„Keiner fühlt sich wohl bei der Geschichte“

Was wiegt in der SPD die Glaubwürdigkeit in der Friedensbewegung gegen die deutsch-französische Freundschaft? / Die Sozialdemokraten tun sich schwer mit dem Sicherheitsprotokoll zum deutsch-französischen Verteidigungsrat, das der BRD den Zugriff auf Atomwaffen durch die Hintertür öffnet  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Bei der Eröffnung des Hamburger Alternativkongresses zur Nato-Versammlung packte Peter Paterna das heiße Eisen gleich von sich aus an: „Eigentlich“, meinte der SPD -Bundestagsabgeordnete, müßte ich gegen das deutsch -französische Sicherheitsprotokoll auf die Straße gehen.“ Aber nur „eigentlich“. Denn Peter Paterna, aktiv in der Friedensbewegung, wird mit seinen Bonner Fraktionskollegen Anfang Dezember für die militärische Kooperation mit Frankreich die Hand heben, wenn im Bundestag die Ratifizierung des Sicherheitsprotokolls zum deutsch -französischen Verteidigungsrat zur Abstimmung steht.

Vor friedensbewegtem Publikum haben die Sozialdemokraten damit einen schweren Stand. Müssen sie doch erklären, warum sie zwar gegen die „Modernisierung“ der Nato-Atomraketen sind und auf Parteitagen den Ausstieg aus der nuklearen Abschreckung fordern, aber hinsichtlich des besonders nuklear-fixierten Frankreich nun den Schulterschluß mit der Kohl-Regierung suchen. Daß das Verhalten besonders der SPD -Linken von friedenspolitischen Beobachtern sehr kritisch unter die Lupe genommen wird, haben sich die GenossInnen selbst zuzuschreiben. Denn sie legten die politische Meßlatte so hoch, daß ihre Zustimmung zur Militärachse nun als Kriechgang erscheinen muß.

Zur Erinnerung: Jener Passus in der Präambel des Sicherheitsprotokolls, daß sich die Strategie der Abschreckung „weiterhin auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen“ müsse, wurde von SPD-Politikern bis vor kurzem heftig angeprangert

-dies sei eine Verpflichtung zur Atombewaffnung, führe gar „den Atomwaffensperrvertrag ad absurdum“ (Hermann Scheer). Nun geben sich die lautesten Mahner von gestern damit zufrieden, daß die Bundesregierung in einer Denkschrift zum Vertrag versichert, der besagte Passus bedeute „keine Festlegung auf eine bestimmte Strategie“. Gerade jene Fraktionslinken, die der Militärachse sonst kritisch gegenüberstehen, feiern dies nun als „wahnsinnigen Erfolg“ (Katrin Fuchs).

Doch die Geister, die die SPD rief, wird sie nun erst mal nicht mehr los. Nicht nur den Jusos gilt die gepriesene Denkschrift als „billiges Ablenkungsmanöver“. Die Grünen und ihre Bündnispartner in der Friedensbewegung versuchen, die Angelegenheit zuzuspitzen: Das Ja der SPD zur Militärachse Bonn-Paris sei ein Ja zum „Euro-Militarismus“ und darum „ein Bruch mit der Friedensbewegung“, so klang es bereits in den Debatten auf dem Hamburger Abrüstungskongreß an. Im Vorfeld der Kölner Konferenz Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz (siehe Kästen), wo die Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten weitergehen wird, legte sich der grüne Bundestagsabgeordnete Ebermann kräftig ins Zeug: Der deutsch -französische Vertrag schreibe eine europäische Streitmacht langfristig fest - „das ist der schwerste Gegenpol zu unseren Ambitionen, daß die Bundesrepublik für immer auf Atomwaffen verzichtet“.

Wenn SPD-kritische Kräfte in der Friedensbewegung das anstehende Abstimmungsverhalten im Bundestag als überfällige Richtungsentscheidungin der Sicherheitspolitik werten, paßt den SPD-Linken das zwar nicht - aber sie wissen selbst, daß an dem Vorwurf einiges dran ist. Nachlesen läßt sich das just bei dem abrüstungspolitischen Sprecher, Hermann Scheer, der vor einem halben Jahr für interne Zwecke zu Papier brachte, worum es bei dieser Richtungsentscheidung geht: „Es gibt einen reaktionären Weg zur Selbstbehauptung Europas, den wir verhindern müssen, und einen, für den wir uns engagieren müssen“, nämlich den Weg der „schrittweisen Entmilitarisierung“. Dies bedeute „Distanz zu den Plänen Kohls“, plädierte Scheer, und „eine eigene Position zu den deutsch-französischen Beziehungen“ - „was wir jetzt nicht ansprechen, um nicht anzuecken, kann in Zukunft zu einer immer bittereren Kröte werden...“

Zum Anecken, öffentlich wie innerparteilich, scheint aber jetzt wieder nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, weder für Hermann Scheer noch für andere Fraktionslinke. Der Imageverlust in der Friedensbewegung wiegt offenkundig weitaus weniger als die Angst, zum Miesmacher der „deutsch -französischen Freundschaft“ gestempelt zu werden. Immerhin gäbe es am Sicherheitsprotokoll auch noch anderes zu kritisieren, selbst wenn man den Knackpunkt der Atom -Strategie für entschärft hält. Katrin Fuchs sprach in Böblingen auf der Protestkundgebung gegen die Stationierung der deutsch-französischen Brigade. Nun stimmt sie einem Vertrag zu, mit dem weitere gemeinsame Truppenteile anvisiert werden (und jene gepriesene Denkschrift betont dies noch einmal ausdrücklich). Doch eine Friedenskundgebung und der Bundestag sind offensichtlich zwei sehr verschiedene Veranstaltungen.

Die Fraktion wird über ihr parlamentarisches Verhalten noch einmal beraten. Vielleicht schaffen auch einige vor der Abstimmung im Plenum noch den Weg zur Toilette. Gernot Erler: „Keiner von uns fühlt sich besonders wohl bei der Geschichte.“