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Algerische Perestroika auch ohne die Partei

Meinungsunterschiede auf dem sechsten Kongreß der Sozialistischen Einheitspartei Algeriens / Generalsekretär Chadli Bendjedid setzte sich bei seinem Reformkurs über die Parteibasis hinweg / Gesellschaftliche Veränderungen auch gegen den Willen der Partei  ■  Aus Paris Georg Blume

Noch ist Algeriens Einheitspartei nicht bereit, die Perestroika im eigenen Land zu feiern. Der sechste Kongreß der „Front de Liberation Nationale“ (FLN), der heute in Algier zu Ende geht, wird die von Generalsekretär und Staatspräsident Chadli Bendjedid eingebrachten Reformen billigen, doch die Mißklänge im FLN-Einheitskonzert waren diesmal nicht zu überhören.

Nach der algerischen „Oktoberrevolte“ in diesem Jahr, in der die Armee über 500, meist jugendliche Demonstranten erschoß, hatte sich der Ärger der Bevölkerung auf die scheinbar allmächtige Partei konzentriert. Neugründungen unabhängiger Berufs- und Studentenorganisationen, die in den letzten Wochen das Aufsehen der algerischen Öffentlichkeit erregten, waren die Folge.

Generalsekretär Chadli veranlaßte deshalb Ende Oktober einen Führungswechsel an der FLN-Spitze, dem die bisherige Leitfigur des dogmatischen FLN-Flügels, Cherif Messaadia, zum Opfer fiel. An seine Stelle trat mit Abdelhamid Mehri ein Reformer aus dem Kreise Chadlis, der für die Zukunft ein Mehrparteiensystem in Algerien als „Möglichkeit“ betrachtet. Seit Oktober hat Chadli die von ihm eingeleiteten Reformen ohne Abstimmung mit der Parteibasis vorgenommen. In den fünf Regionalkonferenzen, die dem Parteikongreß vorausgingen, empörte sich die Mehrzahl der Delegierten über die Vorgehensweise des Präsidenten.

In der Tat steht die Partei heute machtlos ihrem Führer gegenüber. Der nämlich hat entschieden, sein Reformpaket, wenn es denn sein muß, auch gegen den Willen der Partei durchzusetzen. Bereits vor dem jetzigen Parteikongreß verkündete Chadli, daß letztendlich das algerische Volk mit einem Referendum - das der Präsident allein einberufen kann

-über die Reformen abstimmen und entscheiden werde. „Den Kongreßteilnehmern steht offen, die Reformen zu akzeptieren oder abzulehnen“, sagte Chadli bei seiner Rede auf dem Parteitag.

Weiteren Grund zum Ärgernis gab der Staatspräsident seinen Parteigenossen, als er die Gründung eines unabhängigen Verfassungsgerichtshofes ankündigte und den Algeriern versprach, daß die von ihnen gewählten politischen Mandatsträger in Zukunft „vor und nach ihrer Amtszeit“ Rechenschaft über ihre persönlichen Besitzstände ablegen müssen. Im Mittelpunkt der algerischen Perestroika steht die Diskussion um „politischen Pluralismus“ und „Mehrparteiensystem“. Beides ist nicht miteinander zu verwechseln. In seiner Eröffnungsrede plädierte Chadli für die „politische Öffnung“ in Algerien und forderte die Zulassung unabhängiger Kandidaten bei Wahlen. Weiterhin verspricht Chadli größere Freiheit für Gewerkschaften und andere Berufsorganisationen. Dieses Konzept eines „politischen Pluralismus“ steht hinter dem in der algerischen Presse inzwischen ausführlich kommentierten Modell eines „Mehrparteiensystems“ deutlich zurück. Der Parteitag aber, der über zwei Tage lang hinter verschlossenen Türen tagte, will von dieser Diskussion offenbar nichts wissen. In einer vom Zentralkomitee bereits am Samstag verabschiedeten Erklärung spricht man von der „tiefen Befriedigung über die vom Land verwirklichte beträchtliche Entwicklung seit dem fünften Kongreß“. Und zu allem Überfluß spricht das Zentralkomitee im Hinblick auf die Oktoberrevolte seine „Anerkennung für die Selbstüberwindung der Armee, die sich Sabotageaktionen stellen mußte“, aus.

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