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Auf der Suche nach den „schlechten“ Genen

■ Ist die Kartierung des menschlichen Erbgutes noch zu stoppen? / Von Susanne Billig und Christian Sternberg

Verkauft wird das Forschungsprogramm Politikern und Öffentlichkeit als erster Schritt zu einer „voraussagenden Medizin“. Doch wird erst angewendet, was die EG da mit Billigung der Bundesregierung vorhat - die statistische Wahrscheinlichkeit von Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Allergien oder gar Psychosen zu bestimmen - dann ist auch die Eugenik nicht mehr weit. Auf die Identifizierung folgt die Aussonderung per Abtreibung. Heute beschäftigt sich in Bonn der Bundesrat mit dem „Genom-Projekt“ der Europäischen Gemeinschaft.

Die großen Techno-Brüder der Europäischen Gemeinschaft, Japan und die USA, feilen schon an den Details ihrer gigantischen Forschungsprogramme zur Analyse des menschlichen Erbmaterials. Jetzt will Europa nicht hintenanstehen: Ein eigenes Forschungsprogramm soll her, um wissenschaftliche Anstrengungen europaweit anzukurbeln und auszubauen - als „Antwort auf die internationalen Herausforderungen“ der Japan- und US-Aktivitäten. Bei so viel Profilierungsdruck, das ist klar, bleibt für ausgedehnte Beratungen nicht viel Zeit.

Still und heimlich schlich sich das „Ratsdokument 7929/88“ in sämtliche politischen Gremien der EG. Und um der Runde der Forschungsminister die Totalerfassung des menschlichen Erbgutes (Genom) schmackhaft zu machen, verkauften die EG -Kommissare das 30 Millionen D-Mark teure Paket als medizinisches Programm: als sogenannte „prädiktive“, also voraussagende Medizin. Noch vor Ende dieses Monats soll der Entwurf des Programms von den Forschungsministern abgesegnet werden, kurz darauf geht er ins Europaparlament.

Das gesamte menschliche Erbmaterial (DNA) soll in seine Einzelbausteine - unvorstellbare 3.6 Milliarden Stück zerlegt, deren Reihenfolge erfaßt und kartiert werden - ein Mammut-Unterfangen. Wenn später über die bloße und wenig aussagekräftige Reihenfolge der Einzelbausteine hinaus auch Funktionszusammenhänge, ganze Gene und das Zusammenspiel von Genen erforscht sind, sollen MedizinerInnen damit Krankheiten bekämpfen.

„Gefährdete Personen

identifizieren“

Wie das aussehen wird, formuliert die Kommission im Vorwort zu ihrem Entwurf so: „Da es höchst unwahrscheinlich ist, (...) umweltbedingte Risikofaktoren vollständig auszuschalten, ist es wichtig, daß wir soviel wie möglich über Faktoren der genetischen Prä- Disposition (erbliche Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten, d.Red.) lernen und somit stark gefährdete Personen identifizieren können. (...) Prädiktive Medizin zielt darauf ab, (solche) Personen vor Krankheiten zu schützen (...) und gegebenenfalls die Weitergabe der genetischen Disponiertheit an die folgende Generation zu verhindern.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Krankheitsverhütung wird davon abhängen, inwieweit die Belastung der Populationen (Gruppen von Menschen, d.Red.) oder (...) der anfälligen Personen vermindert werden kann.“ Wer braucht es noch deutlicher? Die „Therapie“ ist gar keine Therapie, es geht um Identifizieren und Aussondern.

Ausdrücklich bezieht die EG- Kommission ihre medizinischen Vorschläge auf komplexe Zivilisationskrankheiten. Von Diabetes wird gesprochen, von Arthritis, Herzkrankheiten, Allergien, Krebs, ja sogar von Psychose und Depression. „Die Abnahme der Erkrankungshäufigkeit“ werde den Kostenanstieg im Gesundheitswesen bremsen. Bisher ist die Rolle genetischer Anlagen für die Entstehung der genannten Krankheiten weitgehend unbekannt. Das wird dann wissenschaftlich dezent als „multi-faktoriell“ bezeichnet.

30-Millionen-Projekt

„Das Programm „Prädiktive Medizin“ soll ein Sieben-Meilen -Schritt auf dem Weg zu weiteren Einblicken sein: 30 Millionen Mark ist der EG die Kartierung der DNA wert. Das Geld soll in drei verschiedene Unterprogramme fließen:

Für acht Millionen Mark sollen Genkoppelungs-Karten genauer und feiner werden. Bisher untersuchen französiche und US -amerikanische WissenschaftlerInnen 40 Familien - rund 600 Menschen - auf die Vererbungsmuster verschiedener Krankheiten. Auf Genkoppelungs-Karten verzeichnen sie, wie das Auftreten von Krankheiten mit chemischen Eigenschaften der DNA-Moleküle gekoppelt ist. Noch geben die Genkoppelungs -Karten nur statistische Wahrscheinlichkeiten wieder. Es kann daher vorkommen, daß die DNA einen chemischen Fingerzeig tut, aber die Krankheit nicht auftritt. Umgekehrt kann die DNA auf „gesund“ tippen lassen, und doch erkrankt die untersuchte Person. Mit den zusätzlichen EG-Mitteln sollen mehr Großfamilien in die Untersuchungen aufgenommen werden; außerdem sollen neue DNA-Merkmale, die Rückschlüsse auf mehr Krankheiten zulassen, ausfindig gemacht werden.

Ein weiterer Millionenbetrag ist vorgesehen, um Abschnitte menschlicher DNA zu isolieren und in Mikroorganismen zu übertragen. Letztes Ziel hier: Alle Abschnitte des Erbmaterials einer Reihe von „genetisch interessanten“ Menschen sollen in Bakterien eingeführt werden. Es ist für die Wissenchaftler heute kein Problem mehr, Bakterien bliebig lange einzufrieren und sie nach dem Auftauen zur erneuten Vermehrung und Teilung anzuregen. Damit vermehrt sich auch die Menschen-DNA in ihnen, bis so viele Bakterien (und genügend viele DNA-Kopien) gewachsen sind, daß biochemische und gentechnologische Untersuchungen angestellt werden können. Traum der HumangenetikerInnen auf diesem Gebiet ist die „geordnete Klonbibliothek“: eine große Tiefkühltruhe voller Röhrchen, jedes mit einer Nummer und einem Tropfen Bakterienlösung versehen, in der sich ein ganz genau definierter, in der Reihenfolge seiner Einzelbausteine erforschter menschlicher DNA-Abschnitt befindet - angefangen von Chromosom 1, erstes Tausendstel, links oben in der Truhe, bis hin zu Chromosom 23, letztes Tausendstel, rechts unten. Mit der DNA-Bibliothek reicht ein Griff in die Truhe

-schon ist das gewünschte Stück Menschen-Erbgut beliebig vermehrbar.

Zur Speicherung und Verwaltung der ungeheuren Datenmassen schließlich, die bei den Analysen des menschlichen Genoms anfallen, gibt es bisher keine brauchbaren Computerprogramme. Ihre Entwicklung und Vernetzung soll einen weiteren Schwerpunkt des Forschungsprogrammes bilden.

Und wer wird von den Forschungsaufträgen profitieren? Die bereits bestehenden europäischen Laboratorien von Industrie und freier Forschung sollen für jeden Schwerpunkt des Programms ein Netzwerk bilden; zentrale Laboratorien sollen ernannt und zu „Management-Zentren“ ausgebaut werden. Bei der Vergabe von Forschungsverträgen will die EG solche Institute bevorzugen, die schon heute international vernetzt arbeiten. Und damit die Zunft der Erb-BiologInnen und -MedizinerInnen sich auch von unten breitermachen kann, werden fünf Millionen Mark die Einarbeitung und Fortbildung von Jung-WissenschaftlerInnen fördern.

„Eugenik von unten“

Die heute praktizierenden HumangenetikerInnen haben sich gegenüber Ihren Kritikern auf die Formel geeinigt: „Mit unserer Beratung wollen wir den einzelnen helfen, die sich vor einer erblichen (Vor-)belastung ängstigen.“ Dem stellt der Braunschweiger Rechtsprofessor Bernd Klees ein Szenario entgegen, das er „Eugenik von unten“ nennt: Früher oder später werden Menschen dem Druck ausgesetzt, sich vor der Geburt eines Kindes zu entscheiden, ob sie ein Kind mit möglicherweise hohen Gesundheitskosten haben wollen.

Kassenpatienten wird dann die „präventive Medizin“ angeboten; Abtreibung oder zweifelhafte gen-therapeutische Maßnahmen. Privat Versicherte können sich wenigstens „frei“ entscheiden, ob sie hohe Versicherungsbeiträge für die zu erwartenden teuren Medikamente bezahlen wollen oder ob sie der „Prävention“ zustimmen - und dafür niedrigere Beiträge zahlen. Die nächste Stufe der Beratung könnte die umfassende Kontrolle sein, ob richtige Ernährung, Rauch- oder Alkoholverbot auch eingehalten werden. Dazu Bernhard Gill, Gentechnik-Experte der Zeitschrift 'Dr.med Mabuse‘: „Ein Forschungsprogramm, das diese Richtung mit den Mitteln der Gentechnik forcieren will, klingt modern - es gibt dem Ganzen den Anstrich des Rationalen.“

Allerdings habe das Projekt gar keinen medizinischen Sinn, es sei nur ein Trick, den politischen Entscheidungsträgern teure wissenschaftliche Programme zu verkaufen. Dort nämlich, wo tatsächlich versucht worden ist, mit gentechnischen Mitteln umweltbedingte Erkrankungen zu erkennen, haben ForscherInnen nur Pleiten erlebt. In einer schwedischen Pilotreihe sollte bei Kindern nachgewiesen werden, in welcher Weise ein bestimmter Gen-Defekt mit besonderer Empfindlichkeit gegen Smog zusammenhängt. In einer Begleitstudie sollten die seelischen und sozialen Folgen für die untersuchten Kinder und ihre Familien beobachtet werden. Doch die Tests mußten vorzeitig abgebrochen werden: Die psychischen Belastungen bei Kindern wie Familien überwogen den zu erwartenden Nutzen der genetischen Untersuchung bei weitem.

Eine Wissenschaftlerin der Yale-Universität in New Haven redet denn auch offen über das eigentiche Interesse der Forscher an der Genom-Kartierung: „Die dient bei uns als Brotprojekt zur Finanzierung anderer, eigener Vorhaben.“ Dieser Aspekt könnte natürlich auch bundesdeutschen ForscherInnen besonders attraktiv erscheinen, denn Drittmittel - über die magere Ausstattung der Institute hinaus - können diejenigen am leichtesten bekommen, die gute Kontakte zur Industrie haben und die „anwendungsbezogen“ forschen.

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