Abschiebepraxis scheint ausgereizt

■ Studie der Innenministerkonferenz fürchtet Konflikte mit Kirchen und Menschenrechtkommission / 60 Prozent der abgelehnten Asylbewerber bleiben / Einwanderung von „De-facto-Flüchtlingen“ soll verhindert werden

Berlin (taz) - Eine Verschärfung der Abschiebepraxis für De -facto-Flüchtlinge, wie sie in Unionskreisen immer wieder gefordert wird, ist derzeit nicht möglich. Ein bislang unveröffentlichter 42seitiger Bericht einer Arbeitsgruppe der Inneministerkonferenz kommt zu dem Schluß, 60 Prozent der Flüchtlinge können selbst nach einem abgelehnten Asylantrag nicht abgeschoben werden. In dem Bericht vom 14.Juni 1988 - den die 'Süddeutsche Zeitung‘ am Wochenende auszugsweise veröffentlichte - heißt es: „Daß ein Großteil abgelehnter Asylbewerber nicht abgeschoben wird, liegt nicht daran, daß aus Unkenntnis oder Säumnis keine aufenthaltbeendenden Maßnahmen eingeleitet werden, sondern an rechtlich zwingenden Hindernissen, an politischen und humanitären Entscheidungen oder an organisatorisch nicht behebbaren Problemen.“ Das „Bleiberecht“ für Flüchtlinge leite sich aus rechtlichen Bestimmungen ab, wie etwa der Genfer Flüchtlingskonvention und den nicht bundeseinheitlich geregelten Richtlinien für eine Abschiebung in Krisengebiete. Als weitere Gründe werden politische Vereinbarungen genannt, nach denen beispielsweise Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten - mit Ausnahme Polens nicht abgeschoben werden dürfen. Diese Bestimmungen hätten zur Folge gehabt, daß im ersten Halbjahr 1987 von 19.560 abgelehnten Asylantragstellern 60 Prozent als „De-facto„ -Flüchtlinge im Bundesgebiet offiziell verbleiben durften. Die Arbeitsgruppe verweist unter anderem auf einen Bericht von Nordrhein-Westalens Innenminister Schnoor (SPD) an die Fraktionen des Düsseldorfer Landtages. Schnoor hatte darin festgestellt: „Eine Verschärfung setze grundlegende politische Entscheidungen voraus... Eine Konfliktsituation mit den Kirchen, den Gewerkschaften, den Menschenrechtsorganisationen und vielen lokalen Gruppen, die sich mit Fragen der Dritten Welt befassen, wäre dann unausweichlich.“ Das Resümee der Verfasser, daß der Ruf nach einer konsequenten Abschiebepraxis sinnlos sei, deutet dennoch keine Änderung der bisherigen restriktiven Ausländerpolitik an. Den Innenministern empfiehlt die Arbeitsgruppe statt dessen, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, „die Einwanderung von De-facto-Flüchtlingen zu verhindern“. Die Mittel dafür könnten Visaregelungen und Grenzkontrollen sein. In einer ersten Stellungnahme wiederholte am Wochenende ein Sprecher des Bundesinnenministeriums die altbekannte Forderung nach Änderung des Asyl-Artikels im Grundgesetz.

wg