: Dorfrichter Adam-betr.: "Freispruch für NS-Verbrecher", taz vom 18.11.88
betr.: „Freispruch für NS-Verbrecher“, taz vom 18.11.88
Nun haben wir in der BRD die Feiern über die Judenpogrome hinter uns gebracht, da stand ein Herr Jenninger und versuchte in einer Rede die Naziverbrechen zu rechtfertigen
-was ich so empfunden habe, die Meinungen gehen da auseinander -, da hält Herr Kohl, uneingeladen, in der Frankfurter Synagoge eine salbungsvolle Rede über die Schuld der Deutschen und daß sich so etwas nie wiederholen dürfe und im gleichen Atemzug werden Naziverbrecher von einer Schuld freigesprochen. So eine Heuchelei. (...)
Ich werde den Verdacht nicht los, daß man unter dem Mantel der Verfassungsmäßigkeit von Gerichten - unter Zuhilfenahme der Rechtstradition und Rechtskultur aus nazionalsozialistischer Zeit -, jedesmal, wenn es um die Schuldzuweisung eines NS-Verbrechers geht, in Tradition einen kleinen „Volksgerichtshof“ veranstaltet; somit waltet „Dorfrichter Adam“ jedoch wohl unverkennbar. (...)
Erika Kaussow, Berlin 49
Warum diese Aufregung um Jenningers Faschisnosum-Rede? Den dazu noch immer und immer wieder gültigen, BRD-anerkannten Kommentar schrieb eine Woche später das Bonner Schwurgericht unter Vorsitz des Richters Martin Lickfell, als es den früheren Führer in SS, Gestapo und Bundeswirtschaftsminsterium, den Grafen Korff, angeklagt der Beihilfe zum Mord an mindestens 220 Juden, freisprach. Jenninger-Rede, Freispruch für NS-Massenmörder, verweigerte Entschädigungszahlungen für vergessene, das heißt für bewußt verdrängte und weiterhin diskriminierte NS-Opfer seitens des Deutschen Bundestages - im vierzigsten Jahr ihres Bestehens legt die Bundesrepublik Deutschland noch immer äußersten Wert darauf, weltweit als der authentische Nachfolgestaat des Auschwitz-Staates anerkannt zu sein und zu bleiben. Deshalb darf sich auch niemand wundern, wenn am Horizont immer wieder - so auch nach dieser Rede des Bundestagspräsidenten am 10.November - ungeachtet aller Entwicklungen seit 1945 die Anti-Hitler-Koalition der Welt gegen dieses Land aufblitzt. Auch diese Geschichte wird nicht vergehen. (...)
Michael D. Düllmann, Bonn 1
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