ich in die Schweiz, wenn Sie nicht kommen, der Feilchen hat die Marlene Dietrich im Zug angesprochen, die in Tarasp Ferien macht vom Millionenverdienen. Dem Reinhardt habe ich vor einem Monat auch einen ziemlich klaren Brief geschrieben, weil er sich aufgehalten hat, daß ich mir von ihm Geld geborgt hatte, ohne mich noch auszugleichen. Dem Händler hat er gerne 20.000 Mark gezahlt für eine Kleinigkeit, jetzt kriegt er von mir für seine 1.000 Mark eine herrliche Landschaft. Tote Meister sollen leben! 200.000 Francs hat er aber für einen falschen toten Meister gezahlt, ohne sich zu beschweren. So sind sie alle! Die Mäzene und Trottel von Besitzenden. Und dabei muß man noch froh sein, daß sie nicht alle nur Politik machen und Krieg, sondern wenigstens noch ein Verhältnis – wenn auch nur mit einem Kunsthändler – haben, in der Gegend wenigstens, wo wir hausen. Ich kann keine offenen Briefe mehr in deutsche Zeitungen unterbringen, die Intellektuellen sind so feig, wie sie immer waren, und ich bin dadurch ganz trübsinnig. Nicht einmal raufen kann man mehr. Ich möchte Ihnen lieber persönlich um den Hals fallen, so also nur am Papier als Ihr alter OK

Ein Brief aus der Emigration: Oskar Kokoschka schreibt an Albert Ehrenstein. Beide, der Maler Kokoschka und der Dichter Ehrenstein, gehören von 1910 an zum Mitarbeiterkreis der führenden expressionistischen Zeitschriften, die in Berlin verlegt wurden: 'Sturm' und 'Aktion'. Ausgewählt von

Michael Trabitzsch