KOMMENTAR: Richter-Wort
■ R-B-Prozeß: Türke verurteilt, aber nicht verstanden
Jemand, der in der Türkei im Gefängnis gesessen hat, wie kann sich der in der Bundesrepublik an einer Freiheitsberaubung beteiligen? Der Bremer Amtsrichter Peter Häfner, der den türkischen politischen Flüchtling Halil K. gestern der Nötigung und Freiheitsberaubung für schuldig sprach, konnte sich diese Frage nicht beantworten. „Das ist mir unverständlich“, sagte er, und sprach damit die allerreinste Wahrheit.
Mal unterstellt, Halil K. habe sich wirklich einer Freiheitsberaubung schuldig gemacht, und Mitarbeiter des Senders daran gehindert, das Studio zu Feierabend zu verlassen. Sicher nicht angenehm. Sicher auch nicht klug von den türkischen Oppositionellen. Aber das Studio von Radio Bremen mit den Folterkellern und Massenzellen zu vergleichen, in denen die politischen Gefangenen in der Türkei gehalten werden, dazu bedarf es der politischen Engstirnigkeit eines deutschen Amtsrichters. Er verurteilte den Flüchtling wegen Freiheitsberaubung. Nicht nur ein schwerer Vorwurf, sondern auch ein bequemer: Dabei braucht der Richter die politischen Motive nicht zu prüfen und ist insofern vor Überforderung sicher.
Michael Weisfeld
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